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Sechs Jahre in Sofia

Ines Grosse hat sechs Jahre als Auslandsdienstlehrkraft an der deutschen Abteilung des Galabov- Gymnasium in Sofia gearbeitet. Sie berichtet von Zweit- und Drittjobs ihrer Lehrerkollegen und rät dazu, die Sprache des Gastlandes zu erlernen.

Da ich von Hause aus Fremdsprachenlehrerin bin, verspürte ich schon immer den Wunsch, andere Kulturen und deren Sprache kennenzulernen. Während des Studiums an der Friedrich- Schiller- Universität in Jena in der Zeit von 1984- 89 war dies, abgesehen von einem Teilstudium in Moskau zum Erlernen der russischen Sprache, nicht möglich. So bemühte ich mich sofort nach der Wende, meine Vorstellungen in die Realität umzusetzen. Aber auch das war nicht gleich so einfach. Für englischsprachige Länder gab es über den DAAD sehr hohe Bewerberzahlen. So stieß ich nach einigen Recherchen auf die ZfA und die Möglichkeit, sich für Schulen im Ausland zu bewerben. Meine erste Bewerbung für das Auslandsschulwesen im Schuljahr 1992/ 93 wurde mit der Begründung, dass in Thüringen Englischlehrer gebraucht werden, abgelehnt und dass eine weitere Bewerbung erst zum Schuljahr 95/96 möglich sei. So entschied ich mich während der verbleibenden Zeit, ein zusätzliches Französischstudium aufzunehmen und führte im Anschluss daran einen Deutsch- Französischen Lehreraustausch mit einem Lycéee in La Rochelle durch. Jedoch gab ich meinen Wunsch, eine längere Zeit im Ausland tätig zu sein, nie ganz auf. Im Jahre 2001 versuchte ich erneut mein Glück. Zunächst wurde mir eine Stelle in Rumänien angeboten und kurz darauf bekam ich einen Anruf vom damaligen Leiter der Deutschen Abteilung des Galabov- Gymnasiums in Sofia, Dr. Martin Korol. Ich entschied mich binnen kürzester Zeit zuzusagen und flog zu einem Besuch der Deutschen Abteilung und zwecks Organisation einer Wohnung nach Sofia.

Die allgemeine Lage in Sofia

Während der Zeit meines Aufenthaltes beobachtete ich einen kontinuierlichen Aufschwung der Stadt. Vor allem war die Bautätigkeit in einigen Randgebieten, besonders in solchen unterhalb des Vitosha- Gebirges und so z. B. auch in Bukstone, wo sich meine Wohnung befand, immens. Während der gesamten Zeit meines Einsatzes, vor allem aber im letzten Drittel meines Aufenthaltes, nach Bulgariens Eintritt in die EU im Januar 2007, wurde eine Vielzahl neuer Supermärkte und anderer Großmärkte, die gern mit dem amerikanischen Namen „Mall“ bezeichnet werden, eröffnet. Die Preise für die Produkte, besonders im Lebensmittelbereich, stiegen jedoch stark an und sind oftmals höher als in den meisten deutschen Supermärkten. Im Vergleich dazu ist das Einkommen der Menschen, in den meisten staatlichen Positionen- so auch das der Lehrer- nicht erhöht worden. Eine bulgarische Ortskraft verdient im Durchschnitt je nach Anzahl der Dienstjahre ca. 230 Euro umgerechnet, wovon im Winter nicht einmal die Heizkosten bezahlt werden können. Deshalb haben so gut wie alle Lehrer Zweit- und Drittarbeitsverhältnisse. D. h. für die Deutschlehrerinnen am Galabov-Gymnasium und den DSD-Schulen, dass bezahlter Nachhilfeunterricht gegeben wird und dies in einigen Fällen sogar für Schüler der eigenen Schule oder Klasse. Die allgemeine schwierige finanzielle Lage und die Tatsache, dass im Sommer des Jahres 2007 die Beschäftigten des Transportwesens eine Gehaltserhöhung bekamen und damit mehr verdienten als die bulgarischen Lehrer führte sogar dazu, dass die bulgarischen Lehrer, die im Grunde genommen sehr duldsam sind, zu Beginn des Schuljahres 2007/ 2008 einen bulgarienweiten Lehrerstreik ins Leben riefen, der nicht nur mit leeren Versprechungen des Ministers endete sondern auch noch die Lehrer um ihr monatliches Gehalt brachte. Eine Ersatzzahlung durch die Gewerkschaftskassen, wie das normalerweise in solchen Fällen erfolgt, war nicht möglich, da die Gelder auf unerklärliche Weise verschwunden waren.

