Stein des Anstoßes für viele Rektorinnen und Rektoren: Einige Entscheidungen soll nicht mehr die Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer mit absoluter Mehrheit entscheiden, sondern alle vier Statusgruppen – auch die wissenschaftlichen und administrativ-technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Studierenden – sollen gleichberechtig mitbestimmen. Ein wichtiges Signal für die überfällige Demokratisierung der Hochschulen – auch über den Freistaat Thüringen hinaus, findet der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller.
Kommentar von Andreas Keller:
Ab Mitte der 1990er Jahre setzte sich in der bundesdeutschen Hochschulgesetzgebung eine regelrechte Monokultur durch: Stärkung der Eigenverantwortung der Hochschulen, Entmachtung der gewählten Kollegialorgane zu Gunsten autokratischer Rektorate und Präsidien, Einführung von mit zumeist Wirtschaftsvertretern besetzten Hochschulräten.
Dabei liegen die Alternativen für eine zukunftsfähige Hochschulreform auf dem Tisch – die Bildungsgewerkschaft GEW hat Konzepte für eine zukunftsfähige Hochschulgesetzgebung erarbeitet: Es geht um eine Demokratisierung der Hochschulen – Autonomie ohne Autokratie!
Mit dem Verweis auf das Karlsruher Hochschulurteil von 1973 wird seit Jahrzehnten jede Debatte über eine Demokratisierung der Hochschulen im Keim erstickt. Vor 45 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht in einem umstrittenen Urteil entschieden, dass sich aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes der Grundsatz ableiten lasse, dass die Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer in allen Fragen, welche Lehre und Forschung unmittelbar betreffen, über die Hälfte bzw. Mehrheit der Stimmen verfügen müssen.
Der Freistaat Thüringen hat die historische Chance, Bewegung in die festgefahrene Debatte um die Hochschul-Governance zu bringen.
50 Jahre nach der antiautoritären Studierendenbewegung in der Bundesrepublik und knapp 30 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR hat der Freistaat Thüringen die historische Chance, wieder Bewegung in die festgefahrene Debatte zu bringen. Es ist daher ein wichtiges Signal, dass die über Jahrzehnte als sakrosankt geltende flächendeckende Professor_innenmehrheit in den Hochschulgremien in Frage gestellt wird – und zwar ohne mit den Vorgaben der Karlsruher Rechtsprechung in Konflikt zu kommen. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte 1973 nur in unmittelbar Forschung und Lehre betreffenden Sachverhalten eine Professorenmehrheit verlangt. Für Angelegenheiten, die Forschung und Lehre nicht oder nur mittelbar betreffen, gilt diese Vorgabe gerade nicht. Verfassungsrechtlich zulässig ist vielmehr eine grundsätzlich gruppenparitätische Zusammensetzung von Hochschulgremien.
Die Zeit ist reif für einen Neuanfang in der erstarrten Debatte um die Hochschul-Governance. Alle am Wissenschaftsprozess beteiligten Gruppen müssen endlich auf Augenhöhe an Entscheidungen beteiligt werden. Entscheidungen, die den unterschiedlichen Perspektiven der Hochschulmitglieder Rechnung tragen müssen, werden nicht nur eine höhere Akzeptanz haben, sondern auch ausgewogener und sachgerechter ausfallen.
Ich hätte mir zwar von der Regierungskoalition in Erfurt noch etwas mehr Mut gewünscht. So ist der Katalog der Aufgaben, für welche die Professorenmehrheit weiter gilt, zu groß geraten: Sogar bei der Entscheidung über die Grundordnung und bei der Wahl und Abwahl der Mitglieder des Präsidiums wird eine Professorenmehrheit verlangt. Dabei betreffen diese Strukturentscheidungen Forschung und Lehre gerade nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, wären also auch im Sinne der Verfassungsrechtsprechung für eine paritätische Mitbestimmung geeignet.
Aber es bleibt dabei: Wenn der Gesetzgeber zumindest für einige Entscheidungen gruppenparitätische Verfahren ohne Professorenmehrheit vorsieht, ist das ein wichtiger erster Schritt zur Demokratisierung der Hochschulen, dem weitere folgen können. Wenn endlich der lähmende Grundsatz außer Kraft gesetzt wird, dass eine Gruppe alle anderen überstimmen kann, müssen unterschiedliche Interessen von Professorinnen und Professoren, Studierenden, wissenschaftlichen und administrativ-technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einem fairen Ausgleich gebracht werden. Das ist im Interesse aller Hochschulmitglieder.