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Coronapandemie

„Der Handlungsdruck ist immens hoch“

Angesichts dramatisch steigender Corona-Infektionszahlen fordert die GEW, Schulen nicht alleine zu lassen und sie schnellstens mit Luftfiltern auszustatten.

Die Schulen brauchen dringend Luftfilter. (Foto: GEW/Shutterstock)

Angesichts der aktuell exponentiell steigenden Infektionszahlen und der schon jetzt hohen Auslastung der Krankenhäuser mahnt die GEW, dass Kommunen und Länder die Schulen besser unterstützen. „Die Schulen dürfen bei den jetzt rasant steigenden Inzidenzzahlen nicht zu Infektionstreibern werden und von den Verantwortlichen in den Kommunen und Ländern nicht alleine gelassen werden“, sagte die GEW Vorsitzende Maike Finnern der „Welt“.

Situation darf nicht aus dem Ruder laufen

„Gerade in der beginnenden kalten Jahreszeit muss endlich der flächendeckende Einbau von Luftfilteranlagen, eingebettet in Raum-, Lüftungs- und Hygienekonzepte, schnellstens erfolgen. Der Handlungsdruck ist immens hoch. Kultusministerien, Schulbehörden und -träger sind gefordert, die Schulen zu unterstützen, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft. Sie haben es in der Hand, Schulschließungen zu verhindern. Werden alle Präventionsmaßnahmen ermöglicht und umgesetzt, können die Gesundheitsämter bei Coronafällen kurze Quarantänezeiten möglich machen und Schulen möglichst offen lassen.“

ZDF heute: Um Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte vor einer Covid-19-Infektion zu schützen, fordert die GEW einen flächendeckenden Einsatz von Luftfiltern in deutschen Schulgebäuden. Tatsächlich werden diese Geräte aber regional und auch lokal sehr unterschiedlich stark genutzt. Wie weit sind wir aus Ihrer Sicht von einem flächendeckenden Einsatz in Deutschland entfernt?

Maike Finnern: Bundesweit sind nicht einmal in der Hälfte der Schulen die notwendigen Luftfilteranlagen, eingebettet in Raum-, Lüftungs- und Hygienekonzepte, eingebaut worden. Die 200 Millionen Euro, die die Bundesregierung im Sommer für mobile Luftfilter an Kitas und Schulen bereit gestellt hat, sind noch nicht abgerufen worden. Die Verwaltungsvereinbarungen und die Förderprogramme, die die Länder beschließen bzw. auflegen müssen, gibt es bis heute mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Bayern nicht. Es ist – gerade angesichts der rasant steigenden Inzidenzzahlen und der schon jetzt hohen Belastung der Krankenhäuser – unverantwortlich, wie langsam die Mühlen der Bürokratie mahlen – und damit die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und der Lehrkräfte zusätzlich gefährden.

Zudem haben viele Kommunen aber auch die Landesprogramme zur Anschaffung von Lüftungsanlagen bisher nicht ausreichend genutzt, weil es ihnen angeblich an gesicherten Erkenntnissen über deren Nutzen mit Blick auf den Gesundheitsschutz fehlt. So ist deutschlandweit ein bunter Flickenteppich entstanden.

Welche Möglichkeiten sieht die GEW, die verantwortlichen Schulträger dahinzubringen, endlich ausreichend Geräte zur Verfügung zu stellen?

Die Landesmittel, die die Schulträger bisher genutzt haben, sind bei weitem nicht ausreichend. Sie müssen aufgestockt werden. Zudem müssen die Länder endlich die notwendigen Verwaltungsvereinbarungen abschließen und weitere Förderprogramm auflegen, damit die Schulträger die bereitstehenden Bundesmittel abrufen können. Zusätzlich müssen die Beantragungshürden gesenkt werden. Wenn das nicht schnellstens klappt, müssen Bund und Länder andere Lösungen finden, um die Gelder zu verteilen. Denkbar ist beispielsweise, dass die Schulträger die Mittel direkt bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragen können. Und: Auch der Topf der Bundesmittel muss erhöht werden.

Noch immer ist seitens einiger Schulträger das Argument zu hören, dass mobile Luftreiniger nicht das probate Mittel seien, sondern einzig starkes, regelmäßiges Durchlüften Sicherheit bringe. Was entgegnen Sie einer solchen Aussage?

Klar ist: Luftfilter sind nicht das Allheilmittel, um Infektionen zu vermeiden. Aber sie reduzieren die Virenlast erheblich. Lüftungskonzepte sind daher ein wichtiges Instrument in einem Gesamtpaket zum Schutz der Gesundheit der Schülerinnen, Schüler, deren Eltern und der Lehrkräfte. Zu diesem gehören die Einhaltung der AHA-Regeln, eine Teststrategie, die drei Tests pro Woche vorsieht, und die Impfkampagne inklusive der Boosterimpfungen konsequent voran zu treiben. Gerade in der beginnenden kalten Jahreszeit ist es eine Illusion, die Klassenräume regelmäßig ausreichend zu lüften. Erkältungskrankheiten sollten nicht Tür, Tor und Fenster geöffnet werden.

In einigen Foren „Sozialer Medien“ wie Facebook wird bereits wieder eine Debatte über „härtere Maßnahmen an Schulen“ geführt, und es werden gar Forderungen nach sofortigem „Homeschooling“ laut. Ist aus Ihrer Sicht zu befürchten, dass diese Debatte wieder Fahrt aufnimmt und demnächst wieder Eltern daheim ihre Kinder unterrichten müssen?

Kultusministerien, Schulbehörden und -träger müssen die Schulen unterstützen, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft. Sie haben es in der Hand, Schulschließungen zu verhindern. Werden alle Präventionsmaßnahmen möglich gemacht und umgesetzt (s. Frage 3 „Gesamtpaket“), können die Gesundheitsämter bei Coronafällen kurze Quarantänezeiten zulassen und Schulen möglichst lange offen halten. Das Thema „Fernunterricht“ steht zurzeit nicht ernsthaft zur Debatte. Vor diesem Schritt müssen auf alle Fälle Wechselunterrichtsmodelle entwickelt und eingesetzt werden.

Allen Beschäftigten Boosterimpfung anbieten

Den bestmöglichen Gesundheitsschutz für Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und die Lehrkräfte böte das Zusammenspiel eines Maßnahmenpakets. Zu diesem gehörten die Einhaltung der AHA-Regeln, ein Lüftungskonzept und eine Teststrategie, die drei Tests pro Woche vorsieht - am besten für alle, egal ob geimpft, genesen oder nicht geimpft.

„Masken in Innenräumen sind eine sinnvolle Maßnahme, um Infektionen zu verhindern. Dass sich die Länder nicht auf gemeinsame Regeln zum Thema Masken verständigt haben, ist kontraproduktiv und schadet damit der Akzeptanz der Maßnahmen durch Eltern, Schülerinnen und Schüler“, sagte Finnern.

Die GEW mahnt auch, die Impfkampagne konsequent voranzutreiben. „Es ist gut, dass die Impfquote der an Schule Beschäftigten bei 95 Prozent liegt. Allen Beschäftigten muss nach sechs Monaten schnell und unkompliziert eine Boosterimpfung angeboten werden. Der Impfschutz ist auf mittlere und lange Sicht die beste Schutzmaßnahme“, so die GEW-Chefin.

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.