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„New Work“ – Gute Arbeit?

Auch wenn noch niemand voraussagen kann, wie sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren tatsächlich entwickeln wird: Klar ist, dass die Gewerkschaften wachsam sein müssen, damit die Digitalisierung genutzt wird, um Arbeit zu humanisieren.

Foto: Pixabay / CC0
Foto: Pixabay / CC0

In der Debatte um die Digitalisierung der Arbeitswelt geht es im Wesentlichen um zwei zentrale Fragen. Die größte mediale Aufmerksamkeit gilt seit der Studie von Frey/Osborne im Jahr 2013 der Befürchtung, dass es zu einer Automatisierungswelle menschlicher Arbeit kommt. Inzwischen gibt es neue, aber unterschiedliche Szenarien. Was die Arbeitswelt aber tatsächlich erwartet, lässt sich zurzeit nicht seriös vorhersagen. Die zweite Frage ist, wie Digitalisierung genutzt werden kann, damit wir in Zukunft gute, ja bessere Arbeit bekommen. Kann die digitale Technik Arbeit menschlicher machen? Das klingt vielleicht widersprüchlich, aber die Hoffnung ist nicht unbegründet.

Roboter und Assistenzsysteme können den Menschen zum Beispiel schwere körperliche Arbeiten abnehmen, Software kann bei Arbeitsabläufen helfen und bei Routinetätigkeiten entlasten. Darüber hinaus wird Arbeit mobiler und kann flexibel organisiert werden. Das gilt auch für neue Arbeitsformen. Wer will, kann auch auf Online-Plattformen Arbeit finden – Nebenverdienste durch Microtasks oder als Freelancer bei Ausschreibungen im Netz das große Los ziehen. Das Ganze in bunten Co-Working Spaces. Klingt erst einmal gut. So wird auch immer wieder betont, dass „Arbeiten 4.0“ eine Chance ist, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren – nicht zuletzt die Arbeitgeberverbände heben diesen Aspekt hervor. 

Arbeit wird parallel entgrenzt und intensiviert

Flexibilität ist das Zauberwort in der Debatte um „Arbeit 4.0.“. Was vor allem für Hochqualifizierte eine Verheißung ist, klingt für viele andere wie eine Bedrohung. Nicht ohne Grund: In den vergangenen Jahren hat die Flexibilisierung vor allem dazu geführt, dass die Arbeitszeiten ausgeweitet worden sind. Atypische Arbeitszeiten – am Abend oder am Wochenende – nehmen zu. Gleichzeitig steigen die Belastungen durch Arbeitsverdichtung, mehr als die Hälfte der Beschäftigten ist gestresst und arbeitet gehetzt – Probleme, die in den Bereichen Erziehung und Unterricht übrigens überdurchschnittlich häufig auftreten. Arbeit wird also parallel entgrenzt und intensiviert. Die Digitalisierung spielt hierbei eine große Rolle: Arbeitsprozesse werden beschleunigt, neue Kompetenzen sind gefordert und die Verfügbarkeit- und Erreichbarkeitserwartungen ufern aus.

Multitasking und Selbstorganisation, Arbeit in der Freizeit – all das ist für viele heute schon Alltag, nicht zuletzt im Home Office. Das Konzept der Work-Life-Balance mutiert zur Work-Life-Integration, Arbeit und Leben lassen sich immer weniger trennen. Dabei gehen die Interessen der Beschäftigten weit auseinander: Die einen wollen freier arbeiten, während sich andere durch prekäre Jobs quälen und nach Perspektiven suchen. Wieder andere brauchen klare Grenzen oder sorgen sich, das Tempo nicht mitgehen zu können. Das bedeutet, die Arbeitsgestaltung wird anspruchsvoller. Entscheidend ist dabei nicht die Arbeitszeit alleine, sondern die Frage, was in welcher Zeit zu arbeiten ist – und in welcher Form.

