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Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)

Reformwille allerorten

Den GEW-Slogan „Dauerstellen für Daueraufgaben“ hat die Politik längst übernommen. Bei der jüngsten Abgeordneten-Runde zum Thema „Entfristet Hanna!“ zeigte sich zudem parteiübergreifend Zustimmung für weitere Vorschläge der Gewerkschaft.

„Die Richtung der Debatte stimmt“, sagt GEW-Hochschulexperte Andreas Keller.

Die GEW hat für ihre Pläne zur erneuten Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) einmütig Rückendeckung aus der Politik bekommen. Bei der Onlinediskussion „Entfristet Hanna! Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz: novellieren, reformieren oder abschaffen?“, zu der die Gewerkschaft geladen hatte, betonten die Hochschulexpertinnen und -experten von SPD, Grünen, FDP, Union und Linke, die Arbeitsbedingungen und Karriereperspektiven in Forschung und Lehre verbessern zu wollen.

„Die Richtung der Debatte stimmt.“ (Andreas Keller)

Die Titelfrage wurde in den zwei Stunden zwar nicht beantwortet, aber: „Die Richtung der Debatte stimmt“, sagte der GEW-Hochschulexperte und Vizevorsitzende Andreas Keller.

Nachdem die Evaluation des WissZeitVG gezeigt hatte, dass die Novelle aus dem Jahr 2016 kaum wirksam war, legte die GEW Anfang Juni ein Acht-Punkte-Programm vor und forderte ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“. Inzwischen liegen eine Vielzahl von Reformvorschlägen auf dem Tisch, darunter auch von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sowie den Initiatorinnen und Initiatoren von #IchBinHanna.

Aktuell ist Austausch angesagt: Keller kündigte am Donnerstag an, Ausführungen aus der Podiumsdiskussion in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen, den die Gewerkschaft bei ihrer Wissenschaftskonferenz im September in Dresden präsentieren will.   

„Es geht nicht darum, alle mit Dauerstellen zu versehen, aber zu klären, was ist eine Qualifikationsphase und was nicht.“ (Laura Kraft)

Breite Zustimmung fand in der Abgeordnetenrunde insbesondere die Forderung, den Begriff der Qualifizierung – etwa zur Promotion - eindeutig zu fassen, damit nicht jede Tätigkeit als Grund zur Befristung genutzt werden kann. „Es geht nicht darum, alle mit Dauerstellen zu versehen, aber zu klären, was ist eine Qualifikationsphase und was nicht“, sagte die Grünen-Politikerin Laura Kraft. Einig waren sich zudem alle, dass die Laufzeiten befristeter Qualifizierungsverträge an die realistische Dauer einer Promotion angepasst – sprich ausgeweitet - werden müssten.

Auch die Postdoc-Phase, in der viele Kandidatinnen und Kandidaten um wenige Optionen konkurrieren, wollen die Parteien anders gestalten, um planbare Karrierewege zu ermöglichen. Prof. Stephan Seiter (FDP) warb dafür, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Entwicklung schon früher stärker zu begleiten. „Es kann nicht jeder bei einer Professur landen, da müssen wir eine ehrliche Lösung finden“, betonte Thomas Jarzombek (CDU). Die SPD-Abgeordnete Carolin Wagner plädierte zwar für Dauerstellen für Daueraufgaben, gab aber zugleich zu bedenken: „Wir brauchen auch kluge Köpfe außerhalb des Wissenschafts- und Hochschulsystems.“

„Es geht um mehr als Kosmetik, es geht um einen echten Paradigmenwechsel.“ (Nicole Gohlke)

Unterdessen mahnte die Vertreterin der Partei Die Linke, Nicole Gohlke: „Es geht um mehr als Kosmetik, es geht um einen echten Paradigmenwechsel.“ Um wirksame Reformen anzustoßen, sei ein anderer Blick auf den Wissenschaftsbetrieb erforderlich. „Hochschulen erfüllen dauerhafte Aufgaben, da versuchen Leute nicht kurzfristig, sich zu qualifizieren.“ Auch für Kraft geht es um mehr als ein verändertes WissZeitVG: „Wir müssen über neue Strukturen an den Hochschulen nachdenken.“ Das Gesetz allein werde nicht alle Probleme lösen.

