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Sanierungsstau in Bildungseinrichtungen

Ohne Mitbestimmung geht es nicht

Berlin braucht dringend neue Kitas. Doch der Ausbau scheitert nicht nur an der Bürokratie, sondern auch am Fachkräftemangel auf dem Bau. Zudem lohnt sich die Teilnahme am komplizierten Vergabeverfahren für Firmen finanziell häufig kaum.

Stolz ist man in der Berliner Integrationskita Karow KidZ auf den großen, extra schall- und stoßgedämmten Bewegungsraum. Foto: Rolf Schulten

In einer Stadt, deren Kita-Mangel eine Website hat und Geschichten über Menschen kursieren, die Tausende Euro Belohnung für einen Platz anbieten, kann es kaum verwundern, bei der Eröffnung einer Einrichtung auf die zuständige Senatorin zu treffen. Sandra Scheeres (SPD) ist in den äußersten Nordosten Berlins gereist, um anlässlich der Schaffung von 100 Plätzen einige Worte an die Gäste zu richten. Als die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie erwähnt, dass Berlin dank eines Landesprogramms binnen eines Jahres 6.000 Kita-Plätze geschaffen habe, brandet Applaus auf – allerdings am lautesten, als sie anfügt, dass das noch nicht reiche.

Heute ist die Stimmung gut – nicht nur, weil die Eltern, die nahezu ein halbes Jahr Bauverzögerung mit Zwischenlösungen kompensieren mussten, nun einen Platz für ihre Kinder haben. Sondern auch, weil mit der Integrations-Kita Karow KidZ ein ganz tolles Gebäude entstanden ist. Ein zweigeschossiger Bau, hell und nicht laut, inklusiv und ohne Notlösungen für beeinträchtigte Kinder, mit einem großen, extra schall- und zudem stoßgedämmten Bewegungsraum und einem großen Garten nebst Spielplatz.

Auch an kurze und barrierefreie Wege wurde gedacht. So geht es etwa nicht nur via Haupttreppe und Fahrstuhl, sondern auch aus den Gruppenräumen über Außentreppen auf den Spielplatz. „So wird Unruhe aus dem Haus genommen. Und die Wege zu den Toiletten sind von draußen kurz“, sagt Silke Anders-Holtz. Die Kita-Leiterin ergänzt, das sei nur ein Beispiel von vielen, bei dem deutlich werde, dass die Erzieherinnen in den Bauprozess mit eingebunden waren: „Die Ausstattung ist auch deswegen so gut, weil wir als Menschen mit Insider-Wissen und Kita-Erfahrung mitgestaltet haben.“

Kompliziertes Verfahren

Trägerin der Kita ist die „Cooperative Mensch eG“, 1958 als „Spastikerhilfe Berlin“ gegründet. Seit 2015, als er das Projekt Kita-Bau in Angriff nahm, hat der Vorstand zudem fortgeschrittene Grundkenntnisse in Bau- und Ausschreibungsrecht erworben. „Das ist unsere zweite Kita – die erste haben wir vor 50 Jahren gebaut“, erklärt Georg Dudaschwili, „und wir haben eine Menge Vorschriften und Paragrafen kennengelernt.“ Ebenfalls kennengelernt hat er all das, wovon Bauherren immer wieder berichten: Nicht immer läuft mit allen Firmen alles glatt; zudem herrscht auch in diesen Branchen Fachkräftemangel. Bauleiter Olaf Meinke sagt es so: „Überall wird gebaut. Wir hatten noch Glück, dass wir eine Reihe Leute kennen und ins Boot holen konnten.“

Der Bezirk Pankow sowie Scheeres’ Senatsverwaltung hätten das Projekt engagiert unterstützt, betont Dudaschwili. Gehakt habe es bei der für den Baubeginn nötigen Rückübertragung des Grundstücks vom Land Berlin an den Bezirk. Die habe „fast ein Jahr gedauert – dabei wäre schön, wenn alle wüssten, worum es eigentlich geht.“ Darum nämlich, dass berlinweit mindestens 3.000 Kita-Plätze fehlen, und auch hier in Karow Eltern auf heißen Kohlen saßen. „Ich musste nach einem Jahr wieder arbeiten gehen und hatte dann doch noch keinen Platz“, erzählt eine Mutter, „über Monate musste ich Zwischenlösungen suchen.“ Ebenso wenig glücklich war der Träger der Kita, deren Bau 3,4 Millionen Euro gekostet hat, von denen die Hälfte vom Land und vom Bund finanziert worden sind und die sich nur refinanzieren lassen, wenn Kita-Beiträge eingehen.

Woran der dringend notwendige Kita-Ausbau noch scheitern kann, wurde im März frappierend deutlich: In elf Berliner Bezirken sollten 27 „Modulare Kita-Bauten“ (MOKIB) mit insgesamt 3.300 Plätzen entstehen. Die „Schnellbau-Kitas“ waren europaweit ausgeschrieben worden – und von anfänglich 30 interessierten Firmen war am Ende keine bereit, den Auftrag umzusetzen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will jetzt die Kriterien anpassen und eine zweite Ausschreibungsrunde starten.

