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Bundestagswahl 2021

Zwischen Schuldenbremse und Vermögensteuer

In ihren Wahlprogrammen versprechen alle Parteien außer der AfD, herkunftsbedingte Nachteile durch Bildung auszugleichen. Deutliche Unterschiede gibt es allerdings bei der Frage, wie dies gelingen soll.

Die bevorstehende Bundestagswahl ist auch bildungspolitisch eine Richtungswahl. Klar ist: Weder in der frühkindlichen Bildung noch in der Schul- und Wissenschaftspolitik kann es ein „Weiter so!“ geben. (Foto: mauritius images/Prostock-studio/Alamy)

In der Sommerpause kam Bildung im Bundestagswahlkampf kaum vor. Dann trat, bemüht, ihre Themen wieder selbst zu setzen, Annalena Baerbock vor die Presse. Die Forderung: eine „nationale Bildungsoffensive“, beginnend mit einem Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen bald nach den Wahlen. Unterstützt wurde die Kanzlerkandidatin der Grünen von Prof. Jutta Allmendinger, seit Jahrzehnten eine der profiliertesten Kämpferinnen für Chancengleichheit. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung stellte im Grunde allen Wahlprogrammen der vergangenen 25 Jahre ein vernichtendes Zeugnis aus: „Ungleiche Ausgangslagen werden durch das Bildungssystem verstetigt, wenn nicht verschärft.“

Was aus der nationalen Offensive wird, darf unabhängig vom Abschneiden der Grünen als offen gelten. Vorhaben mit dem Zusatz „national“ stehen in Deutschland unter keinem guten Stern; das gilt für den gescheiterten Nationalen Bildungsrat ebenso wie für eine „nationale Bildungsallianz“, welche die SPD vor den Wahlen 2017 so groß wie folgenlos ankündigte. Das Bemühen um mehr Bund in der Bildung, das zeigt ein Blick in die diesjährigen Wahlprogramme, wollen dennoch mehrere Parteien nicht aufgeben: Die FDP setzt sich für eine Reform des Kooperationsverbots ein, die Linke will es komplett aufheben.

Aufstieg durch Bildung

Durch Bildung herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen, hat sich nur die AfD nicht auf die Fahnen geschrieben: Sie fordert strikte Segregation in der Bildung, ist für ein mehrgliedriges Schulsystem, für die separate Beschulung von Förderschülerinnen und -schülern. Alle anderen sprechen sich im Grunde gleichlautend für einen möglichen Aufstieg durch Bildung aus. Deutliche Unterschiede finden sich darin, wie dieser gelingen soll: Die Union will zuvorderst, auch steuerlich, die Familien entlasten. Für Bildungsaufstieg brauche es „fürsorgliche und unterstützende Eltern, engagierte Erzieherinnen und Lehrkräfte, ermutigende und inspirierende Ausbilder und Professoren“. Auch verpflichtende Sprachtests für Kinder im Alter von drei Jahren mit anschließender Förderung stehen im Programm.

Digitale Bildung

Andere Parteien stellen den Fachkräftemangel in den Vordergrund. Die SPD will die Zahl der „Nachwuchskräfte in erzieherischen Berufen“ bis 2030 verdoppeln; erreicht werden soll das unter anderem mit einer vergüteten und schulgeldfreien Ausbildung und mehr Plätzen an Fach- wie Hochschulen. Die Linke fordert eine Bundesoffensive für zusätzlich 100.000 Lehrkräfte und 200.000 Erzieherinnen und Erzieher sowie Schulsozialarbeit an jeder Schule. Außerdem will die Linke den Kita-Betreuungsschlüssel bundesweit für unter DreiJährige auf 1:3, für Kinder ab drei Jahren bei 1:8 festlegen, was den Empfehlungen der Wissenschaft entspricht. Auch die Grünen wollen das Verhältnis von Erzieherin zu Kindern festschreiben, allerdings bei 1:4 und 1:9.

Digitale Bildung haben, nach 1,5 Pandemiejahren kaum überraschend, alle Parteien im Programm. Recht ähnlich wollen Union und SPD den bundesweiten Aufbau von Kompetenzzentren, in denen oder über die sich Lehrkräfte bilden und fortbilden können. Die Grünen fordern eine „Bundeszentrale für digitale und Medienbildung“, die auch für Schülerinnen und Schüler, Eltern, Bürgerinnen und Bürger ansprechbar ist. Die FDP setzt sich für die bundesweite Einführung der Schulfächer Wirtschaft und Informatik sowie den stärkeren Einsatz von künstlicher Intelligenz – Learning Analytics – an Schulen ein, um mehr individualisiertes Lernen und Lehren zu erreichen. Demgegenüber mahnt die Linke, Digitalisierung dürfe „nicht zum Einfallstor der Profitinteressen von Unternehmen werden“. Als einzige Partei spricht sich die Linke zudem für einen Rechtsanspruch auf inklusive Bildung aus. Die FDP will die Autonomie der Schulen durch mehr „pädagogische, personelle und finanzielle Freiheiten“ stärken.

