Private Unternehmen sanieren Bildungseinrichtungen
Berlin-Neukölln, Ortsteil Britz. An der Bruno-Taut-Grundschule arbeiten derzeit zwölf Ein-Euro-Kräfte. Zwei von ihnen gehen „mit in die Klasse“, wie es Schulleiter Stephan Kinzel nennt. Etwa Bernd Lohöfer, 44 Jahre alt, ehemaliger EDV-Dozent. Wenn die Schüler der Klasse 5c in ihre Hefte schreiben, geht er umher und schaut, ob sie auf Rechtschreibung und Grammatik achten. Er hilft, wenn die Kinder für eine Wandzeitung Bilder ausschneiden und aufkleben. Er beobachtet und sorgt für ein Feedback zum Unterrichtsverlauf. Lehrer Bernd Waldheim lobt: „Wenn man zu zweit ist, lassen sich Fehler schneller revidieren.“ Ein-Euro-Kraft Lohöfer arbeitet seit September 2004 an der Britzer Grundschule – ohne Unterbrechung.
Jürgen Schulte vom Berliner Gesamtpersonalrat Schulen schätzt, dass etwa 3000 Ein-Euro-Jobber an Berlins allgemein bildenden Schulen tätig sind. „Mindestens 50 Prozent von ihnen“, sagt Personalrat Schulte, werden für pädagogische Aufgaben oder „im pädagogischen Randbereich“ eingesetzt.
Ob in Nürnberg, Iserlohn oder im südhessischen Kreis Bergstraße: Ein-Euro-Kräfte an Schulen beaufsichtigen die Toiletten, helfen in der Bibliothek oder betreuen die Chemiesammlung. Viele erfüllen bereits pädagogische Aufgaben. Sie arbeiten im Selbstlernzentrum, wo sie Schülern beim Lösen einfacher Aufgaben helfen. Sie unterstützen die Schulsozialarbeiterin, wenn diese Schulschwänzer und deren Eltern aufsucht. Ein Berliner Ein-Euro-Jobber berichtet in einer E-Mail an die GEW: Er „als Nicht-Pädagoge“ sei „regelmäßig zur Aufsicht von Schulklassen herangezogen“ worden.
Das Gesetz schreibt vor, dass die „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ (MAE) „zusätzliche Arbeiten“ sein müssen. Das soll verhindern, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt werden. Personalräte der GEW bezweifeln jedoch in vielen Fällen, dass MAE-Kräfte an Schulen „zusätzliche“ Tätigkeiten erfüllen. Folge: Im Rahmen der Mitbestimmung versuchen sie, den Einsatz der Billiglöhner zu verhindern. Was allerdings nur selten gelingt.
Ortswechsel. Frankfurt am Main. Das Bildungszentrum Ostend (BZO) ist seit Frühjahr 2005 in Betrieb – eines der bundesweit größten Public-Private-Partnership-Projekte (PPP) im Hochbau. Das 56-Millionen-Euro-Gebäude beherbergt die Volkshochschule, zwei Abendgymnasien, eine kaufmännische Berufsschule, Teile der Bankakademie und eine musikalisch-künstlerische Ausbildungsstätte. Durch die Zusammenarbeit mit privaten Firmen habe man die Kosten drastisch gesenkt, heißt es im Frankfurter Rathaus. „Einsparungen von zirka 25 Prozent“, bezifferte Stadtkämmerer Horst Hemzal (CDU).
Prüfer verteilen Backpfeifen
PPP-Schulprojekte schießen bundesweit wie Pilze aus dem Boden. Doch es halten sich hartnäckig Zweifel an der Wirtschaftlichkeit von PPP-Vorhaben. So schreiben die Prüfer des Revisionsamts der Stadt Frankfurt am Main im Frühjahr 2006: Hätte die Stadt das Bildungszentrum Ostend selbst gebaut, hätten die Steuerzahler rund 4,27 Millionen Euro gespart. So steht es im internen Revisionsbericht Nr. 3/2005, der der GEW vorliegt.
