Der Radikalenerlass von 1972 hat die demokratische Grundordnung nach Ansicht des Historikers Dominik Rigoll mehr beschädigt als beschützt. „Es gab über 10.000 Ablehnungsverfahren, unzählige Personen wurden zu politischen Anhörungen geladen. Rechtskräftig waren – in Anführungszeichen – nur rund 1.000 Fälle. Bei über zwei Millionen Regelanfragen bis 1990. Das zeigt, dass jede Verhältnismäßigkeit fehlte“, sagt der Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Autor von „Staatsschutz in Westdeutschland“ im „E&W“-Interview.
Eine Aufarbeitung dieser Geschichte stehe noch aus. In der breiten Öffentlichkeit und auch in der Historikerzunft werde die Bundesrepublik vor allem als Erfolgsgeschichte betrachtet, was nach den Erfahrungen der NS-Zeit verständlich sei. „Gleichwohl ist es wichtig, zu fragen: Ist im Namen des Rechtsstaats damals Unrecht geschehen?“, betonte der Historiker.“Und auch wenn es abgedroschen klingt: Solange die Demokratie ihre damaligen Fehler nicht eingesehen hat, können sie sich leicht wiederholen.“
Im Januar 1972 hatten Bund und Länder den sogenannten Radikalenerlass beschlossen, um vermeintliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Der Staat entschied sich, alle vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, die in den öffentlichen Dienst wollten. Die Bundesländer schafften die Regelanfrage seit 1979 schrittweise ab.
Das gesamte Interview von Kathrin Hedtke ist im Wortlaut in der Oktoberausgabe der „E&W“ abgedruckt.