Privatisierungsreport Online
Schulen nach Vorbild digitaler Plattform-Firmen umbauen?
Schulen sollen sich an digitalen Unternehmen der „Plattform-Ökonomie“ orientieren und Schüler*innen auch Module „externer Anbieter“ bereitstellen, fordern Teilnehmende der „Weimarer Gespräche“. Die GEW lehnt das ab.
Schulen sollen sich an digitalen Unternehmen der „Plattform-Ökonomie“ orientieren und den Schüler*innen Module auch von „externen Anbietern“ bereitstellen. Dies fordern Teilnehmende der von Stiftungen geförderten „Weimarer Gespräche“ – und stoßen auf Gegenrede der GEW.
Lieferando, Uber und Airbnb als Vorbild?
Schloss Ettersburg, ein nobles Tagungshotel in der Nähe von Weimar. Hier fanden vom 20.8. bis 23.8.2024 die „Weimarer Gespräche“ statt. Geleitet von Ekkehard Thümler, der zuvor unter anderem für die Bertelsmann-Stiftung und die Joachim-Herz-Stiftung arbeitete. Die 23 Teilnehmenden diskutierten, wie die „Transformation des Schulsystems“ gelingen könne. Der Umbau der Schule, so die Webseite der „Weimarer Gespräche“, solle sich „an den innovativsten Unternehmen unserer Zeit orientieren: den digitalen Plattformen“. Gemeint sind Unternehmen wie Lieferando, Uber oder Airbnb, die via Internet Anbieter und Nachfrager von Dienstleistungen zusammenbringen – aber selbst nicht als Arbeitgeber der Anbietenden auftreten.
Auch „externe Anbieter“ mobilisieren
Diese Unternehmen, schreibt Thümler in den Begleitmaterialien zu den „Weimarer Gesprächen“, seien „durch digitale Datenströme“ laufend in Kontakt mit den Nachfragern und deshalb in der Lage, sich an „ständig wechselnde Kundenbedürfnisse“ anzupassen. Schule heute hingegen sei durch das Industriezeitalter geprägt und produziere ein „hochstandardisiertes Angebot“, das den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler nicht gerecht werde. Dieses System gelte es zu überwinden.
Die Teilnehmenden der „Weimarer Gespräche“ fordern, „Schule als Plattform“ zu organisieren. Dazu gehöre, so Thümler, eine „Modularisierung der Angebote“, bereitgestellt auch durch externe Anbieter. Die Mobilisierung externer Anbieter habe zugleich das Potenzial, so Thümler, „ein großes neues Reservoir an Lehrkräften zu erschließen“. Es gelte außerdem, Schulverbünde mit hoher Autonomie zu schaffen, die in „Netzwerke aus staatlichen wie privaten Bildungsorganisationen eingebettet sind“. Ekkehard Thümler ist Geschäftsführer von „Tutoring for All“, einem gemeinnützigen Anbieter von Leseförderung. (siehe „Nicht auf ausgebildete Lehrkräfte angewiesen“)
Gefördert werden die jährlich stattfindenden „Weimarer Gespräche“ durch die Beisheim-Stiftung des Metro-Gründers Otto Beisheim. Unterstützung leistet zudem die „unternehmerstiftung für chancengerechtigkeit“, hinter der Vorstandsmitglieder und Gründer stehen, etwa von Boehringer Ingelheim, Hexal, Fressnapf und United Internet.
„Die Ergebnisse zeigen, dass Plattformen noch weit davon entfernt sind, grundlegende Standards für faire Arbeit zu etablieren.“ (Arbeitnehmerkammer Bremen)
Thümler fordert zwar, dass das Management der Plattformen „die Qualität der Anbieter kontrollieren“ müsse. Jedoch ist tiefer gehende Kritik an der Plattform-Ökonomie in den Veröffentlichungen der „Weimarer Gespräche“ kaum zu finden.
Ein umfassendes Bild liefert die Arbeitnehmerkammer Bremen. Sie betont: Zwar hätten digitale Plattform-Unternehmen viele Arbeitsplätze geschaffen. Auch sorgten sie dafür, dass Verbraucher*innen rund um die Uhr Zugang zu einer größeren Auswahl von Produkten und Dienstleistungen haben. Allerdings: „Die Einkommen sind niedrig. Beschäftigte, die ausschließlich von dieser Arbeit leben, leben oft in prekären Verhältnissen und sind selten arbeitsrechtlich abgesichert“. Die Arbeitnehmerkammer Bremen verweist auf die Initiative Fairwork, die 2021 insgesamt 15 digitale Plattformen untersucht hat. „Die Ergebnisse zeigen, dass Plattformen noch weit davon entfernt sind, grundlegende Standards für faire Arbeit zu etablieren.“
GEW: Schulen sind kein digitaler Marktplatz
Widerspruch kommt zudem von Anja Bensinger-Stolze, für Schule zuständiges GEW-Vorstandsmitglied: „Schulen dürfen nicht zum digitalen Marktplatz mutieren, auf dem Externe nach dem Prinzip von try and error ihre Angebote feilbieten.“ Schon bei Lehrmaterialien aus dem Internet, oft bereitgestellt von unternehmensnahen Akteuren, fehle es an wirksamer Kontrolle.
„Wir sind auch dagegen, dass Schulen massenhaft Daten der Schülerinnen und Schüler sammeln“, betont Bensinger-Stolze. „Was wir brauchen, sind wirksame Maßnahmen gegen Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfall, mehr Stellen für multiprofessionelle Teams in den Schulen und deutlich mehr Ressourcen für besonders benachteiligte Bildungseinrichtungen.“