Kultur, Reisen und Landessprache

Sofia bietet ein reichhaltiges kulturelles Angebot. Man kann für 30- 40 Lewa ein Konzertangebot für ein halbes Jahr erwerben. Theaterkarten sind ebenfalls zu sehr günstigen Preisen erhältlich. Es gibt mehrere moderne Kinos. Die meisten Filme werden in der Originalsprache mit bulgarischen Untertiteln gezeigt. Ab und zu gibt es im Stadtzentrum in den Museen auch temporäre Ausstellungen. Beispielsweise konnte ich im Oktober 2004 die im Sommer ausgegrabene Maske des Thrakerkönigs vom Shipka- Pass bewundern. Dies weist auf die alte Kultur- und Besiedlungsgeschichte Bulgariens hin, wovon man Spuren im ganzen Land finden kann. Die Anfänge der protobulgarischen Geschichte sind hier vor allem in und um Veliko Tarnovo und Zarevetz zu finden- Orte, die man unbedingt besuchen sollte, wenn man sich mit der Herkunft der Bulgaren befassen will. Der Bulgare selbst betrachtet seine Geschichte mit viel Nationalstolz und Subjektivität, er schätzt es aber sehr, wenn man Interesse für seine Geschichte zeigt. Es gibt ausreichende Möglichkeiten, sich sportlich oder touristisch zu betätigen. Ich unternahm beispielsweise viele Wanderungen im Vitosha- Gebirge, im Rila, in den Rhodopen oder im Balkangebirge. Viele Sofioter besitzen auf dem Land ein sehr einfaches Häuschen, dass im Bulgarischen als „Villa“ bezeichnet wird und sind sehr gern bereit, einen zu einem Wochenendausflug einzuladen. Wenn man sich für Abfahrtsski interessiert, gibt es gute Möglichkeiten in Bansko oder Borovetz. Reiten und auch Volkstänze (Narodni Tanzi) sind in Bulgarien sehr verbreitet und man findet eine Vielzahl an Kursangeboten. Wenn man ein Auto besitzt, kann man in seiner Freizeit Bulgarien als ein landschaftlich und kulturell sehr reichhaltiges Land kennen und lieben lernen. Selbst ein Ausflug nach Griechenland ist nach dem Erwerb der „Selena Karta“ von Sofia aus kein Problem. Meiner Erfahrung nach ist es sehr wichtig, die Sprache des Einsatzlandes zumindest bis zu einem gewissen Grad zu erlernen. Ich beherrsche zwar die bulgarische Umgangssprache gut, was nicht nur aber zum Teil auch auf meine Russischkenntnisse zurückzuführen ist. Dies fiel aber längst nicht allen Kollegen so leicht. Ich würde es begrüßen, wenn es entweder eine gewisse sprachliche Vorbereitung für jeden Lehrer auf sein Einsatzland gäbe oder wenn jedem Lehrer vor Ort pro Woche eine Stunde für das Erlernen der Landessprache zur Verfügung stehen würde. Dies erleichtert nicht nur den Umgang im Alltag in dem entsprechenden Land und eröffnet einem damit manche Tür viel einfacher, sondern bereichert auch den eigenen kulturellen Horizont.

