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KMK-Ländervereinbarung

Schwarzer Tag für die Bildung

Historischer Kraftakt oder Rolle rückwärts in der Schulpolitik? An der neuen Ländervereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) scheiden sich die Geister. Ein Kritikpunkt der GEW ist, die KMK verabschiede sich von der Inklusion.

Cartoon: Thomas Plassmann

Seit Jahren drohen einige unionsgeführte Bundesländer mit einem eigenen „Staatsvertrag“ zur Qualitätssicherung und gegenseitigen Anerkennung ihrer jeweiligen Abiturzeugnisse. Bestimmten SPD-Ländern werfen sie vor, ein „Billigabitur“ zu vergeben. Meldungen über eine angeblich inflationäre Vergabe von Einser-Noten beim Abitur in einzelnen Ländern wie die ewigen Klagen der Hochschulrektoren und Standesverbände über eine vermeintlich fehlende Studierfähigkeit junger Menschen taten ein Übriges. Konservative pflegen in der Öffentlichkeit gern den Eindruck, in einigen Bundesländern, vor allem in unionsgeführten, sei das Abitur viel schwieriger und deshalb „mehr wert“ als in anderen. Das blieb auf Dauer nicht ohne Folgen. Das Bundesverfassungsgericht forderte Ende 2017 in seinem Urteil zur Hochschulzulassung im Medizinstudium die Kultusminister auf, für bundesweite Gleichwertigkeit der Abiturzeugnisse zu sorgen.

Extrem konservativ

Empirische Belege dafür, dass Abiturientinnen und Abiturienten etwa aus Bayern oder Baden-Württemberg im Studium und bei ihrer späteren Berufskarriere besser klarkommen als Absolventinnen und Absolventen etwa aus Bremen oder Hamburg, gibt es nicht. Einstimmig lehnten es die Kultusminister aller Parteien bislang ab, Oberstufenschülerinnen und -schüler wie die Dritt- bzw. Viert- sowie die Neuntklässlerinnen und -klässler nach einheitlichen Kriterien testen zu lassen. Verlässliche länderübergreifend vergleichbare Daten über Studienerfolg oder -abbruch, gelungenen Berufseinstieg, Karriere und Berufszufriedenheit werden erst in etlichen Jahren vorliegen. Die Datensätze des Nationalen Bildungspanels in Bamberg dazu sind noch im Aufbau.

Doch medial wie bei Meinungsumfragen kommt der deutsche Bildungsföderalismus nicht gut weg. Die Kultusministerinnen und -minister sehen sich seit Jahren unter Handlungs- und Rechtfertigungsdruck. Den SPD-geführten Bundesländern ist der Gestaltungs- und Reformwille von einst abhanden gekommen. Heute geht es ihnen um den Abbau alter Konflikte, vor allem aber um „Ruhe an der Schulfront“. Die Union hat dagegen mit Baden-Württembergs Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) eine neue, aggressive und extrem konservative Sprecherin erhalten. Eisenmann sucht die politische Profilierung und geht im kommenden Jahr als CDU-Spitzenkandidatin bei der baden-württembergischen Landtagswahl ins Rennen.

Staatsvertrag vom Tisch

Mehr als zwei Jahre brüteten die Gremien der KMK über einem Papier, das mehr Vergleichbarkeit in deutschen Schulen garantieren soll – von der Grundschule über die Sekundarstufe I bis hin zum Abitur und zu den beruflichen Schulen. Die Union ließ dabei ihre Forderung nach einem Staatsvertrag fallen – nachdem in interner KMK-Runde der eigens geladene Rechtswissenschaftler und Bildungsforscher Hans-Peter Füssel den Kultusministern deutlich machte, dass ein Staatsvertrag in mehreren Bundesländern von den Länderparlamenten abgesegnet werden muss. Das hätte unter Umständen Änderungswünsche der Abgeordneten provoziert – und damit das von 16 Kultusministerien mühsam ausgehandelte Papier gefährdet.

Zudem wäre erneut das Grundproblem des Konstrukts der Kultusministerkonferenz deutlich geworden. Über Schulgesetze wie auch Schulstrukturen entscheiden letztlich die jeweiligen Landesparlamente. Die KMK ist weder im Grundgesetz noch in den Landesverfassungen vorgesehen. Ihre Beschlüsse sind für die Parlamente rechtlich nicht bindend – allenfalls politisch verpflichtend, um ein Mindestmaß an gesamtstaatlicher Einheitlichkeit im Föderalismus zu ermöglichen.

