Jugendgewalt geht nach Ansicht des Experten Joachim Kersten insbesondere auf eine prekäre soziale und wirtschaftliche Lage junger Menschen zurück. „Da sieht es bei vielen Heranwachsenden mit Migrations- oder Fluchthintergrund in der Tat nicht rosig aus, wenn sie nach Europa kommen“, sagte der Jugendgewaltforscher im „E&W“-Interview. Viele Flüchtlinge in Deutschland seien zudem zwischen 15 und 25 Jahren – einer Altersphase, in der Jugendgewalt stattfindete. Kersten warnte aber davor, Männlichkeitswahn als gewaltauslösenden Faktor zu betrachten. „Nur weil junge Männer ‘südländisch’ aussehen, sind sie nicht gleich Machos und als solche gewalttätig.“
Für Männer in früheren patriarchalen Gesellschaften seien die Verteidigung des Territoriums, die Versorgung und der Schutz der Familien überlebenswichtig gewesen. In einer demokratischen Gesellschaft sei diese Einstellung zwar obsolet und sinnentleert. „Trotzdem wird sie heute von einigen jungen Männern vehement reklamiert“, sagte Kersten. Die Straße schaffe dabei einen Zusammenhalt, der ebenso stark sein könne wie familiäre Bindungen. „Deswegen kommt Sozialarbeit durch Ermahnungen, Sport- oder Freizeitprogramme nur schwer an diese 13- bis 18-Jährigen ran.“
Gewalt könne man jedoch vorbeugen, wenn man bereits in den Kitas, spätestens aber in der Grundschule beginne, sowohl ein Gemeinschafts- als auch ein Schamgefühl zu entwickeln. „Wenn ich lerne, für mein negatives Verhalten in der Gruppe Scham zu ertragen, ohne dass mein Selbstwert gefährdet ist, muss ich Fehlverhalten nicht mehr verdrängen, auch nicht durch mehr Gewalt“, erklärte Kersten. „Doch das Einüben von Scham kommt mir in den Bildungsinstitutionen generell zu kurz.“
Das komplette Interview von Helga Haas-Rietschel ist in der Septemberausgabe der „E&W“ nachzulesen.