Die amtlichen Prüfer verteilen eine Backpfeife nach der anderen: Das Risiko zusätzlicher Kosten sei „in … unangemessenem Umfang auf die Stadt verlagert“. Sie kritisieren das Fehlen „einer dickeren Wärmedämmung der Dachflächen“. Die Frankfurter Rundschau berichtet am 23. Mai 2006: Schulleiter im BZO beanstandeten „zu kleine Treppenhäuser“, „fehlende Türschlüssel“ und „überhitzte und zu kleine Räume“.
Stadtkämmerer Hemzal bleibt jedoch dabei: „Der Bau des BZO „als PPP-Vertrag“ sei „wirtschaftlich sinnvoll und gerechtfertigt“. In Frankfurt laufen derzeit Planungen, PPP-Projekte für vier weitere Schulen „aufs Gleis“ zu setzen.
Teile des HRG in Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Künftig unbefristet befristet?
Der Deutsche Bundestag hat am 18. Januar 2007 in dritter Lesung das „Gesetz zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissenschaft“ verabschiedet. Kern des Gesetzes ist die Überführung der früheren Paragrafen 57a bis 57f des Hochschulrahmengesetzes (HRG) in ein eigenständiges Bundesgesetz: das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – ein Sonderarbeitsrecht für wissenschaftliches Personal.
Föderalisierung und Deregulierung stehen hoch im Kurs. Dennoch wollte die Bundesregierung nicht darauf verzichten, weiterhin bis ins Detail die Befristung von Arbeitsverträgen für das wissenschaftliche Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen gesetzlich festzuschreiben. Trotz massiver Kritik der GEW enthält das Gesetz eine Tarifsperre: Arbeitgeber und Gewerkschaften dürfen auch dann nicht von den einseitig staatlich oktroyierten Festlegungen abweichen, wenn sie sich tarifvertraglich auf eine aus ihrer Sicht sachgerechtere Regelung einigen.
Ein anderer Knackpunkt: Die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft werden ausgeweitet. Schon bisher waren befristete Arbeitsverträge während der Qualifizierungsphase für die Dauer von bis zu zwölf, in der Medizin bis zu 15 Jahren zulässig. Nun hat der Bundesgesetzgeber darüber hinaus die unbegrenzte Befristung zugelassen, wenn die Beschäftigung „überwiegend“ aus Drittmitteln finanziert wird.
Auf den Kopf gestellt
Wissenschaftler können künftig praktisch unbefristet befristet beschäftigt werden. Auch nach Abschluss der Promotions- und Postdoc-Phase kann sich Zeitvertrag an Zeitvertrag reihen. Die Perspektive, auf Dauer „Wissenschaft als Beruf“ auszuüben, bleibt allen vorenthalten, die keine Professur bekommen. Der Grundsatz des allgemeinen deutschen und europäischen Arbeitsrechts, wonach die unbefristete Beschäftigung die Regel, die befristete Beschäftigung die Ausnahme ist, wird auf den Kopf gestellt. Erstmals werden die Befristungsregelungen auch auf das nichtwissenschaftliche Personal in Drittmittelprojekten ausgedehnt.
Über einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD wurde in letzter Minute der Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf Arbeitsverträge mit „wissenschaftlichem und künstlerischem Personal mit Ausnahme der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer“ (Art. 1, Paragraf 1, Abs. 1) ausgedehnt. Die alten Fristvertragsregeln galten nur für Verträge mit „wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mit wissenschaftlichen und künstlerischen Hilfskräften“. Damit wird der Geltungsbereich der Befristungsregeln möglicherweise auf Personalkategorien erweitert, für die sie bisher keine Anwendung fanden, z. B. auf Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Ob den Bundestagsabgeordneten von Union, SPD und FDP diese Konsequenz klar war, als sie dem Gesetz in seiner Endfassung zustimmten, ist fraglich. Die GEW hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) um eine Klarstellung gebeten und den Bundesrat, der sich voraussichtlich am 16. Februar abschließend damit befassen wird, aufgefordert, dem neuen Gesetz mit erweitertem Geltungsbereich nicht zuzustimmen. Die Bildungsgewerkschaft bietet den Betroffenen umfassende Informationen über die veränderte Rechtslage und ihren Mitgliedern arbeitsrechtliche Unterstützung.
