Von Zuhause schleppt Lehrer Andreas Füchter einen gelben Sack an und schüttet ihn im Klassenzimmer aus. Heraus purzeln Käsepackungen, Milchtüten, Schokoladenpapier. Die Achtklässler streifen Handschuhe über, sortieren den Abfall. Die Frage: „Welcher Plastikmüll wäre verzichtbar?“ In der 8. Klasse des Überwald-Gymnasium im südhessischen Wald-Michelbach steht im Fach Politik und Wirtschaft der Schwerpunkt globales Lernen auf dem Stundenplan. Füchter legt Wert darauf, dass das Thema nicht zu abstrakt behandelt wird. „Die Jugendlichen sollen merken, dass globale Probleme viel mit ihnen selbst zu tun haben“, betont der Lehrer. In diesem Fall, dass Plastikmüll durch die Nahrungskette wieder auf ihrem eigenen Teller landen kann. Und dass sie selbst zur Verschmutzung beitragen. Aber auch Alternativen haben. „Da fängt Mündigkeit an.“
Im ersten Schritt nimmt der Politiklehrer die Jugendlichen mit auf eine Fantasiereise, zeigt dazu Fotos auf dem Whiteboard: Als Astronauten im Weltall blicken sie auf den blauen Planeten. Welche Probleme haben die Ozeane? Der Blick zoomt näher an die Erde heran: Ein Foto zeigt einen toten Pinguin, verheddert in einem Kunststoffnetz. Auf einem anderen ist ein Segelschiff zu sehen: Umweltaktivsten haben es aus 12.500 Plastikflaschen gebaut und schippern damit durch den Pazifik, vorbei an Inseln aus Plastik. Danach entbrennt eine Diskussion. „Daran kann man eh nichts ändern“, meint ein Schüler. Seine Klassenkameradin ist anderer Meinung: „So etwas muss verboten werden.“
Beim problem- und handlungsorientierten Unterricht, erklärt Füchter, gehe es zunächst darum, die Jugendlichen auf ein Problem aufmerksam zu machen – und Fragen anzuregen. Danach erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in Lerninseln gemeinsam das erforderliche Wissen. Zum Beispiel, dass jeder Mensch in Deutschland pro Jahr 136 Kilo Plastikmüll produziert. Oder dass es 450 Jahre dauert, bis eine Plastikflasche verrottet. Mit Tablets dürfen die Jugendlichen auf bestimmten Websites recherchieren. Sie finden heraus, vor welchen Produkten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) besonders warnt und was Greenpeace fordert, aber auch, wie Nahrungsmittelkonzerne zum Problem Stellung beziehen. Eine Exkursion zum regionalen Abfallentsorgungsbetrieb mit Expertengespräch macht das Thema noch anschaulicher.
Auch beim Plastikmüll stellt sich für alle die Frage: „Was können wir selbst tun?“
Möglich seien solche Projekte nur, weil in Hessen durchgängig zwei Stunden Politik und Wirtschaft pro Woche auf dem Stundenplan stehen, erklärt der Lehrer; in der 9. Klasse drei Stunden. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe können das Fach auch als Leistungskurs wählen, mit fünf Wochenstunden. „Mit einer Stunde pro Woche – wie in manchen Bundesländern – kann man so ein Projekt kaum machen“, erklärt Füchter. Zum Glück habe politische Bildung in Hessen eine starke Tradition. Als Grundsatz gelte: Schülerinnen und Schüler sollen Politik wahrnehmen, beurteilen und handeln können.
Auch beim Plastikmüll stellt sich für alle die Frage: „Was können wir selbst tun?“ Die Jugendlichen überlegen, welche Möglichkeiten sie haben, Abfall zu reduzieren: Stoffbeutel statt Plastiktüte, Keramiktasse statt Wegwerfbecher. „In dem Moment kommen wir weg vom problem- hin zum handlungsorientierten Unterricht“, sagt der 45-Jährige. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass es Alternativen gibt. Oft jedoch zu einem höheren Preis. Ziel des Politiklehrers ist, den Schülerinnen und Schülern die eigenen Handlungsspielräume aufzuzeigen. Und zugleich die Frage aufzuwerfen: Inwiefern ist auch der Staat in der Pflicht? Es soll deutlich werden: „Wir alle haben eine Verantwortung. Nicht nur als Konsumenten, sondern auch als politische Bürger und Bürgerinnen.“ Darum, ist Füchter überzeugt, gehe es bei gutem Politikunterricht.