Das Galabov-Gymnasium

Das Galabov- Gymnasium befindet sich in der Positano-Straße, die durch den Boulevard Stamboliski nahezu mit dem Zentrum der Stadt verbunden ist. Der Bau der Schule ist wie bei allen bulgarischen Schulen nicht sehr vorteilhaft angelegt: Das Sonnenlicht scheint direkt in alle Klassenräume und so ist es oftmals schon im Frühjahr sehr heiß. In den Klassenräumen der DSD- Klassen befanden sich während meiner Dienstzeit keine Abdunklungsmöglichkeiten. Die Räume der Deutschen Abteilung wurden im Frühjahr 2004 neu renoviert, möbliert und umstrukturiert. Am Galabov- Gymnasium ist eine staatliche bulgarische Schule, in der sich eine Deutsche Abteilung mit etwa 10 deutschen Kollegen unter Leitung des Leiters der Deutschen Abteilung befindet. Es werden Schüler in den Klassenstufen 8- 12 unterrichtet, wobei von den deutschen Kollegen zum einen in dem Klassen, die das deutsche Abitur absolvieren und zum anderen in den Sprachdiplomsklassen unterrichtet wird. Pro Klassenstufe findet man 8 Parallelklassen mit durchschnittlich jeweils 25 Schülern. Unterrichtet wird in 2 Schichten. Im ersten Halbjahr des Schuljahres haben die 11. und 12. Klassen nachmittags, d. h. von 13. 20 Uhr- 18. 50 Uhr Unterricht und die 9. und 10. Klassen vormittags. d. h. von 7. 40 Uhr- 13. 10 Uhr . Die Schüler werden ständigen Auswahlprüfungen unterzogen und gehören eindeutig zur heranwachsenden intellektuellen Spitze des Landes. Nach dem 7. Schuljahr gibt es in ganz Sofia eine Aufnahmeprüfung. Danach treten in der Regel die besten Schüler ins Galabov- Gymnasium ein, gefolgt vom „American College“ und dem „Lycée Franςais“. Nach der 8. Klasse erfolgen die Aufnahmeprüfungen für die Deutsche Abteilung, die von den deutschen Auslandslehrern durchgeführt werden. Pro Jahrgang werden aus den 8. Klassen 50 Schüler für je 2 Klassen aufgenommen. Am Ende der 9. Klasse werden nach weiteren Aufnahmeprüfungen aus den verbleibenden 6 Klassen, die nicht in der Deutschen Abteilung sind, weitere 4 Sprachdiplomsklassen gebildet. Dazu gab es zu Beginn meiner Dienstzeit bulgarienweite zentrale Aufnahmeprüfungen, die vom Fachberater und einer Kommission erstellt worden. Später wurden die Aufnahmeprüfungen von der jeweiligen Schule selbst erstellt. Die meisten der Schüler stammen aus sozial besser gestellten Familien. Viele sprechen neben Deutsch auch perfekt Englisch. Einige lernen weitere Fremdsprachen. Sehr verbreitet ist unter den Galabov- Schülern neben dem alltäglichen Unterricht in der Schule der Privatunterricht. Fast jeder Schüler hat in irgendeiner Weise einen Privatlehrer, um zu noch besseren Leistungen zu gelangen. Neben den Prüfungen unserer Schule absolvieren die meisten Schüler noch weitere Sprachprüfungen an anderen Sprachschulen und erlangen EU- anerkannte Sprachabschlüsse wie beispielsweise das „Cambridge Certificate“.

