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“Raise your hand, raise your voice!”

Unter diesem Motto stand das 152. Jahrestreffen der ‚National Education Association‘ (NEA) in Denver, zu dem die GEW Vorsitzende Marlis Tepe als Gast eingeladen war: For Collective Action! For Great Public Schools! For Students Access! For Americas Educators! For Our Professions! For Social Justice! For Democracy!

Fotos: Manfred Brinkmann

Die amerikanische Lehrerorganisation NEA ist mit drei Millionen Mitgliedern der größte Beitragszahler der Bildungsinternationale (Education International), dem weltweiten Dachverband von rund 400 Bildungsgewerkschaften, dem auch die GEW angehört. Zu ihrer jährlich stattfindenden ‚Representative Assembly‘ waren die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe und der Referent für Internationales, Manfred Brinkmann, als internationale Gäste eingeladen. Damit verbunden war die Erwartung, vom 29. Juni bis 6. Juli am Kongressprogramm teilzunehmen und auch bei Podiumsdiskussionen mitzuwirken.

Wer ist die NEA?

Die National Education Association organisiert in der Bildung beschäftigtes Personal sowie StudentInnen und RuheständlerInnen in allen Bereichen von der frühen Kindheit bis zur Universität. Die NEA ist stark professionsorientiert und im Gegensatz zur zweiten großen US-Bildungsgewerkschaft, der ‚American Federation of Teachers‘ (AFT) auch nicht Mitglied im US-amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL-CIO.

Die NEA ist auf lokaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene aktiv. Sie hat 14.000 lokale Vertretungen! Auf lokaler Ebene werden Tarifverträge und Arbeitsbedingungen ausgehandelt. Auf Ebene der Bundesstaaten macht die NEA Lobbyarbeit bei der Gesetzgebung und verhandelt die Bedingungen der akademischen Mitglieder. Die nationale Ebene nimmt Einfluss auf den Kongress und die US-Regierung, hält Kontakte mit anderen Bildungsorganisationen und bietet Schulungen für ihre Mitglieder an.

Jahresversammlung mit 7.000 Delegierten

Jährlich treffen sich die delegierten NEA-Mitglieder eine Woche lang zu ihrer ‚National Assembly‘, der größten demokratischen Versammlung der Welt, wie die NEA stolz betont. Ich war sehr neugierig darauf, wie so ein Treffen vonstatten gehen kann. Rund 7.000 Delegierte sahen zu Beginn eine Flaggenparade, hörten die Nationalhymne - zur Gitarre gesungen von der stellvertretenden Vorsitzenden Lily Eskelsen-Garcia, eine Fürbitte gesprochen von der Schatzmeisterin, Grußworte und die Grundsatzrede des scheidenden Vorsitzenden Denis van Roekel, die mit gehobener Faust endete. Insgesamt wurden die Gefühle der Mitglieder stark angesprochen.

Dies galt insbesondere für den 4. Juli! Am Nationalfeiertag waren viele Delegierte mit US-Symbolen geschmückt. Auch ich bekam drei Ketten mit blauen, weißen und roten Sternen und trug sie auch. Während der Jahresversammlung wurden zahlreiche Anträge gestellt und nach Nachfragen und zeitlich begrenzten pro und contra Beiträgen im Plenum zur Abstimmung gebracht. Die Abstimmung selbst erfolgte durch lautstarke I- und No- Zurufe. War das Ergebnis nicht klar, wurden die Delegierten aufgerufen aufzustehen. Die Mehrheitsverhältnisse wurden jeweils ohne Hammelsprung deutlich.

Internationale Gäste

Die NEA hatte Gäste von befreundeten Gewerkschaften aus Australien, Deutschland, Fiji, Gambia, Grenada, Haiti, Kanada, Peru und Tunesien sowie von der Bildungsinternationale deren Präsidentin Susan Hopgood, den Generalsekretär Fred van Leuwen und dessen Stellvertreter David Edwards nach Denver eingeladen. Der Austausch zeigte, dass wir überall für gute öffentliche Bildung, gute Arbeits- und Lernbedingungen und bessere Lehrkräfteausbildung und für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen.

Die Ausgangslagen in den Ländern sind allerdings sehr unterschiedlich. Während in Gambia der regelmäßige Schulbesuch aller Mädchen, insbesondere im ländlichen Raum, erst erkämpft werden muss, konnte der Schulbesuch von Mädchen in Tunesien nach der Arabellion zu mehr als 95% gesichert werden. Einig waren sich die internationalen Gäste mit den NEA-Delegierten in ihrer Kritik am Missbrauch von Testergebnissen und ihrer Ablehnung der Testindustrie.

Vortreffen, Seminare, Ausstellungen

Schon vor dem offiziellen Kongressbeginn trafen sich die Delegationen der US-Bundesstaaten und die Satzungs-, Wahl-, Mandatsprüfungs- und Antragskommissionen – Gremien, wie es sie auch in der GEW gibt - von Sonntag bis Donnerstag zu Vorbesprechungen Darüber hinaus gab es Ausschüsse, die auf Beschluss der Versammlung gebildet werden können: So präsentierte sich neben dem „Gay, Lesbian, Bisexual, Transgender Caucus“ auch ein „Ex-Gay Caucus“, ein „Creation Science Educator’s Caucus“ oder ein „Peace and Justice Caucus“, die allerdings nicht das Recht haben, im Namen der NEA zu sprechen.

