Multinationaler Medienkonzern
Pearson hatte am 26. April 2019 zur jährlichen Aktionärsversammlung in die britische Hauptstadt eingeladen. Als Familienbauunternehmen 1844 von Samuel Pearson gegründet, ist aus dem kleinen Laden in Yorkshire in 175 Jahren ein multinationaler Medienkonzern geworden, der seinen Sitz weiterhin im Mutterland hat. Pearson ist das weltgrößte Unternehmen im Bildungsbereich und größter Buchverlag. Seit 2011 gehört auch der deutsche Stark Verlag zur Pearson-Gruppe. Pearson wirbt mit seiner „Mission“, Menschen Fortschritt durch lebenslanges Lernen zu bringen und der „Vision“, die „Zukunft des Lernens zu gestalten“. Wie sieht dies in der Praxis aus? Warum haben auch dieses Jahr wieder Bildungsgewerkschafter*innen aus der ganzen Welt die Pearson-Aktionäre zu ihrer Jahresversammlung vor dem vornehmen Versammlungsgebäude an der Themse mit Flugblättern und einer Kundgebung empfangen?
Knallharte Profitstrategie
Hinter den philanthropisch erscheinenden Begriffen „Mission“ und „Vision“ steht eine knallharte Profitstrategie, die jedoch in den Ländern des Nordens langsam bröckelt. Proteste von Bildungsgewerkschaften gegen von Pearson entwickelte landesweite Tests, vor allem in den USA, haben das lukrative Geschäft für den größten Testanbieter an amerikanischen Schulen einbrechen lassen. Die digitale Revolution bietet Bildungsanbietern wie Pearson jedoch neue Märkte weltweit, besonders in Ländern des Südens. In Kenia, Uganda, Nigeria und Liberia hat Pearson schon vor Jahren mit Bridge Academies ein Privatschulnetz mit „low fee schools“ (geringem Schulgeld) aufgebaut.
Facilitators statt qualifizierte Lehrkräfte
Das System von Bridge Academies funktioniert so, dass von einer Zentrale aus ein Unterrichtsprogramm über Video an ‚Schulen’ oder Lernstationen geschickt und dort bezahlenden Schülerinnen und Schülern zeitgleich vorgeführt wird. Dieses Modell braucht keine qualifizierten Lehrkräfte, nur ‚Facilitators’ (Vermittler*innen). Hier wird nicht nur billigst, ohne ausgebildete Lehrer*innen und ohne Lehrbücher, Schulbildung angeboten. Das Beispiel Kenias zeigt auch, dass die Bridge Academies illegal arbeiten, ohne staatliche Anerkennung und dass Curricula ebenso wie das lang erkämpfte Gesetz, dass Unterricht nur von qualifizierten Lehrkräften erteilt werden darf, missachtet werden.
Private Billigschulen erzielen keine guten Ergebnisse
Die Kenianische Lehrergewerkschaft KNUT (Kenyan Union of Teachers) hat sich dagegen geweht und erreicht, dass die Bridge Academies in Kenia verboten wurden. Pearson hat daraufhin Klage eingereicht und will den kenianischen den Staat für entgangene Einnahmen regresspflichtig machen. Im Auftrag der Bildungsinternationalen (BI), des Dachverbands von 400 Bildungsgewerkschaften weltweit, wurde vor 2 ½ Jahren eine Studie zur Arbeit und den Lernergebnissen der Bridge Academies erstellt. Der mit der Studie beauftragte kanadische Wissenschaftlers Curtis Riep wurde massiv behindert, er wurde festgenommen und erst auf massive Intervention der BI und KNUT freigelassen. Das im Dezember 2016 veröffentlichte Ergebnis der Studie widerlegt in allen Bereichen die Behauptung von Pearson, dass die Bridge Academies zu besseren Ergebnissen führen als staatliche Schulen.
Kritische Fragen bleiben unbeantwortet
Dieses Jahr kam der Vorsitzende der KNUT, Wilson Sossions, nicht allein nach London zur Aktionärsversammlung von Pearson. Eric Muchangi, Abgeordneter der Kenya National Assembly und Mitglied des Parlamentarischen Bildungs- und Forschungausschusses und der kenianische Staatssekretär Daniel Mutunga zeigten politische Präsenz. Sehr eindringlich schilderte Wilson Sossions bei den Protesten vor und bei der Debatte zu Digitalisierung in der Aktionärsversammlung, wie sehr Pearson die kostenfreie, von qualifizierten Lehrkräften erteilte Bildung bedroht. Wilson forderte den Vorstand von Pearson auf, ihre „Mission“ und „Vision“ ernst zu nehmen und die staatliche, kostenfreie Bildung zu unterstützen. Auf die Frage, warum Pearson weiterhin versucht, illegale Schulen zu betreiben, den Lehrerberuf zu dequalifizieren und warum das Unternehmen Bildung als Ware, die Lehrer*innen als Werbematerialverkäufer*innen, die Schüler*inne als Konsument*innen sieht, hatte der CEO keine Antwort.
Warnung vor ‚gamefication of education‘
Vor allem in Lateinamerika und Asien erhofft sich Pearson mit fortschreitender Digitalisierung neue Märkte. Für 1 Mrd. Dollar hat Pearson jüngst die US-Firma EA mit der Entwicklung von Lernprogrammen beauftragt. EA Sports ist in den USA der erfolgreichste Anbieter von on-line Spielen. Rob Weil von der US-Bildungsgewerkschaft American Federation of Teachers (AFT) warnte vor der ‚gamefication of education‘ (Bildung als Spielelandschaft). Christine Blower, Präsidentin des EGBW, der europäischen Regionalorganisation der Bildungsinternationale wies auf die vielen Daten hin, die durch die Digitalisierung des Lernens über die einzelnen Lernenden gesammelt werden. Sie bezweifelte, dass die Sicherheit der persönlichen Daten gewährleistet sei. Lernen selbst werde immer mehr vereinzelt und nicht als ein gemeinsamer, sozialer Prozess gesehen. Pearson selbst umgeht es seit Jahren offenzulegen, mit welchen Mitteln Daten erhoben werden und was mit diesen Daten geschieht. Es war gut, dass der Pearson-Vorstand und die Aktionäre in London mit kritischen Fragen zu dem Geschäftsgebaren des Unternehmens konfrontiert wurden und dass die GEW an der internationalen Aktion für kostenfreie, gute öffentliche Bildung und gegen die ‚gamefication of education‘ mit Bildungsgewerkschaften aus Afrika, Europa und den USA beteiligt waren.