Auch Hochschulfinanzierung neu denken

Derweil wurde erneut klar, wie untrennbar die Debatte mit dem Thema Hochschulfinanzierung verbunden ist. „Wir müssen den Einstieg in eine verlässliche und dynamische Grundfinanzierung finden“, forderte Gohlke. Seiter plädierte für einen stärkeren Bund-Länder-Dialog zu Finanzierungs- und Verteilungsfragen.

Bei insgesamt viel Einigkeit war schwer auszumachen, was künftige Knackpunkte der Debatte sein werden. Wagner gab sich zudem vorsichtig: „Wir sind am Beginn des Prozesses, da will ich noch nicht so viele Pfeiler in den Boden schlagen.“ Brisanz erkennen ließ bereits das Thema befristeter Drittmittel-Stellen: Über Jarzombeks Vorstoß, sich hier dem Arbeitsrecht der Wirtschaft anzunähern, wird sicher weiter diskutiert werden.  

Für die GEW wurde zudem erkennbar, welche Aspekte ihres Acht-Punkte-Programms noch nicht so viel Aufmerksamkeit haben: Kaum aufgegriffen wurden die Forderungen nach einer ersatzlosen Streichung der Tarifsperre sowie die verbindliche Ausgestaltung der Verlängerungsoptionen zum Nachteilsausgleich.

  1. Die GEW fordert eine Begrenzung der Qualifizierungsziele von nicht-promoviertem wissenschaftlichen und künstlerischen Personal auf die Promotion, an den Musik- und Kunsthochschulen auch auf äquivalente Qualifizierungen, sowie von promoviertem wissenschaftlichen und künstlerischen Personal auf die Habilitation oder eine gleichwertige Qualifizierung für eine Professur bzw. eine andere verantwortungsvolle Tätigkeit in Forschung und Lehre. 
  2. Die GEW fordert die Orientierung der Laufzeiten für befristete Qualifizierungsverträge an der Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren (Regellaufzeit) und die Festlegung einer Mindestvertragsdauer von vier Jahren (Untergrenze). 
  3. Die GEW fordert die gesetzliche Verankerung von Dauerstellen für Daueraufgaben in Lehre, Forschung und Wissenschaftsmanagement. Eine Befristung von Arbeitsverträgen mit promoviertem wissenschaftlichen Personal ist nur dann gerechtfertigt, wenn diesem zugleich eine verbindliche und berechenbare Dauerperspektive eröffnet wird: über einen Tenure Track oder eine Anschlusszusage, die zu einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis führen, wenn die vereinbarten wissenschaftlichen Qualifizierungsziele erreicht werden. 
  4. Die GEW fordert, alle wissenschaftlich Beschäftigten, die überwiegend Lehraufgaben oder Aufgaben im Wissenschaftsmanagement oder in der Wissenschaftsverwaltung übernehmen, aus dem Geltungsbereich eines neuen Wissenschaftsentfristungsgesetzes auszuschließen und für diese Personengruppe explizit die unbefristete Beschäftigung gesetzlich zu verankern, sofern keine Sachgründe für eine Befristung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz vorliegen.
  5. Die GEW fordert eine Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft, die sicherstellt, dass mit Drittmitteln finanzierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur dann befristet beschäftigt werden, wenn sie keine Daueraufgaben erfüllen. 
  6. Die GEW fordert die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Verlängerung von zur Qualifizierung befristeten Beschäftigungsverhältnissen um mindestens zwei Jahre bei Betreuung von Kindern (familienpolitische Komponente), um zwei Jahre bei Vorliegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung sowie um mindestens ein Jahr für alle, die pandemiebedingte Beeinträchtigungen und Verzögerungen geltend machen – auch über die Höchstbefristungsdauer von sechs plus sechs bzw. neun Jahren hinaus.
  7. Die GEW fordert den Verzicht auf eine Höchstbefristungsgrenze für studentische Beschäftigung und die gesetzliche Verankerung einer Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren.
  8. Die GEW fordert einen vollständigen Verzicht auf die Tarifsperre.