Vorbereitung auf das Deutsche Sprachdiplom

Während die unmittelbare deutsche Leitung vor Ort für die Deutsche Abteilung einzig und allein der Leiter der Deutschen Abteilung ist, gab es während der ersten vier Jahre meines Einsatzes in Bezug auf die Sprachdiplomsklassen eine geteilte Verantwortlichkeit. Die unterrichtenden Lehrer waren dem Leiter der Deutschen Abteilung untergeordnet während die inhaltliche Seite des Sprachdiploms dem Fachberater unterstand. Da es aufgrund dessen ständig größere Probleme im Hinblick auf Verantwortlichkeit, Entscheidungen und Prüfungsorganisation gab, wurde das Galabov- Gymnasium in den letzten zwei Jahren meiner Dienstzeit auf Antrag des LdA von der ZfA offiziell zum eigenständigen Prüfungszentrum erklärt. Meine Aufgabe als Koordinatorin des DSD- Bereichs am Galabov- Gymnasium bestand darin, den Unterricht in den Sprachdiplomsklassen stofflich und inhaltlich zu koordinieren, die Sprachdiplomsprüfungen inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten und Neuerungen wie beispeilsweise die Umstellung der DSD-II- Prüfungen auf DSD- C1 umzusetzen. Da sich im DSD- Bereich in jeder Klasse ein deutscher und ein bulgarischer Lehrer die Stundenzahl teilen, bedarf es genauer Absprachen bezüglich der Unterrichtsinhalte. Dabei hatte es sich im Verlaufe meiner Arbeit als günstig erwiesen, dass bulgarische Deutschlehrer sich stärker auf den Grammatikbereich und deutsche Kollegen mehr auf die Vermittlung von Landeskunde und Literatur konzentrieren. Als lohnenswerte Vorbereitung auf die mündlichen Sprachdiplomsprüfungen erwies das Anfertigen einer „Sprachdiplomsmappe“, in der die Schüler gruppenweise nach Kapiteln unterteilt konkret zu einem selbst gewählten Thema ihr gesammeltes Material präsentieren und lernen sollen, ihre vielfältigen Quellen und Recherchen in einer wissenschaftlichen Form anzugeben. Dies soll als eine gute Vorbereitung auf ihr späteres Studium dienen. Als nicht ganz einfach gestaltete sich in den Sprachdiplomsklassen die Umsetzung der Präsentationsphase in den neuen DSD- C1 – Prüfungen, da die technischen Voraussetzungen in den Sprachdiplomsklassen für Power- Point- Präsentationen z. B. weder durch die Räumlichkeiten noch durch entsprechende elektronische Medien gegeben waren. So mussten Möglichkeiten gefunden werden, mit einfacheren Präsentationsmethoden zu arbeiten. Jedoch waren die meisten unserer Schüler auch unter diesen Bedingungen in der Lage, die Prüfungen bestens zu meistern.

Wiedereingliederung in Deutschland

Meine Wiedereingliederung in Deutschland verlief problemlos. Ich kam nach meiner Rückkehr in Jena/ Thüringen nicht wieder an mein vorhergehendes Gymnasium , da die Schule aufgrund von Schulumstrukturierungen so nicht erhalten werden konnte. Ich bekam eine Stelle an einer reformpädagogische Gesamtschule, die gerade dabei war, die gymnasiale Oberstufe aufzubauen und an der ich vordergründig für das Fach Französisch gebraucht wurde, aber auch im Bereich Deutsch als Zweitsprache für Migrantenkinder eingesetzt wurde. So konnte ich zu meiner großen Freude meine vielfältigen Erfahrungen, meine eigene Muttersprache Schülern mit fremdsprachigem Hintergrund beizubringen, hier vor Ort anwenden. Gleichzeitig aber auch hatte mich das sechsjährige Leben in Bulgarien befähigt, mich in andere Kulturen einzufühlen und mir gezeigt, mit welchen sprachlichen und interkulturellen Problemen man im Alltag einer fremden Mentalität konfrontiert wird. Diese Erfahrung macht es mir hier leicht, den Schülern mit Migrationshintergrund nicht nur bei ihrer sprachlichen sondern auch bei ihrer kulturellen und sozialen Eingliederung helfend und unterstützend zur Seite zu stehen, denn schließlich hat man als ehemaliger Auslandsdienstlehrer all diese oder ähnliche Erfahrungen selbst am Auslandsdienstort erlebt.

 

Galabov Gymnasium in Sofia (Foto: Ines Grosse)