„Pädagogik und Architektur gehen Hand in Hand, Mitbestimmung ist dafür zentral.“ (Kati Nguimba)

„Tatsächlich sind nicht nur die öffentlichen Vergabeverfahren äußerst kompliziert – auch finanziell lohnt sich die Teilnahme für Firmen häufig kaum“, sagt Ronny Fehler, Kita-Experte bei der GEW Berlin. Allerdings fügt er hinzu, dass der Mangel an Gebäuden nicht das größte Problem sei. „Das ist und bleibt der Fachkräftemangel!“ Überfällig sei zuallererst, den Beruf der Erzieherin, des Erziehers attraktiver zu machen: unter anderem mit angemesseneren Arbeitsbedingungen und höheren Gehältern.

Dennoch: Gute Räume bleiben wichtig für eine gute pädagogische Arbeit. Erzieherin Katrin Stümer führt nicht ohne Stolz durch die Räume der Kita Karow KidZ – und erzählt, dass das neu zusammengewürfelte Team aus Erziehern, Sonderpädagogen und Quereinsteigern die Bauverzögerung eigentlich gut gebrauchen konnte. „Während hier gebaut wurde, hatten wir Gelegenheit, uns konzeptionell aufzustellen und zu schauen, wo man noch etwas verbessern kann.“ Eine Gelegenheit, die es nicht immer gibt.

Kati Nguimba, Kita-Leiterin in Berlin-Wedding, bestätigt, wie wichtig ein gemeinsames Vorgehen bei Kita-Bauten und -Sanierungen ist. „Pädagogik und Architektur gehen Hand in Hand, Mitbestimmung ist dafür zentral“, erzählt sie, und dass diese nicht der Regelfall sei: Ein freier Träger, bei dem sie früher tätig war, habe eine Kita mit „null Mitsprache der Erzieherinnen“ saniert, mit dem Ergebnis, dass einer der Räume so verbaut sei, dass man ihn gar nicht nutzen kann. Vor allem kleinere Träger bauten häufig „möglichst schnell und günstig, zuweilen ohne gründliche Überlegungen“, sagt Nguimba. Sie plädiert dafür, bereits Kita-Kinder in die Planung einzubeziehen: „Ich habe schon ganz tolle partizipative Prozesse erlebt; zum Teil mit Kindern, die selbst gezeichnet haben, wie sie sich ihre Kita vorstellen.“

Größtes Problem: der Lärm

Heute leitet Nguimba eine in den 1970er-Jahren gebaute Kita im Soldiner Kiez in Berlin-Wedding. Der Bau könnte eine Überholung gut gebrauchen; kürzlich sprach Nguimba mit einer Kollegin darüber, wann die sanitären Anlagen zuletzt saniert wurden. Die Antwort: nicht in den letzten 20 Jahren. Die Kita gehört zum Eigenbetrieb Kindergarten City, mit 56 Kitas einer der größten Träger Berlins. Vieles laufe nicht schlecht, sagt die Leiterin. So gibt es ein Gebäudemanagement und angestellte Handwerker; wird ein Tischler, Klempner, Elektriker benötigt, können kleinere Reparaturen schnell erledigt werden. Steht eine größere Sanierung an, müssen Kindergarten-City-Kinder nicht auf der Baustelle weiterspielen, sondern können in eine „Ausflugskita“ umziehen.

Das größte Problem ist der Lärm. Vor drei Jahren, berichtet Nguimba, sei in allen 56 Kitas der Dezibelpegel gemessen und eine Prioritätenliste erstellt worden. Passiert ist seither nichts: „Drei bis vier Kitas pro Jahr werden lärmtechnisch saniert. Wir wissen nicht einmal, auf welchem Listenplatz wir stehen.“ Dabei sei es überall zu laut – in den Fluren, im Treppenhaus, in den Räumen. Selbst angehen dürfe die Kita kaum etwas, wegen der Brandschutzbestimmungen. So groß ist das Problem, dass es bereits die Personalversammlungen erreicht hat. Dort wurde besprochen, ob die Erzieherinnen Ohrstöpsel tragen sollten. Nguimba: „Und was ist mit den Kindern?“

Berliner Landesprogramm

Aus dem Programm des Landes Berlin zur Schaffung neuer Kita-Plätze werden den Trägern für die Jahre 2018 und 2019 insgesamt 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Für den Aus- und Umbau erhalten sie bis zu 10.000 Euro, für den Neu- und Erweiterungsbau bis zu 20.000 Euro pro Platz. In den Bau „Modularer Kita-Bauten“ (MOKIB), die in Holzbauweise errichtet werden und je nach Typ Platz für 60 bzw. 120 bis 150 Kinder bieten sollen, will der Senat nach derzeitigem Stand mehr als 75 Millionen Euro investieren.