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Leitung in Bildungseinrichtungen

„Schulleitungen sind Troubleshooter“

Lehrkräfte in Deutschland arbeiten im Durchschnitt länger als vergleichbare Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Das geht aus einer Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen unter der Leitung des Sozialwissenschaftlers Frank Mußmann hervor.

Lehrkräfte leiden häufiger an einem Burnout als viele andere Berufsgruppen. Besonders hoch ist die Belastung für Schulleiterinnen und -leiter. (Foto: IMAGO/serienlicht)
  • E&W: Einige Schulleiterinnen und -leiter klagen derzeit mit Unterstützung der GEW gegen ihren Dienstherren, das Land Niedersachsen. Der Vorwurf: Dieser unternehme nichts gegen die immense Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, insbesondere der Schulleitungen. Sie haben in mehreren Studien die Arbeitszeitbelastung der Lehrkräfte untersucht und sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass deren Wochenarbeitszeit deutlich über den Normvorgaben für Beschäftigte im öffentlichen Dienst liegt. Und das schon seit Jahren. Trifft das auch auf Schulleiterinnen und -leiter zu?

Frank Mußmann: Grundsätzlich ja, allerdings lässt sich das aus den Studien nicht direkt ableiten. Aus methodischen Gründen haben wir bei unseren Befragungen nie das Merkmal „Schulleitung“ abgefragt. Das hätte zu Verzerrungen geführt, weil viele Schulleiterinnen und -leiter aus Sorge, man könne sie identifizieren, vermutlich nicht teilgenommen hätten. Schulleiterinnen und -leiter lassen sich allerdings – selbstverständlich anonymisiert – über die Anzahl der Funktionsstunden identifizieren. In einer Sonderauswertung unserer Arbeitszeitstudie, die wir für das Expertengremium Arbeitszeitanalyse des niedersächsischen Kultusministeriums erstellt haben, kamen wir zu dem Schluss, dass Lehrkräfte an Grundschulen, Gesamtschulen und Gymnasien im Schnitt eine Stunde und 40 Minuten in der Woche Mehrarbeit leisten, bei den Schulleiterinnen und -leitern beträgt die Mehrbelastung 6 Stunden und 42 Minuten.

  • E&W: Die Mehrbelastung der Lehrkräfte ergibt sich in der Regel aus ihren Unterrichtsverpflichtungen, also aus Vor- und Nachbereitung sowie Unterricht, aus außerunterrichtlichen Tätigkeiten wie Dienstbesprechungen, Elternabenden etc. Welchen besonderen Belastungen sind Schulleitungen dabei ausgesetzt?

Mußmann: Schulleiterinnen und -leiter sind erst einmal für die gesamte Organisation verantwortlich und Entscheidungsträger vor Ort. Und dann sind sie häufig Troubleshooter, das heißt, sie springen ein, wenn unterstützt werden muss oder Unterricht auszufallen droht. Damit aber nicht genug: Bei den sogenannten außer-unterrichtlichen Tätigkeiten liegt ihre Mehrarbeit deutlich über dem Soll. Bei einem Soll von zum Beispiel 11 Wochenstunden lagen sie in unserer Studie teilweise bei 20 Stunden pro Woche!

  • E&W: Um welche Tätigkeiten handelt es sich hierbei?

Mußmann: Das sind beispielsweise -pädagogische Gespräche mit Schülern, Eltern, Lehrkräften, ferner Schulfeste, Projekttage etc. oder auch die Teilnahme an Ausschüssen und Konferenzen.

  • E&W: Wie wirkt sich diese Mehrbelastung insbesondere auf die psychische Gesundheit aus?

Mußmann: Die Burnout-Werte sind in unseren Untersuchungen im Durchschnitt aller Lehrkräfte hoch. Im Schnitt liegen sie auf einer Skala von 0 bis 100 bei Lehrkräften zwischen 50 und 60, bei anderen Berufsgruppen eher unter 50 Punkten. Besonders -belastete Lehrkraftgruppen überschreiten aber auch die Schwelle von 60 Punkten und tragen dann ein erhöhtes Risiko, ein Burnout zu erleiden. Schulleiterinnen und -leiter dürften hier keine Ausnahme bilden. Repräsentative Daten dazu haben wir allerdings nicht, da die identifizierte Gruppe in unserer -Arbeitszeitstudie zu klein war.

  • E&W: Das Verwaltungsgericht Hannover hat Ende 2020 die Klage eines der eingangs erwähnten Schulleiter abgewiesen, obwohl es die Mehrarbeit ausdrücklich anerkannte. Wie erklären Sie sich das?

Mußmann: Dass das Gericht die außerordentliche Arbeitsbelastung des Schulleiters bestätigt hat, ist zunächst einmal eine wichtige gerichtliche Feststellung. Dass es die Klage dennoch zurückgewiesen hat, weil die Form der Arbeitszeit-erfassung im vorliegenden Fall nicht immer eindeutig gewesen sei, kann ich so nicht nachvollziehen. Zuordnungsfragen, also für welche Tätigkeit genau wie viel Zeit aufgewendet wurde, sind nachgelagert. Es kann ja auch der Hektik des Tagesgeschäfts geschuldet sein, wenn zum Beispiel Gespräche mit Hausmeistern als „außerunterrichtlich“ und nicht als „Schulleitungstätigkeit“ eingetragen werden. Entscheidend ist doch, dass die Mehrarbeit angefallen ist – und zwar durchgängig und über einen längeren Zeitraum hinweg.

Das wird in der nächsten Instanz geklärt werden müssen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, das Problem stark überhöhter Arbeitszeiten bei Lehrkräften und insbesondere Schulleitungen ist damit keineswegs vom Tisch. Die Zuordnung von Tätigkeiten ist manchmal nicht einfach. Wenn sich zum Beispiel ein Schulleiter abends nach offiziellem Dienstschluss mit anderen Schulleiterinnen und -leitern trifft, um sich über gemeinsame Probleme und Vorhaben auszutauschen, dann kann dies schlecht als Privatvergnügen abgetan werden, nur weil man sich dazu in einer Gaststätte getroffen hat.

  • E&W: Dass ein Schulleiter morgens die Schule aufschließen muss, weil der Hausmeister erkrankt ist, ist auch keine Seltenheit. Was muss sich im System Schule ändern?

Mußmann: Aufgrund der Tatsache, dass es an den meisten Schulen noch immer keine multiprofessionellen Teams gibt und die Personaldecke durchweg dünn ist, müssen Schulleiterinnen und -leiter immer wieder die Lücken schließen, das ist leider so. Kein Schulleiter und keine Schulleiterin sollte sich mit IT- oder Verwaltungsaufgaben herumschlagen müssen. Mehr Personal und multiprofessionelle Teams würden nicht nur die Lehrkräfte, sondern ebenso Schulleitungen entlasten und Mehrarbeit reduzieren.

Wir dürfen den Blick aber nicht nur auf die oberste Leitungsebene richten. Unsere Auswertung für das niedersächsische Expertengremium hat zum Beispiel auch gezeigt, dass bei den Koordinatorinnen und Koordinatoren, die auf der Ebene zwischen Leitung und den Lehrkräften tätig und unter anderem für die Stundenpläne zuständig sind, die Mehrarbeit und die psychische Belastung besonders hoch sind.

Frank Mußmann