Mit „Arbeit 4.0“ ist der Trend verbunden, dass Ziele und Ergebnisse mehr im Fokus stehen als die geleistete Arbeitszeit. Was nützen aber flexible Arbeitszeiten, wenn die Beschäftigten über Leistungsziele gesteuert werden, die sie weder beeinflussen noch erreichen können? Hier lauern große Gefahren, weil die Verantwortung den einzelnen Beschäftigten angeheftet wird, obwohl der Grund für nicht genügende Ergebnisse viel eher in schlechter Arbeitsorganisation oder fehlenden Ressourcen liegt.

Verstärkt wird der Leistungsdruck durch eine neuartige Transparenz, die Digitalisierung ermöglicht. Zum einen erleichtert die vernetzte Arbeit in der Cloud Leistungskontrollen und -vergleiche: Die Effizienz der Arbeitsleistung, Arbeits- und Pausenzeiten, Mobilität oder Verhalten der Beschäftigten können getrackt und digital ausgewertet werden. Andererseits steigt der Druck auf die Beschäftigten auch von außen: Die Macht der Konsumenten wird größer, zum Beispiel durch höhere Kundenerwartungen und entsprechende Rankings im Internet. Dies gilt nicht nur für das Paradebeispiel Versandhandel, sondern auch im Journalismus: Artikel werden testweise vorab ins Netz gestellt und kommen nicht in die Printausgabe, wenn es zu wenige Klicks gibt.

Zusätzliche Konkurrenz aus aller Welt kommt noch hinzu, wenn betriebliche Projekte über Crowdsourcing im Internet ausgeschrieben werden. Das ist gut für Innovationen, aber sicher nicht gut für die Psyche der Beschäftigten. Insgesamt entsteht leicht das Gefühl „permanenter Bewährung“. Crowdsourcing gibt es übrigens in vielen Schattierungen als eine Spielart der Plattform-Ökonomie. Ob Taxigewerbe, Handwerk oder diverse Dienstleistungen: Hier geht es – zum Teil ganz offen – um die Umwandlung von Arbeitsplätzen in online vermittelte Arbeitseinsätze, den digitalen Werkvertrag sozusagen. Arbeitszeiten spielen keine Rolle mehr. Es zählt nur das Arbeitsergebnis. Die Regeln bestimmen die jeweiligen Plattformen über ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen selbst – Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherung sollen so ausgehebelt werden. Klingt jetzt wahrscheinlich nicht mehr ganz so gut. Ist es auch nicht.

Prozess kann noch gestaltet werden

Das Gute ist aber, dass wir am Anfang eines Prozesses stehen, der gestaltet werden kann. Voraussetzungen für einen erfolgreichen digitalen Wandel – auch der Unternehmen – sind ein effektiver Arbeitnehmer-Datenschutz, die Stärkung der Mitbestimmung, eine faire Gestaltung der Plattformarbeit und natürlich Bildung, Ausbildung und Qualifizierung. Meines Es sollte vor allem darum gehen, die Welt von Morgen besser zu verstehen und damit nicht nur die Frage, wie Algorithmen funktionieren, sondern auch was sie bewirken können – im Guten wie im Schlechten. Das ist die entscheidende gesellschaftliche Frage, auch für die Beschäftigungsperspektiven.

„Arbeit 4.0“ darf nicht auf technologische Effizienz und betriebswirtschaftliche Optimierung reduziert werden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung für mehr Flexibilität müssen auch im Sinne der Beschäftigten organisiert werden. Dazu braucht es klare Rahmenbedingungen – und zwar für alle, auch wenn flexibles Arbeiten zum Beispiel bei Schicht- und Stundenplänen mit Präsenzpflicht nicht einfach zu realisieren ist. Doch gerade deshalb brauchen alle Beschäftigten verbindliche Ziehungsrechte*, um die Arbeit an ihr Leben anpassen zu können – ob an unterschiedliche Lebensphasen, Tagesrhythmen oder Erholungszeiten. Dafür ist ein breiter gesetzlicher Rahmen erforderlich, der mehr Freiräume, aber auch ausreichenden Schutz bietet. Das wäre ein guter Flexibilitätskompromiss.