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„Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“

Scharia-Camp statt Schule

Für seinen Dokumentarfilm „Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“ hat der in Berlin lebende Regisseur Talal Derki zwei Jahre lang bei einer radikalislamischen Familie in Syrien gelebt und die Ausbildung der Söhne zu Gotteskriegern beobachtet.

Foto: Port au Prince Pictures

Der kleine Osama hat einen Vogel gefangen, will ihn behalten und in einen Käfig stecken. „Man sperrt keine Tiere ein“, sagt Vater Abu Osama jedoch streng. Als er seinen Sohn später fragt, was er mit dem Vogel gemacht habe, lautet die Antwort unbekümmert: ihm den Kopf abgeschlagen – „so, wie du es mit dem Mann gemacht hast, Papa“. Talal Derkis Dokumentarfilm „Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“ zeigt es an dieser Stelle nicht mehr, aber vermutlich ist der in einem kleinen Dorf im Norden Syriens lebende Salafistenführer gerade sehr stolz auf seinen Sohn. Schließlich will er ihn und seine sieben Brüder zu sogenannten Gotteskriegern erziehen: Scharia-Militärcamp statt Schule. Die Allerkleinsten können kaum sprechen, da sollen sie schon Koranverse rezitieren.

Unabhängig davon, wie viele Dokumentationen man bereits über den „Islamischen Staat“ und den durch ihn verbreiteten Terror gesehen hat: Was der in Berlin im Exil lebende syrische Regisseur Derki, dessen Film in der Kategorie Dokumentarfilm für den Oscar nominiert war, aus dem Wohnzimmer der Salafisten und den Trainingscamps für junge Kämpfer zeigt, ist erschütternd. Er stellt nicht nur dar, wie alternativlos der Lebensweg der meist als Analphabeten aufwachsenden Kinder ist, sondern deutet an, wie diese die Geschichte der vom Krieg zerstörten Region fortschreiben werden.

Für sein mutiges und riskantes Projekt lebte Derki, der sich als Dschihadisten verehrender Kriegsreporter ausgab, rund zwei Jahre lang bei der Großfamilie Abu Osamas. Der 45-Jährige, der 2018 beim Entschärfen einer Autobombe starb, gehörte zu den Gründern der Al-Nusra-Front – ein syrischer Zweig der Terrororganisation Al-Qaida. Mit dem Vertrauen des Clan-Chefs, Vater von zwölf Kindern zweier Ehefrauen, bekam Derki einen intimen Einblick in eine hermetisch abgeriegelte Welt. Nie zuvor schilderte eine Dokumentation so nah die radikalislamische Erziehung und Ausbildung der Kinder dort.

„Ich befürchte immer, dass plötzlich ein Auto kommt und ich entführt werde. Vielleicht werden sie mich für den Rest meines Lebens jagen.“ (Talal Derki)

Verstörend dabei ist auch: Bombenleger Abu Osama, der seine Söhne in den Kampf statt in die Schule schickt und damit ihren möglichen Tod in Kauf nimmt, geht zugleich sehr liebevoll mit ihnen um. Und die Jungen verpetzen zwar andere Kinder wegen Gotteslästerung und werfen verächtlich Steine auf den Bus der Lehrerinnen, spielen und toben aber ansonsten ebenso unschuldig, wie es Kinder überall auf dieser Welt tun.

Frauen sieht man in der 99 Minuten dauernden Dokumentation keine einzige. Sie zu filmen, war für Derki aus religiösen Gründen tabu. Abu Osamas Töchter, die wie ihre Mütter das Haus nicht verlassen dürfen, sind für den Filmemacher ohnehin die vielleicht noch größeren Opfer: „Wenn sie 15 Jahre alt sind, verheiratet er sie mit einem seiner Freunde. Sie müssen dann möglichst viele Kinder gebären, kochen, putzen und ihren Männern dienen.“

Zurück in Deutschland kämpft Derki noch immer mit den psychologischen Folgen der Zeit in Syrien – und den Konsequenzen seiner Enttarnung. Seit „Of Fathers and Sons“ auf den ersten Filmfestivals gezeigt wurde und Derki arabischen Medien Interviews gab, ist den Dschihadisten seine wahre Identität bekannt: „Ich befürchte immer, dass plötzlich ein Auto kommt und ich entführt werde. Vielleicht werden sie mich für den Rest meines Lebens jagen“, sagt er. Schon in Syrien habe er ständig Angst gehabt, aufzufliegen.

Warum begab er sich überhaupt in so große Gefahr? Er habe tief in die Psychologie des Krieges in seinem Heimatland eintauchen wollen, erklärt er. Das bedeutete für ihn, tatsächlich zu verstehen, wie Al-Qaida die Gesellschaft manipuliere und die junge Generation einer Gehirnwäsche unterziehe. „Dazu gab es nur den Weg, diese Erfahrung mit den Menschen, die sie machen, zu teilen.“

„Of Fathers and Sons“ läuft ab 21. März in den Kinos.