Diese Pluralität hat mich überrascht! In Workshops wurden Themen wie „Menschenhandel – ein Aufruf zum Handeln“ und „ Sexismus und Diskriminierung – Hilfen für den Unterricht“ thematisiert. Parallel liefen Hearings zu den vorgeschlagenen Anträgen. Im Ausstellungsraum gab es ein breites Angebot an Ständen: Versicherungen, vergünstigter Autokauf, Schulmöbel, Unterrichtsmaterial, Schmuck, Erweckungsstände und anderes mehr.

Early Birds

Neue NEA-Präsidentin ist die bisherige Vizepräsidentin Lily Eskelsen-Garcia, deren Eltern aus Panama stammen. Zur Vize-Präsidentin und zur Schatzmeisterin wurden die beiden Afro-Amerikanerinnen Becky Pringle und Princess Moss gewählt. Drei starke Frauen führen jetzt die NEA für die kommenden drei Jahre. Während der Kongresstage wurden die internationalen Gäste von Delegationen der einzelnen US-Bundesstaaten betreut. Gastgeber der GEW war die Delegation aus Iowa. Die Treffen der „State Delegates“ fanden früh morgens von 7 bis 9 Uhr vor Kongressbeginn statt. Zu einem dieser Treffen war ich eingeladen. Es gab gleichzeitig Frühstück, während die für den Tag vorgesehenen Anträge beraten wurden.

Eine Vorbereitungsgruppe hatte die Anträge mit ja, nein oder offen bewertet. Die eindeutig bewerteten Anträge wurden zum „I and nay“ aufgerufen; die offenen Anträge wurden beraten und abgestimmt. Gute Lehrer und Lehrerinnen zu sein, darauf zeigten sich die Delegierten stolz. Sie treten ein für den Erhalt der öffentlichen Schulen, für mehr Ressourcen, für gut ausgebildete Lehrkräfte, für soziale Gerechtigkeit, für Demokratie. Sie beklagen „toxic testing“ und Privatisierung im Bildungswesen, insbesondere durch öffentliche Förderung privater „charter schools“ und wenden sich dagegen, dass Lehrkräfte wegen schlechter Testergebnisse entlassen werden.


Herausforderung für die US-Gewerkschaften

Im letzten Jahr hat die NEA 200.000 Mitglieder verloren. Der starke Rückgang ist damit zu erklären, dass einige der 50 US-Staaten gewerkschaftsfeindliche Gesetze erlassen haben. Dies hat u.a. zur Folge, dass der Gewerkschaftsbeitrag von NEA-Mitglieder an öffentlichen Schulen nicht mehr automatisch vom Gehalt abgezogen und direkt an die Gewerkschaft überwiesen wird, sondern die Mitglieder den Beitrag nun selbst und freiwillig zahlen müssen. Bislang wird sogar von Nichtmitgliedern ein Beitrag einbehalten und an die Gewerkschaft überwiesen, der dem Kostenanteil entspricht, den die Gewerkschaften für Tarifverhandlungen aufbringen, das sind 60 Prozent des Gewerkschaftsbeitrags.

Gegen diesen automatischen Einzug hat es eine Klage gegeben, in der die betreffende Person im Einzelfall Recht bekam. Nun fürchten die amerikanischen Gewerkschaften, dass es dazu demnächst auch eine Gerichtsentscheidung mit genereller Bedeutung geben könnte. Dies stellt eine große Sorge und Herausforderung dar, denn es wäre mit einem riesigen Einnahme- und Machtverlust verbunden.

Abendempfänge und eine Trauung

Ein Abendempfang für die internationalen Gäste, aber zuallererst zu Ehren des scheidenden NEA-Präsidenten Denis van Roekel, fand begleitet von emotional geprägten Reden der WeggefährtInnen und KollegInnen statt. Beim „Human Rights und Civil Awards Dinner“ ehrte die NEA Persönlichkeiten für ihre herausragenden Leistungen in Pädagogik und Menschenrechtsfragen. Ein Abend mit viel Pathos, Glamour und Fröhlichkeit! „This is a “dress-up” evening“, hieß es in der Einladung.

Ein politisches Signal ging vom Empfang von Lily Eskelsen-Garcia aus. Die neue NEA-Präsidentin ließ sich am Tag ihrer Wahl, der gleichzeitig ihr erster Hochzeitstag war, von einer Rabbinerin trauen: Ihr Mann, ein Mexikaner ohne Aufenthaltserlaubnis, die Rabbinerin, Lebenspartnerin der Präsidentin der Konkurrenzgewerkschaft AFT, der Musiker, Lebenspartner ihres Sohnes. Respekt vor Schwulen und Lesben wurde ausgedrückt und Nichtgeduldete sichtbar gemacht. Privates und gewerkschaftliches Leben liegen in den USA dicht beieinander!