Der politischen Erwachsenenbildung geht es gut. Das zumindest sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): „Politische Bildung hat Konjunktur. Wir haben mit 54 Millionen Euro das höchste Budget in unserer 65-jährigen Geschichte“, so seine Worte zum Jubiläum seiner Einrichtung im vergangenen Jahr. Das sieht Wilfried Rehfeld nicht ganz so. Er hat 30 Jahre Erfahrung in der politischen Erwachsenenbildung. Als Geschäftsführer des Vereins dialog im münsterländischen Greven leitet er eine der eher kleineren Einrichtungen im Bildungsgeschäft. GEW-Mitglied Rehfeld ist zwar überzeugt, sich mit der politischen Erwachsenenbildung der „Königsdisziplin“ verschrieben zu haben. Aber seiner Profession geht es dennoch nicht besonders gut, auch wenn die bpb-Zentrale in Berlin und Bonn das anders sehen mag.
Inzwischen leidet die Königsdisziplin an der Krankheit „Projektitis“, wie Rehfeld es nennt. Eine auskömmliche Regelfinanzierung für die Einrichtungen der politischen Erwachsenenbildung gebe es vielfach nicht mehr. Die Träger kämen nur noch über die Runden, wenn sie in die Projektfinanzierung einsteigen. „Das bedeutet: viel Prosa für Anträge erfinden, nur befristete Beschäftigung, sich mit immer neuen Richtlinien und Abrechnungsmodalitäten beschäftigen und den Erfolg mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen messen“, berichtet Rehfeld. „Neue Inhalte, Zielgruppen und gesellschaftliche Veränderungen stehen weniger im Mittelpunkt. Das ist keine gute Entwicklung.“ Dabei ist die Kernaufgabe der Bildungsarbeit unverändert aktuell: Es geht um eine starke Demokratie, Wissenstransfer, Mut und Routinen für politisches Handeln.
Gewaltige Parallelstrukturen
Weil nicht alles rund läuft, schlagen auch die 16 Landeszentralen für politische Bildung Alarm. Die Leitungskonferenz kritisiert, dass durch den Ausbau der Sonderprogramme des Bundes inzwischen gewaltige Parallelstrukturen entstanden seien, „die häufig sogar besser ausgestattet sind als die traditionell gewachsenen und dauerhaft angelegten Strukturen“, heißt es im Papier der Behördenleiter. Mehr als 100 Millionen Euro stellte im Jahr 2017 allein das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Programm „Demokratie leben“ zur Verfügung. Verteilt wurde das Geld auf 250 Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen. Die Behördenleitungen hegen Zweifel daran, ob die notwendigen Qualitätsstandards bei den Trägern sichergestellt sind. In ihrer Stellungnahme fordern die Zentralen dazu auf, „umzusteuern“. Zusätzliche Projektmittel sollen die bestehenden Strukturen der politischen Bildung „dauerhaft stärken“. Kritik gibt es auch an der inhaltlichen Ausrichtung. Eine Reduktion auf „Gefahrenabwehr gegen Demokratiegefährder“ findet nicht ihre Zustimmung. Es gehe vielmehr um „Mitgestaltung“ des demokratischen Gemeinwesens. Deshalb lehnen die Landeszentralen eine politische Erwachsenenbildung ab, die nur auf Intervention setzt.
Gegen ein verkürztes Verständnis von politischer Erwachsenenbildung wendet sich auch der Bildungswissenschaftler Rolf Dobischat von der Universität Duisburg-Essen. Er sieht den Bereich in einer langen, historisch gewachsenen Tradition, die das Ziel der kritischen Information über gesellschaftliche Veränderungen verfolgt. Für den Wissenschaftler geht es darum, „Transparenz herzustellen“, und zwar über den „Zusammenhang zwischen individueller Lebenslage, gesellschaftlich-politischer Steuerung und beteiligungsorientierten Optionen“. Dobischat will mit der Demokratie-Bildung gleich drei Dinge anschieben: „Aufklären, für das Gesellschaftsmodell werben und zur politisch-gesellschaftlichen Teilhabe befähigen.“
„Nur Feuerwehr-Einsätze gegen antidemokratische Kräfte zu machen, reicht einfach nicht.“ (Uwe Roßbach)
Gemessen an diesem Anspruch fällt seine Analyse der Realität ernüchternd aus. „Allein der Blick in die Bildungsstatistik zeigt, dass die Angebote wie auch die Nachfrage quantitativ rückläufig sind.“ Die Träger der politischen Erwachsenenbildung erreichten zu wenige Menschen. Dobischat fordert deshalb bessere personelle, organisatorische und vor allem finanzielle Rahmenbedingungen. Erwachsenenbildner Rehfeld erinnert gerne an die Forderung der GEW, mindestens 1 Prozent des Bildungsetats eines Landes für die Weiterbildung bereitzustellen. „In Nordrhein-Westfalen hatten wir das in den 1970er-Jahren. Aktuell liegen wir bei 0,56 Prozent.“
In den östlichen Bundesländern habe politische Erwachsenenbildung besondere Bedeutung, berichtet Uwe Roßbach, Geschäftsführer der DGB-Weiterbildungseinrichtung Arbeit und Leben Thüringen. „Das zeigt sich auch an den bereitgestellten Mitteln.“ Unter dem Eindruck der Pegida-Aufmärsche, der hohen Zustimmungswerte für die AfD und der ausländerfeindlichen Ausschreitungen ist der Ruf nach korrigierender Bildung groß. Allerdings ist für Roßbach die Denkweise, „die Gesellschaft driftet nach rechts und jetzt stärken wir mal die politische Bildung“, nicht zielführend. „Erwachsene mit über 35 Jahren Erfahrungen aus der Wendezeit, mit ihren schwer zu verarbeitenden Demütigungen, erreichen wir nur sehr schwer“, berichtet Roßbach, der seit 1996 in Erfurt arbeitet.
Politische Erwachsenenbildung, die sich darauf beschränkt, Spielregeln zu vermitteln nach dem Motto: „Bitte schlagt nicht über die Stränge, wir reden mit allen, wir lernen jetzt mal, offen zu diskutieren“, hat in Roßbachs Augen keine Chance. „Nur Feuerwehr-Einsätze gegen antidemokratische Kräfte zu machen, reicht einfach nicht.“ Arbeit und Leben setzt stattdessen auf politisches Handeln und Prävention. „Und das in konkreten Lebenssituationen“, argumentiert Roßbach. Es geht um Interessen, Gegensätze und Konflikte. Heile Welt nach dem Motto: „Das beste Argument siegt“, sei „doch lächerlich. Politische Bildung ohne Interessenbezug ist nur Blabla“.