Es ist ein trauriger Anlass, der Sexismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat: die Silvesternacht in Köln und anderen Städten. Sie hat deutlich gemacht, dass Frauen im öffentlichen Raum vor körperlicher und sexualisierter Gewalt nicht sicher sind. Die Opfer hatten keine Chance, sich zu wehren. Sie waren den Angriffen junger Männer in Anwesenheit von Polizei und Sicherheitskräften schutzlos ausgeliefert. Diese Vorfälle sind schockierend. Nicht hinzunehmen. Und durch nichts zu rechtfertigen.
Sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum wie in der Familie ist immer unentschuldbar. Gewalt macht stumm. Verletzt persönliche Integrität. Gewalt ist nie privat. In der Debatte vergangener Wochen ging jedoch das eigentliche Thema verloren. Sexuelle Gewalt spielt offensichtlich nur dann gesellschaftlich eine Rolle, wenn sie für politische Zwecke instrumentalisiert werden kann. Doch was wir jetzt gar nicht brauchen, ist eine rassistisch gefärbte Sexismus-Diskussion.
Wer die Tätergruppe jener Nacht war, ist aber auch nicht egal. Wie mit den Männer- und Frauenrollen in bestimmten Herkunftsländern der Zugewanderten umzugehen ist, muss diskutiert werden – aber ohne in fremdenfeindliche Diskurse zu fallen. Man darf den kulturellen und religiösen Hintergrund der Täter nicht ausblenden. Denn die Übergriffe in Köln wurden nicht von einzelnen, sondern von einer großen Männergruppe begangen, die dem gleichen Kulturkreis angehört.
Was wir brauchen ist eine Kultur des Respekts vor Frauen. Sexismus und sexuelle Gewalt erfahren Frauen täglich, unabhängig vom religiösen, kulturellen, geographischen Hintergrund oder der sozialen Herkunft der Opfer wie der Täter. Doch wir können Einstellungen in den Familien, bei jungen Frauen und Männern nur ändern, wenn wir verstehen, wie diese zustande kommen. Die Täter der Silvesternacht sind in erster Linie Männer, die, vermutlich organisiert, Frauen sexuell belästigt, bedrängt, vergewaltigt haben. Solche massiven sexuellen Übergriffe sind auch vom Tahir-Platz in Kairo, aber auch aus Großstädten Indiens und Brasiliens bekannt.
Verantwortung der Zivilgesellschaft
Es zeigt: Je patriarchaler eine Gesellschaft geprägt ist, desto mehr lernen Jungen schon früh, Mädchen seien nichts wert und sie könnten sich daher „nehmen“, was sie wollten. Das ist ein universelles patriarchales Muster. Die Geschlechterhierarchie ist je nach Religion und Kultur unterschiedlich stark ausgeprägt. Patriarchale Muster in den Familien sind aber kein Schicksal. Geschlechterrollen verändern sich auch in den Einwanderermilieus, wenn Integration gelingt. Dafür braucht es Bildung, Arbeit, Freundinnen und Freunde in der hiesigen Gesellschaft.
Fest steht: Sexuelle Gewalt ist eine Folge der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Sexismus gehört auch in unserer Gesellschaft zum Alltag und bildet den Nährboden der Gewalt gegen Frauen. Den darf es in einer demokratischen Gesellschaft aber nicht geben. Unsere Aufgabe als Bildungsgewerkschafterinnen und ‑gewerkschafter ist es daher, ein Bewusstsein zu schaffen, dass sexuelle Belästigung und Gewalt nicht vorkommen dürfen. Wir alle müssen patriarchale Frauen- und Männerbilder scharf kritisieren und zurückweisen. Weder sexistische Anzüglichkeiten noch sexuelle Übergriffe dürfen wir dulden. Als Teil der Zivilgesellschaft sind wir mitverantwortlich, dass sich Frauen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum angstfrei bewegen können.
Die Vorfälle in Köln und anderswo sowie die Reaktionen in den Medien unterstreichen die Notwendigkeit einer systematischen geschlechterreflektierten Bildungsarbeit mit jungen Männern. Nicht nur, aber eben auch mit Geflüchteten und Migranten. Sexismus zu überwinden, bleibt eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Deshalb: Respekt! Stoppt Sexismus!