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Tagungsband

„Politische Bildung – Wenn nicht jetzt, wann dann!“

Die Herausgeberinnen und Herausgeber dieses Sammelbandes wollen die überfällige Debatte über die dringend notwendige Stärkung politischer Bildung anstoßen. Auch GEW-Schulexpertin Ilka Hoffmann ist mit einem Beitrag vertreten.

Angesichts der Zunahme fremdenfeindlicher, antisemitischer und rechtspopulistischer Tendenzen in der Gesellschaft wird der Ruf nach mehr politischer Bildung lauter. In Sonntagreden wird sie gern als Mittel zur Rettung der Demokratie erwähnt. Aber tut die Bildungspolitik genug, um die politische Bildung zu stärken? Diese Debatte stößt ein Aufsatzband der von der Max-Traeger geförderten Tagung „Politische Bildung- Wenn nicht jetzt, wann dann?!“ an, der jetzt im Wochenschau-Verlag erschienen ist.

Die politische Bildung wird in den Stundentafeln der deutschen Bundesländer heute stiefmütterlich behandelt. So steht Politik steht für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I nur mit Unterbrechungen und erst in den höheren Klassenstufen  auf dem Stundenplan. In sechs deutschen Bundesländern wird Politische Bildung frühestens ab der 8. Klasse unterrichtet, in Bayern erst ab der 10. Klasse. Nur in Nordrhein-Westfalen wird das Fach in vier aufeinanderfolgenden Schuljahren zweistündig unterrichtet. Zu diesen Ergebnissen kommen Professor Dr. Reinhold Hedtke und Mahir Gökbudak von der Universität Bielefeld in ihrem 3. Ranking Politische Bildung.

„Das Grundproblem politischer Bildung an deutschen Schulen ist aber auch ihre überwiegend akademische Ausrichtung.“ (Ilka Hoffmann)

„Das Grundproblem politischer Bildung an deutschen Schulen ist aber auch ihre überwiegend akademische Ausrichtung“, sagt GEW-Schulexpertin Ilka Hoffmann. „Dabei bräuchten wir in Deutschland unter zwei Aspekten eine praxisorientierte politische Bildung.“ Zum einen wäre vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtspopulismus ein vertieftes Verständnis für demokratische Handlungs- und Entscheidungsprozesse notwendig. Ziel müsste dabei die Erziehung zu einer Mündigkeit sein, die autoritären und fremdenfeindlichen Tendenzen auch aktiv entgegenzutreten bereit ist. Zum anderen müsste die politische Bildung auch die soziale Ungleichheit in den Blick nehmen. So zeigt eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung: Politische Bildung wird verstärkt in den gymnasialen Bildungsgängen angeboten. Mit anderen Worten – so der Titel der Veröffentlichung – : „Wer hat, dem wird gegeben.“

In der frühkindlichen Bildung beginnen

Um der politischen Bildung wieder mehr Gewicht zu verleihen, organisierten die Evangelische Akademie Hofgeismar und die Universität Kassel 2018 eine Tagung zu dem Thema, die unter anderem von der Max Träger Stiftung gefördert wurde und an der Vorstandsmitglied Hoffmann mitwirkte. Kernpunkte der Diskussionen waren: Wo soll die politische Bildung verortet werden?- Brauchen wir ein Fach Politik? Wann und wie soll politische Bildung ansetzen? Die Teilnehmenden waren sich einig: In der gymnasialen Oberstufe ist zu spät. Demokratie ist die einzige Gesellschaftsform, die man lernen muss. Und dies muss schon in der frühkindlichen Bildung ansetzen. Bereits kleine Kinder machen sich Gedanken, was Gerechtigkeit ist, und wer auf welcher Grundlage Entscheidungen trifft.

Überblick über die Diskussion

Aus der Tagung ging ein Sammelband mit Artikeln hervor, die sich unter verschiedenen Aspekten der Frage einer Neuausrichtung und Stärkung der politischen Bildung widmen: „Jetzt erst recht: Politische Bildung! Bestandsaufnahme und bildungspolitische Forderungen“. Die einzelnen Artikelblöcke beschäftigen sich mit Bezugsquellen für politische Informationen bei Heranwachsenden, politischer Bildung an Grund-, Sekundar-  und beruflichen Schulen, der Einordnung in den Fächerkanon, der Lehrkräfteaus- und fortbildung, möglichen Kooperationsformen mit der außerschulischen Bildung sowie der kompensatorischen Funktion politischer Bildung. Der Band gibt einen guten Überblick über die Diskussion und formuliert bildungspolitische Forderungen.

Den Abschluss des Bandes bildet die Hofgeismarer Erklärung. Diese formuliert bildungspolitische Forderungen, die von den mehr als 100 Teilnehmenden der Tagung in Kleingruppen – also demokratisch und diskursiv – erarbeitet wurden. Diese Erklärung wurde 2018 auch vom Hauptvorstand der GEW verabschiedet.

Empowerment benachteiligter Lernender

Hoffmann stellte auf der Tagung den Empowerment-Ansatz zur politischen Bildung vor. Grundgedanke des Workshops war, dass politische Bildung in einer sozial gespaltenen Gesellschaft vor besonderen Herausforderungen steht: Eine stabile Gruppe von jungen Menschen lebt und lernt im gesellschaftlichen Abseits ohne wirkliche politische Teilhabemöglichkeit. Politische Bildung, die die ungerechten Strukturen – auch die des Schulsystems - verschweigt, wird ihrem demokratischen Auftrag nicht gerecht. Ungerechtigkeit darf nicht verschwiegen werden, sondern sie muss zum Gegenstand politischer Bildung gemacht werden.  

Politische Bildung, die ihren Namen verdient, muss zum Empowerment benachteiligter Lernender beitragen. Das bedeutet, die jungen Menschen zur Reflexion sowie zum Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse und zu politischer Teilhabe zu befähigen. Daraus ging ein Beitrag für den Sammelband hervor, der den Empowerment- Ansatz der politischen Bildung aus der Pädagogik Paolo Freires entwickelt: „Politisches Empowerment von benachteiligten Lernenden. Paolo Freires Pädagogik der Unterdrückten“.