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Bildungsgewerkschaft in Rojava

„Unser Hauptziel ist, allen Kindern Bildung zu ermöglichen.“

Kriegsfolgen, Wirtschaftsembargo, Erdbeben: Große Herausforderungen auch für die Bildungsgewerkschaft in der syrischen Autonomieregion Rojava. Ein Interview mit Nesrîn Reşik, Ko-Vorsitzende der Yekîtiya Mamosteyên Bakur û Rojhilatê Sûriyeyê.

Krieg, Zerstörung und jetzt ein Erdbeben haben auch Auswirkungen auf das Bildungswesen und damit die Kinder in der autonomen Region Rojava in Nord- und Ostsyrien (Foto: StockSnap).
  • Zunächst einmal: Welche Folgen hatte das schreckliche Erdbeben für das Bildungswesen?

Auch viele Lehrkräfte haben ihr Leben verloren, andere wurden verletzt. Viele Schulgebäude sind zerstört. Andere sind so stark beschädigt, dass man sie nicht mehr betreten kann. Auch etliche Büros unserer Gewerkschaft sind komplett zerstört. Gemeinsam mit dem Bildungsrat der autonomen Region Rojava – vergleichbar mit einem Bildungsministerium - haben wir eine Liste erstellt. Darin steht, wie groß der Schaden ist, wie viele Schulen zerstört worden sind.

  • Wie ist die berufliche Lage der Lehrkräfte in Rojava? Wie viel verdienen sie?

Die Lehrerinnen und Lehrer bei uns verdienen doppelt so viel wie die Lehrkräfte, die für das Assad-Regime unterrichten. Das ist schon mal gut. Trotzdem ist das nicht viel. Bezahlt werden sie vom Bildungsrat. Aber der hat noch andere Aufgaben: Er muss auch vom Krieg beschädigte Schulen aufbauen. Er investiert viel Geld in Lehrmaterialien. Auch die Schulkinder brauchen finanzielle Unterstützung. Außerdem werden Schulen aktuell vom türkischen Militär bombardiert und die Terrormiliz IS verübt weiterhin Anschläge. All das verursacht weitere Ausgaben für den Bildungsrat. Insgesamt ist die Lage schwer. Denn Rojava leidet auch unter dem Wirtschaftsembargo gegen die Region.

  • Die Bildungsgewerkschaft von Rojava wurde 2013 gegründet. Wie seht ihr eure Arbeit, wie entwickelt sich die Gewerkschaft weiter?

Die Arbeit, die wir machen, ist ein Prozess. Wir haben viele junge Lehrkräfte, die wir ansprechen und von der Gewerkschaftsarbeit überzeugen wollen. Unser Ziel ist es, in jeder Schule eine gewerkschaftliche Vertrauensperson zu haben, die über die Situation an den Schulen berichten kann. Die Lehrkräfte sind auch mit den Eltern und den Kindern im Austausch. Auch die Kritik von Eltern und Kindern kann bei Konferenzen, die wir regelmäßig abhalten, eingebracht werden. Dann sprechen wir darüber.

Nesrîn Reşik ist die Ko-Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft in Nord- und Ostsyrien (Foto: Carmen Ludwig).
  • 2017 gelang es, die Stadt ar-Raqqa und weitere Orte vom IS zu befreien. Was bedeutete das für die Bildungsgewerkschaft?

Dort mussten wir bei null anfangen. Der Bildungsrat musste neue Schulen bauen. Wir mussten Schülerinnen und Schüler und deren Eltern überzeugen, dass sie wieder zur Schule gehen. Viele Kinder dort hatten vier, fünf Jahre lang keinen Zugang zur Schule. Oder hatten noch nie eine Schule besucht. Es gab außerdem kaum Lehrkräfte. Um Lehrerinnen und Lehrer für die Region zu gewinnen, haben wir in den befreiten Städten Konferenzen organisiert. Dort haben wir auch Gewerkschaftsbüros eröffnet. Unser Hauptziel ist ja, allen Kindern Bildung zu ermöglichen. Bildung kommt eine Schlüsselrolle zu, um eine bessere und demokratische Gesellschaft aufzubauen.

 

  • Die Bildungsgewerkschaft von Nord- und Ostsyrien hat 40.000 Mitglieder. Welche Rolle spielt die Gleichberechtigung?

Wir haben die Regelung, dass es überall eine Doppelspitze gibt. Immer eine Frau und ein Mann. Auch beim Vorsitz der Gewerkschaft, in allen Komitees, Kommissionen und Ausschüssen. Ich kann daher sagen, dass es bei uns Gleichberechtigung gibt. Vielleicht sind Frauen sogar stärker präsent als Männer. Denn in Rojava gibt es mehr Lehrerinnen als Lehrer. Das gilt auch für die Mitglieder der Gewerkschaft.

 

  • Yekîtiya Mamosteyên Bakur û Rojhilatê Sûriyeyê ist seit November letzten Jahres Mitglied der Bildungsinternationalen (BI). Du bist derzeit auf Einladung der GEW in Deutschland. Welche Unterstützung von BI und GEW wäre besonders wichtig?

Viele Lehrerinnen und Lehrer bei uns haben eine gute Hochschulbildung. Trotzdem ist es sinnvoll, sich weiterzubilden und von anderen Ländern zu lernen. Wir würden uns deshalb freuen, wenn Bildungsexpertinnen oder -experten aus Deutschland oder von der Bildungsinternationalen uns besuchen und hier Fortbildungen anbieten. In diesem Sinne möchten wir nach Rojava einladen.