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„Ohne Seiteneinsteiger würde Schule in Sachsen zusammenbrechen“

Wegen des Lehrkräftemangels werden in Sachsen Hunderte Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger für den Schuldienst akquiriert. Auch altgediente Kolleginnen und Kollegen kehren nach vielen Jahren in den Unterricht zurück.

Sachsen verliert wie kaum ein anderes Bundesland gut ausgebildete Lehrkräfte, nicht zuletzt wegen der im Bundesvergleich schlechten Bezahlung. Rund 1.400 der 30.000 Lehrerinnen und Lehrer gehen derzeit jedes Jahr in den Ruhestand – und es fehlt an Nachwuchs. Die Folgen: Der Unterrichtsausfall steigt, die Klassen werden größer, Förder-, Ergänzungs- und Integrationsangebote leiden. Parallel wächst die Arbeitsbelastung in den Kollegien – und die unterschiedliche Bezahlung der angestellten Lehrkräfte nimmt zu.

Der Freistaat hat sich auf die vorhersehbare Misere nicht vorbereitet und kann nicht einmal die Hälfte der frei werdenden Stellen mit ausgebildeten Lehrkräften besetzen. Stattdessen wurden zum neuen Schuljahr 52 Prozent mit Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern besetzt – ein bundesweiter Spitzenwert. An manchen Grund- und Oberschulen in Ostsachsen sind nach GEW-Zahlen sogar drei Viertel der neuen Kolleginnen und Kollegen Seiteneinsteiger.

„Damit serviert die Landesregierung der AfD die Themen.“

Uschi Kruse, GEW-Landeschefin in Sachsen, klagt: „Ich mache zurzeit kaum ein anderes Thema als den Lehrermangel.“ Ausgerechnet DaZ und Förderunterricht würden nun abgehängt. „Zuerst fallen die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und von abschlussgefährdeten Jugendlichen mit Teil-Leistungsschwäche sowie Arbeitsgemeinschaften ersatzlos weg“, sagt Kruse. „Damit serviert die Landesregierung der AfD die Themen.“ Hinzu kommt, dass die Klassen an die Belastungsgrenzen stoßen. Schon jetzt seien mehr als 1.000 Klassen größer als nach der Integrationsverordnung vorgesehen.

Bereits voriges Jahr fielen laut Ministeriumsstatistik landesweit 4,8 Prozent der Stunden planmäßig und außerplanmäßig aus. Am stärksten betroffen sind Förderschulen mit teils mehr als zwölf Prozent. „Man hätte schon vor Jahren umsteuern und den Stellenabbau beenden müssen“, sagt Kruse. Der Freistaat hätte mehr Studierende im Lehramt ausbilden und junge Leute einstellen müssen – statt diese weiter in andere Länder abwandern zu lassen, wo sie mehr verdienen und verbeamtet werden. „Das Kultusministerium hat nie ein Personalentwicklungskonzept vorgelegt, wie wir es eingefordert haben“, sagt die GEW-Landeschefin.

„Alle, die – voll ausgebildet – an einer Schule arbeiten, müssen das gleiche Geld bekommen.“

Schulartfremde Einstellungen, Abordnungen und Seiteneinsteiger sorgen im Gefüge der Kollegien zugleich für wachsende Ungleichheiten. So müssen nun erfahrene, angestellte Grundschullehrkräfte mit der Entgeltgruppe E11 abgeordnete Gymnasiallehrkräfte in der Stufe E13 anleiten – obwohl sie im Monat rund 500 Euro weniger verdienen. „Das baut Gerechtigkeitslücken auf, die lange nicht zu schließen sein werden“, kritisiert Kruse: „Alle, die – voll ausgebildet – an einer Schule arbeiten, müssen das gleiche Geld bekommen.“

Die ausführliche Reportage von Sven Heitkamp, der auch mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern sprach, ist in der Novemberausgabe der „E&W“ nachzulesen.