Leipziger Autoritarismus-Studie 2020
Rechtsextreme Einstellungen bleiben auf hohem Niveau
Die extreme Rechte hat sich stark radikalisiert und findet mittels Antisemitismus, Verschwörungsmythen und Antifeminismus Anschluss an die gesellschaftliche Mitte. Das ist ein Ergebnis der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020.
Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen bleiben eine Bedrohung für die demokratische Gesellschaft. Auch wenn sich die Verbreitung manifester rechtsextremer Einstellungen insgesamt reduziert habe, hätten sich neonazistische Ideologien bei Rechtsextremen verfestigt, heißt es in der Studie „Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments - neue Radikalität“ der Universität Leipzig. Dabei gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle.
So stimmten mehr als 17 Prozent der Befragten der Aussage zu, Deutschland brauche „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Mit etwa 29 Prozent Zustimmung ist dieser Wunsch unter Ostdeutschen weitaus verbreiteter als im Westen (14 Prozent). Einen „Führer“ wünschen sich 14,4 Prozent in Ost- und 7,1 Prozent in Westdeutschland und damit insgesamt etwa jeder bzw. jede zwölfte Deutsche.
Im Vergleich zum Jahr 2018 nahm die Muslimfeindschaft zwar ab, bleibt jedoch stark ausgeprägt. Fast die Hälfte der Befragten (46,8 Prozent) stimmt der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ Die Forderung nach einem Zuwanderungsverbot wird von jedem bzw. jeder Vierten vertreten, in Ostdeutschland sogar von 40,2 Prozent. Zehn Prozent stehen hinter der Aussage: „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß.“ Doppelt bis dreifach so hoch ist die latente Zustimmung zu solchen klassisch antisemitischen Aussagen. Mehr als die Hälfte sagt Ja zu dem Satz: „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität.“
Akut: Rechtsextreme Gewalt und Demokratiefeindlichkeit
Die Personengruppe mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild macht der Studie zufolge aktuell 4,3 Prozent der Bevölkerung aus. Für knapp die Hälfte der Rechtsextremen ist körperliche Gewalt ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung, ein Viertel von ihnen ist selbst zur Gewalt bereit. „Hier wird die Gefahr konkret, die von dieser Bevölkerungsgruppe ausgeht“, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie.
Es gebe weiter „akuten Handlungsbedarf“ – auch mit Blick auf die größere Verbreitung demokratiefeindlicher Einstellungen im Osten und unter den jüngeren Befragten. Darüber hinaus warnen die Experten vor einem „Gewöhnungseffekt“. Ethnozentrismus, Chauvinismus, Rassismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit seien eine „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus.
Glaube an Verschwörungserzählungen steigt
Auffällig ist die steigende Verbreitung der Verschwörungsmentalität mit einem Plus von knapp acht Prozent. Vor allem Covid-19-Mythen bekommen viel Zustimmung. Fast die Hälfte der Befragten steht hinter der Aussage: „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen.“ Rund ein Drittel befürwortet den Satz: „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können.“
Dem Thema „Aberglaube, Esoterik und Verschwörungsmentalität in Zeiten der Pandemie“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Außerdem werden Antisemitismus und erstmalig auch Antifeminismus als zentrale Dimensionen rechtsextremer Ideologie genauer untersucht. Antifeministische Einstellungen und Ressentiments sind dabei oft mit anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit verbunden. Besonders hohe Übereinstimmungen zeigen sich mit den Dimensionen Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus.
Politische Bildung und Demokratieförderung notwendig
Die Leipziger Studien zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland werden seit 2002 alle zwei Jahre von einer Arbeitsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler der Universität Leipzig durchgeführt. Seit 2018 liegt der Schwerpunkt auf der Untersuchung autoritärer Dynamiken. Die aktuelle Studie basiert auf einer repräsentativen Erhebung mit 2.503 Befragten. Sie wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung unterstützt.
Im Vorwort heben die Stiftungen die Bedeutung der politischen Bildung und Demokratieförderung hervor. Einen Gewöhnungseffekt an rassistisches und chauvinistisches Gedankengut sowie rechtextrem motivierte Gewalttaten dürfe es nicht geben. Vielmehr bedürfe es „des demokratischen Widerstands und einer demokratiefördernden politischen Bildung“ sowie positiver Erfahrungen der Beteiligung, Solidarität und Anerkennung.