GEW warnt vor schrankenlosem Wettbewerbsföderalismus
HRG geht über Bord
Zum 30. Juni 2008 soll das Hochschulrahmengesetz (HRG) beerdigt werden. So sieht es ein Anfang 2007 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegter Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes“ vor. Der Entwurf ist eine Folge der 2006 verabschiedeten Föderalismusreform, die dem Bund die Rahmengesetzgebungskompetenz für das Hochschulwesen entzogen hat. Die Abschaffung des HRG ist jedoch keine zwingende Konsequenz der Föderalismusreform. Die GEW hält diesen Schritt für falsch.
Zumindest Reste einer Gesetzgebungskompetenz hat der Bund nach der Föderalismusreform für die Hochschulen behalten: Gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes (GG) kann er Hochschulzulassung und -abschlüsse durch Bundesgesetz regeln. Doch dürfen die Länder über das neue Instrument der „Abweichungsgesetzgebung“ dieses wieder abändern bzw. brauchen ihm nicht zuzustimmen. Nur solange ein Land davon keinen Gebrauch macht, würde die bundeseinheitliche Regelung gelten. Ansonsten droht eine Ping-Pong-Gesetzgebung (s. E&W 4/2006).
Rechtlich bedenklich
Es ist politisch riskant und verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es künftig in 16 Ländern 16 unterschiedliche Systeme des Hochschulzugangs und der Studienabschlüsse geben sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind die Hochschulen verpflichtet, ihre Ausbildungskapazitäten erschöpfend auszulasten, bevor Studienbewerber abgewiesen werden können. Ob die Länder dies ohne eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung schaffen, ist zumindest fraglich. Auch vor der im Rahmen des Bologna-Prozesses geplanten Annäherung der Studienstrukturen im Europäischen Hochschulraum wäre es ein Anachronismus, wenn die Bundesrepublik auf nationale Regelungen über Hochschulabschlüsse und deren gegenseitige Anerkennung in den Ländern verzichtete. Die Kleinstaaterei würde fröhliche Urstände feiern.
Föderaler Flickenteppich
Wenig überzeugend ist die Vorstellung, dass künftig die Kultusministerkonferenz (KMK) an Stelle von Bundestag und Bundesrat für einheitliche Regelungen sorgen soll. KMK-Beschlüsse bedürfen der Einstimmigkeit aller Länder: Die „Quedlinburger Beschlüsse“ von 2005 zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in der Lehrerbildung zeigen, dass auf dieser Grundlage kein gemeinsames Konzept entstehen kann, sondern allenfalls die gegenseitige Akzeptanz eines föderalen Flickenteppichs. Hinzu kommt: Im Vergleich zu einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren hat die Erarbeitung entsprechender Regelungen in der KMK eine weitaus geringere Transparenz und demokratische Legitimation. Hier geben Ministerialbürokraten den Ton an, direkt gewählte Abgeordnete und Vertreter von Gewerkschaften und Verbänden bleiben außen vor.
Ein eklatanter Widerspruch zur Ankündigung, mit der Aufhebung des HRG würde „die Deregulierung des Hochschulrechts des Bundes vollzogen“, ist die Überführung des HRG-Paragrafen zur Befristung von Arbeitsverträgen in das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz (s. Seite 23). Eine nahe liegende und sachgerechte Form der Deregulierung im Interesse der Beschäftigten wäre dagegen die Aufhebung der bundesgesetzlichen Tarifsperre. Diese verbietet Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Beschäftigungsbedingungen des Personals an Hochschulen und Forschungseinrichtungen tariflich zu regeln.
Verantwortungslos
Das HRG hat die Hochschulpolitik in der Bundesrepublik Deutschland über 30 Jahre geprägt. Bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1976 führte es zum Stopp demokratischer Hochschulreformen in den Ländern und wurde daher von der Bildungsgewerkschaft kritisiert. Heute wird es indes von jenen politischen Kräften als Fessel empfunden, die den alten Verfassungsgrundsatz der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ zu Gunsten eines schrankenlosen Wettbewerbsföderalismus’ über Bord werfen möchten. Die Abschaffung des HRG ist verantwortungslos. Die GEW fordert die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Schavan sieht im Leistungsgesetz ein Auslaufmodell
BAföG-Novellierung: eine Mogelpackung
Als im vergangenen Herbst das Bundes-Ausbildungsförderungs-Gesetz (BAföG) seinen 35. Geburtstag feierte, war das der ansonsten so auf Öffentlichkeitsarbeit bedachten Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) nur eine knappe 15-Zeilen-Meldung wert. Jetzt hat Schavan einen längst überfälligen Entwurf für das 22. Änderungsgesetz vorgelegt. Doch das Papier ist eine Mogelpackung.
