Im Wohnzimmer der Familie Dahmer in Dortmund hängt ein großes Foto einer hübschen Frau mit langen dunklen Haaren. Es zeigt eine lächelnde Christine Dahmer kurz vor ihrem 38. Geburtstag – und kurz vor ihrem Schlaganfall. Heute sitzt die inzwischen 48-Jährige mit Pflegegrad fünf im Rollstuhl, kann nicht sprechen und nur den rechten Arm leicht heben. Sie gilt als Wachkomapatientin, auch wenn sie inzwischen versteht, wenn man mit ihr spricht. Bei einem kleinen Spaß kann sie sogar herzlich lachen. „Man kann mit ihr über Augen und Mimik kommunizieren“, sagt Ingo Dahmer.
Nach dem Schicksalsschlag 2008 war für den Radiofernsehtechniker sofort klar, dass er seine Frau nach Hause holt. Dass er seinen Job aufgibt und sich auch um vier Kinder und Haushalt kümmert. Seine Frau in ein Heim zu geben, wie es ihm die Ärzte rieten? Ausgeschlossen. Dahmer: „Ich bin so ein Typ, der macht dann einfach.“
Zwischen sechs und sieben Uhr morgens steht der 49-Jährige auf, wäscht seine Frau und zieht sie an. Drei bis vier Mal die Woche steht zwischen acht und zehn Uhr Physio- oder Ergotherapie an. Dann wird gefrühstückt, Mittagessen gekocht, mit dem behindertengerechten Auto zum Einkaufen und im Sommer in den Garten gefahren. Dahmers Frau sitzt den ganzen Tag im Rollstuhl und ist fast immer dabei: „Tagsüber im Bett zu liegen, gibt es bei uns nicht“, sagt er. Vom Persönlichen Budget des Bundes, einer Finanzspritze für pflegebedürftige und behinderte Menschen, mit der sie selbstbestimmt Ausgaben für persönliche Hilfen decken können, kann sich Dahmer vier Assistenzkräfte leisten, die bei Pflege, Betreuung und im Haushalt helfen: „Das bringt mehr Entlastung für mich als ein Pflegedienst.“ Der nämlich hat längst Feierabend, wenn seine Frau nach dem Fernsehen um 23 Uhr ins Bett geht.
„Nicht das ganze Leben von der Pflege bestimmen lassen, sondern diese integrieren.“
In der Erdgeschosswohnung der Dahmers wurde einiges umgebaut: Ein Deckenlifter führt mit einer Schiene vom Bett im Schlafzimmer zur Wanne im Badezimmer. In die Wohnzimmerdecke ist ein Haken für den Lifter geschraubt, um Dahmers Frau vom Rollstuhl in den Sessel hieven zu können. Das Pflegebett flog dagegen wieder aus dem Schlafzimmer. Stattdessen ergänzte Dahmer das Ehebett um einen Pflegebetteinsatz: „Die Wohnung muss nicht aussehen wie ein Krankenhaus.“ Welche Hilfsmittel es gibt, und welche Anträge er bei der Krankenkasse stellen kann – in all das musste er sich einlesen.
Irgendwann waren die Ersparnisse trotzdem aufgebraucht. „Man wird automatisch Hartz-IV-Empfänger“, erklärt er. Da das Pflegegeld nicht von dieser Leistung abgezogen wird, kommt die Familie – nur die zwölfjährige Tochter Jona wohnt noch zu Hause – über die Runden. Dennoch wünscht sich Dahmer, dass pflegende Angehörige das bekommen, was auch ein Pflegedienst bekäme. Dieser könnte für seine Frau 1.900 Euro abrechnen, er dagegen erhält nur 900 Euro Pflegegeld.
Anderen Betroffenen empfiehlt er: „Nicht das ganze Leben von der Pflege bestimmen lassen, sondern diese integrieren.“ Sein persönliches Erfolgsrezept heißt Liebe: „Wenn die Beziehung vorher nicht in Ordnung war, kann man nachher auch nicht pflegen.“