Einheitliche Regelungen

Also trägt das von der KMK jetzt beschlossene Papier mit seinen 44 Artikeln den sperrigen Namen „Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“. Zum Jahresende sollen es die Regierungschefs der 16 Länder unterzeichnen. Die Vereinbarung wird dann das in der Vergangenheit mehrfach ergänzte „Hamburger Abkommen“ von 1964 ablösen, mit dem sich damals die elf Bundesländer des Westens die gegenseitige Anerkennung ihrer Schulabschlüsse zusicherten.

Einige wichtige Absprachen in dem neuen Länderpapier:

  • Für die Grundschulen will sich die KMK bis 2022 auf einen einheitlichen Mindeststundenumfang in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht verständigen sowie auf „die Vermittlung einer verbundenen Handschrift, der ein normiertes, schreibmotorisches Konzept zugrunde liegt“ und einen einheitlichen Rechtschreibrahmen.
  • In der Sekundarstufe I sollen bis 2022 alle möglichen Abschlüsse bundeseinheitlich kategorisiert und benannt werden (Erster Schulabschluss, Mittlerer Schulabschluss). Eine einheitliche Namensgebung für die verschiedenen Schularten wird geprüft.
  • In der gymnasialen Oberstufe wollen die Länder ihre Rahmenvorgaben weiter angleichen. Bis 2023 soll die genaue Anzahl verpflichtend zu belegender und in die Gesamtqualifikation einzubringender Fächer einschließlich ihrer Gewichtung festgelegt werden, dazu auch die einheitliche Anzahl zu wählender Fächer auf erhöhtem Anforderungsniveau sowie einheitliche Regelungen zur Leistungsermittlung in den vier Schulhalbjahren der Qualifikationsphase. Ab 2023 sollen alle Länder für die Prüfungsfächer Deutsch, Mathematik und Fremdsprache mindestens 50 Prozent der Abituraufgaben aus dem gemeinsamen länderübergreifenden Aufgabenpool entnehmen. Für Biologie, Chemie und Physik soll das ab 2025 gelten.

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe sprach von einem „schwarzen Tag für die Bildung“. Noch mehr Prüfungen würden zentralisiert und normiert, Qualität solle über noch mehr Tests und Bildungsstandards gesichert werden. Von der Inklusion verabschiede sich die KMK weitgehend, Interesse zeige sie nur am Gymnasium. Gesamt- und Gemeinschaftsschulen tauchten nicht mehr auf. „Mit den Schritten zur Zentralisierung des Abiturs wird die innovative Oberstufenreform der 1970er-Jahre West weiter geschliffen. Damals sollten die jungen Menschen in der Oberstufe das selbstständige Lernen lernen, um sie besser auf Hochschule und Beruf vorzubereiten. Heute will man die Schülerinnen und Schüler am Gängelband führen und wundert sich, warum sie an den Hochschulen scheitern“, so Tepe.

Kein Bildungsrat

Zugleich haben die Länder mit ihrem Beschluss über die Einsetzung einer „Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz“ das Konzept für einen gemeinsamen Deutschen Bildungsrat mit dem Bund endgültig beerdigt – und damit eine große Chance vertan. Dabei unterstützt der Bund die Länder finanziell derzeit so stark wie nie zuvor – nicht nur in der Hochschul-, sondern auch in der Schulpolitik. Auf Bundesebene hatten sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für die Einsetzung eines Bildungsrates stark gemacht. Doch Bayern und Baden-Württemberg torpedierten mit ihrem Veto das gemein-same Bund-Länder-Projekt. Aber auch die SPD-geführten Länder zeigten wenig Neigung, für einen gemeinsamen Bildungsrat zu kämpfen. Zudem werden Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) fehlendes Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen nachgesagt.

Die nunmehr ohne den Bund von den Ländern eingesetzte „Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz“ wird aus 16 Mitgliedern bestehen: zwölf berufenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie vier weiteren Mitgliedern aus Institutionen, die in der deutschen wie internationalen Bildungsforschung aktiv sind, etwa dem Sprecher der Autorengruppe des Nationalen Bildungsberichtes und dem jeweiligen Leiter oder der Leiterin des ländereigenen Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Die zwölf Expertinnen und Experten werden für jeweils drei Jahre berufen. Wie sie ausgewählt werden, ist noch offen. Die Arbeit des Gremiums ist zunächst auf sechs Jahre befristet. Nach vier Jahren ist eine Evaluierung vorgesehen.