Die Position Annette Schavans zum BAföG ist sattsam bekannt. Die CDU-Politikerin sieht in dem Leistungsgesetz mit dem Rechtsanspruch auf Förderung ein „Auslaufmodell“. Sie möchte am liebsten das BAföG austrocknen und die Studienfinanzierung ganz auf einen Mix aus verzinsbaren Darlehen, Studiengebühren und leistungsabhängigen Stipendienmodellen umstellen – wie es im CDU-Parteitagsbeschluss heißt. Nach Schavans Referentenentwurf soll es weder eine Erhöhung der BAföG-Elternfreibeträge noch der Fördersätze geben. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die Haushaltskonsolidierung.
Seit 2001 ist das BAföG nicht mehr angepasst worden. Die Experten im BAföG-Beirat der Bundesregierung fordern deshalb vor dem Hintergrund der Lohn- und Preisentwicklung eine Anhebung der Freibeträge um 8,7 Prozent und der Bedarfssätze um rund 10,3 Prozent noch in 2007. Für einen Studierenden würde dies im Monat 48 Euro mehr bedeuten, für einen Schüler 36 Euro.
„Für Studierende wie Schüler ist das Leben teurer geworden. Hinzu kommen in vielen Bundesländern abschreckende Studiengebühren“, sagt GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller. Und ohne deutliche Verbesserungen bei Elternfreibeträgen und Fördersätzen werde die Bundesregierung nie ihr Ziel erreichen, mindestens 40 Prozent eines Jahrganges ins Studium zu bringen. Im vergangenen Herbst verzeichneten die deutschen Hochschulen im dritten Jahr in Folge einen Rückgang der Studienanfängerzahl. Keller: „Politiker, die sich in Sonntagsreden gern mehr Studierende wünschen, müssen auch die Voraussetzungen dafür schaffen.“
SPD kommt in die Puschen
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es zur Studienfinanzierung lapidar: „Das BAföG als Sozialleistung wird in seiner jetzigen Struktur zur Finanzierung des Lebensunterhalts erhalten (keine Reduzierung des Zuschusses).“ Die Bildungspolitiker der SPD-Fraktion wollen sich jetzt darum bemühen, dass es wenigstens zu einer Anhebung der Freibeträge und Fördersätze noch in dieser Wahlperiode bis 2009 kommt. An den Hochschulen hat sich ein breites Bündnis von politischen Studierenden- und Jugendverbänden zu einer Kampagne „BAföG rauf“ formiert. Die alternativ von Union und FDP propagierten Darlehensmodelle wirkten „sozial selektiv“, urteilt der freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs). Und Studentenwerks-Präsident Rolf Dobischat ergänzt: „Wer das BAföG austrocknet, will die mit dem
PISA-Test erneut belegte soziale Schieflage im deutschen Bildungssystem weiter verschärfen.“
Die Befürworter von privaten Bankkrediten zur Finanzierung von Lebensunterhalt und Studiengebühren verschweigen zu gern, dass bei einem voll auf Pump finanzierten Studium astronomische Rückzahlsummen auf die jungen Menschen zukommen. So ist nach einer internen Berechnung des Ministeriums bei einem zehnsemestrigen Studium mit einer Rückzahlsumme zwischen 65 000 und 90 000 Euro zu rechnen – je nachdem, ob der Staat Zinsrisiko und Ausfallbürgschaften übernimmt. Im Extremfall können dies sogar 126 000 Euro werden – abzuzahlen nach dem Examen in 27 Jahren mit Monatsraten von jeweils 350 Euro.
Der BAföG-Beirat sieht „mit Sorge“, dass es durch die verschiedenen Darlehensmodelle staatlicher Banken wie der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), der Landes- und Privatbanken zu einer „Zersplitterung im System der Ausbildungsförderung kommt“. Werden aber die Elternfreibeträge nicht erhöht, fallen immer mehr Studenten aus der BAföG-Förderung heraus. Ihnen bleibt der Weg in die Schuldenfalle – oder der Verzicht aufs Studium.