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Noten im Schulsport

„Nicht die Note motiviert, sondern die Gesamtstimmung“

Der Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport will das Notensystem für das Fach Sport abschaffen und neben der Leistung auch Kriterien wie Teamfähigkeit heranziehen. E&W sprach mit Helmut Holter (Die Linke) über sein Vorhaben.

Helmut Holter (69) ist seit 2017 Minister für Bildung, Jugend und Sport im Freistaat Thüringen (Foto: Steve Bauerschmidt)
  • Herr Holter, welche Note hatten Sie einst im Sportunterricht?

Mal eine 2, mal eine 3. Das schwankte, weil ich in ein paar Disziplinen nicht so gut war, in anderen aber besser.

  • Spielten Ihre eigenen Erfahrungen eine Rolle bei Ihren Überlegungen, das aktuelle Notensystem unter anderem für Sport abzuschaffen, oder was hat den Ausschlag gegeben?

Ausgangspunkt waren die Sportmediziner und -medizinerinnen in Thüringen, die nach der Corona-Pandemie sagten, man müsse Kinder und Jugendliche motivieren, wieder in Bewegung zu kommen. Aber Zensuren seien gerade für diejenigen demotivierend, die nicht so leistungsstark sind. Sie forderten deshalb zunächst, die Sportnote ganz abzuschaffen. Aber das haben sie jetzt in ihrer Frühjahrstagung korrigiert. Es geht darum, mehr als die Leistung zu benoten.

  • Sie wollen also nicht die Sportnote abschaffen, sondern nur die Bewertungskriterien ändern?

Es geht nicht um die Abschaffung der Zensur. Kinder und Jugendliche sollen im Sportunterricht nicht gedemütigt und beschämt, sondern motiviert werden, Sport zu treiben. Egal, ob sie die Veranlagung haben oder nicht. Alle sollen in Bewegung kommen, weil das für die körperliche und gesundheitliche Entwicklung wichtig ist – und auch für das Lernen in den anderen Fächern. Deswegen müssen Sport, Musik, Kunst die gleiche Bedeutung haben wie alle anderen Fächer.

„Es sollte nicht sein, dass eine Schülerin, ein Schüler im Alter von zehn Jahren eine 1 bekommt, wenn er oder sie im Schlagball eine bestimmte Weite schafft. Entscheidender ist, ob sich das Kind anstrengt und trainiert, um eine entsprechende Weite zu erzielen.“ (Helmut Holter)

  • Welche Parameter sollen bewertet werden?

Die Leistung kann natürlich herangezogen werden, darf aber nicht der Maßstab für die Beurteilung des Kindes sein. Es sollte nicht sein, dass eine Schülerin, ein Schüler im Alter von zehn Jahren eine 1 bekommt, wenn er oder sie im Schlagball eine bestimmte Weite schafft. Entscheidender ist, ob sich das Kind anstrengt und trainiert, um eine entsprechende Weite zu erzielen. Dieser Prozess muss bewertet werden. Beim Sport geht es außerdem nicht nur um die die sportliche Leistung, sondern zum Beispiel auch um Teamfähigkeit.

  • Das ist auch eine Frage der Persönlichkeit, des Charakters …

Nicht die Note motiviert, sondern die Gesamtstimmung innerhalb des Klassenverbunds. Die Note ist bisher immer damit verbunden, dass die Chancengleichheit eingeschränkt wird und damit auch Kinder in verschiedene Gruppen eingeteilt werden. Das führt zu Rangunterschieden in der Klasse, und die werden natürlich von Kindern und Jugendlichen ausgelebt. Das will ich nicht. Deswegen ist es wichtig, dass die gesamte Persönlichkeit in den Blick genommen wird.

„Insgesamt ist es mir vor allem wichtig, dass man darüber diskutiert, wie Kinder und Jugendliche mehr in Bewegung kommen und damit die Gleichwertigkeit des Faches Sport hergestellt wird.“

  • Wie ist die Resonanz bei Schülern, Eltern und den Lehrkräften, die Ihre Vorstellungen umsetzen müssen?

Die Eltern und Schüler sehen es mehrheitlich wie ich. Bei den Lehrern und Lehrerinnen gibt es natürlich Fragen. Aber insgesamt ist es mir vor allem wichtig, dass man darüber diskutiert, wie Kinder und Jugendliche mehr in Bewegung kommen und damit die Gleichwertigkeit des Faches Sport hergestellt wird. Damit haben wir schon einmal viel erreicht.

  • Welche Vorbehalte haben die Lehrerinnen und Lehrer?

Zum einen höre ich, dass man die Bewertung der Leistung brauche, gerade auch bei Abschlusszeugnissen. Zum anderen, dass das, was ich fordere, ja schon längst in der Praxis gemacht wird. Aber mir wird aus den Schulen oft Gegenteiliges mitgeteilt. Es ist auf jeden Fall nicht Alltag, dass das, was neben der sportlichen Leistung unbedingt auch Teil der Beurteilung sein sollte, entsprechend berücksichtigt wird.

  • Sie haben Ihren Vorschlag auch auf der Kultusministerkonferenz im März vorgestellt. Wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern reagiert?

Sie haben das mit Neugier und auch Erstaunen zur Kenntnis genommen, aber eine unmittelbare Reaktion gab es bisher noch nicht.

  • Wie stellen Sie sich die Umsetzung vor?

Es muss zum Geist der Benotung in diesen Fächern gehören, dass man die allseitige Entwicklung des Kindes, des Jugendlichen in den Blick nimmt. Das wird teilweise gemacht, aber eben noch nicht durchgängig. Deshalb müssen diese Leistungstabellen als alleiniger Maßstab der Benotung weg. Natürlich brauche ich Kriterien und Bezugsnormen, aber das darf nicht dazu führen, in der Sportnote heruntergezogen zu werden. Ich werde dazu die Diskussion mit den Fachlehrern und -lehrerinnen suchen und fortsetzen.

  • Sehen Sie Chancen, dieses neue Bewertungssystem in Thüringen schon im nächsten Schuljahr umzusetzen?

Ich bin mit Andreas Jantowski, dem Direktor des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, der mich sehr unterstützt, im Gespräch. Es muss in den Fortbildungsveranstaltungen der Fachlehrer und -lehrerinnen implementiert werden, wie und was benotet wird. Und wir müssen schauen, ob wir in Hinweisen an die Lehrer und Lehrerinnen Veränderungen vornehmen müssen. Das ist auch zu Beginn des neuen Schuljahres schon leistbar.