„Wir werden an das BAföG rangehen.“ (Anja Karliczek)

Etwas tun dürfte sich beim BAföG; nicht einmal das seit sieben Jahren allein zuständige Bundesbildungsministerium will noch, dass es bleibt, wie es ist. „Wir werden an das BAföG rangehen“, kündigte Ministerin Anja Karliczek (CDU) in einem Interview im August an. Laut Wahlprogramm der Union sollen unter anderem die Altersgrenze fallen und eine zweite geförderte Ausbildung möglich werden. Am Darlehensmodell wird festgehalten. Die SPD hingegen strebt eine Rückkehr zum Vollzuschuss an, ebenso die Linke, die zudem eine automatische Anpassung an Lebenshaltungs- und Wohnkosten fordert.

Die Grünen wollen das BAföG zu einer „Grundsicherung“ für Studierende und Auszubildende umbauen, die sich aus einem Garantiebetrag für alle und einem Bedarfszuschuss für jene aus einkommensärmeren Elternhäusern zusammensetzt. Die FDP plädiert für ein elternunabhängiges „Baukasten-BAföG“ von 200 bis 400 Euro. Darüber hinaus sollen „monatlich anpassbare, zinsfreie und erst bei gutem Einkommen rückzahlbare Darlehen“ greifen.

Unterschiede in der Wissenschaftspolitik

Große Unterschiede finden sich beim Thema Dauerprekarisierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Im CDU/CSU-Wahlprogramm taucht das Thema nicht explizit auf, sie setzt auf mehr Exzellenz durch „zusätzliche Leistungskomponenten“. Die SPD fordert inzwischen ebenso eine gründliche Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) wie Grüne und Linke: Dauerstellen für Daueraufgaben sollen darin ebenso festgeschrieben werden wie verlässliche Tenure-Tracks zur Professur. Grüne wie Linke wollen zudem an das Lehrbeauftragtenmodell ran. Die Linke spricht sich außerdem dafür aus, den wissenschaftlichen „Nachwuchs“ in Abteilungen oder Departments zu organisieren; auch ein flächendeckender Tarifvertrag für studentische Beschäftigte steht im Programm. Grüne und FDP wollen für mehr Diversität in der Wissenschaft sorgen; die Grünen fordern zudem wirksamere Regeln zur Frauenförderung.

In der beruflichen Bildung spricht sich die SPD für eine Ausbildungsgarantie aus. Auch in Gesundheits- wie Erziehungsberufen sollen duale Ausbildungen, wo immer möglich, die vollschulischen ersetzen. Die Linke will ein „Recht auf eine gebührenfreie und vollqualifizierende Ausbildung für alle“, anonymisierte Bewerbungsverfahren sollen die Chancengleichheit voranbringen. Die Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden sollen „bei ihrem Kampf für bessere tarifvertragliche Lösungen“ unterstützt werden. Einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag soll es laut den Linken auch für Lehrkräfte in der Weiterbildung geben, Honorarverträge möglichst in feste Stellen umgewandelt werden.

Offene Finanzierungsfragen

Bleibt die Frage, wie die Umsetzung finanziert werden soll. Die Partner der aktuellen Koalition sprechen sich für die Beibehaltung der Schuldenbremse aus.

Während die Union vor allem steuerliche Entlastungen plant, setzt sich die SPD für eine Vermögensteuer von 1 Prozent für Vermögende und einer bis zu 3 Prozent höheren Einkommensteuer für hohe Gehälter ein. Mehr Geld käme dadurch allerdings nicht in die Kassen, weil Menschen mit geringeren Einkommen entlastet werden sollen, erklärte Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz jüngst in einer Wahlrunde im ZDF. Die Grünen wollen die Schuldenbremse durch eine Investitionsregel ergänzen, die greift, wo „neues volkswirtschaftliches Vermögen“ entsteht – in renovierten und gut ausgestatteten Schulgebäuden zum Beispiel.

Die FDP will einen Prozentpunkt des Mehrwertsteueraufkommens zusätzlich in Bildung investieren, das entspricht rund 2,5 Milliarden Euro – allerdings zugleich möglichst viele Steuern senken. Mit einer regelrechten Umverteilung macht nur die Linke auf sich aufmerksam: Sie plant, Vermögen von über zwei Millionen Euro mit bis zu 30 Prozent zu besteuern, die Erbschaftsteuer zu erhöhen und auch hohe Einkommen deutlich stärker zu besteuern. Allein: Ein Koalitionspartner dafür ist nirgends in Sicht.