Zum Inhalt springen

Kommentar

Working Poor

Die öffentlich verantwortete Weiterbildung ist komplett unterfinanziert. Darauf hat die GEW immer wieder mit Studien hingewiesen. Mit ihren „Weimarer Thesen“ hat die Bildungsgewerkschaft konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt.

GEW-Vorstandsmitglied Ansgar Klinger (Foto: Kay Herschelmann)

Verglichen mit der Schule und der Hochschule und den für diese Bereiche regelmäßig erhobenen Statistiken ist die Datenlage in der Weiterbildung erheblich ungenauer. Dennoch wissen wir aus dem 2016 veröffentlichten wb-Personalmonitor, dass gut 70 Prozent der fast 700.000 Beschäftigten in der Weiterbildung sogenannte Soloselbstständige sind, knapp 14 Prozent sind angestellt und gerade einmal gut 2 Prozent beamtet.

Der Anteil der Hochschulabsolventinnen und -absolventen ist in dem Beschäftigungsfeld der Weiterbildung überdurchschnittlich hoch, die Beschäftigung selbst jedoch äußerst heterogen. 55 Prozent derjenigen, die hauptberuflich in der Weiterbildung arbeiten, sind mindestens in einem der Kriterien Einkommen, Beschäftigungsstabilität, Beschäftigungsfähigkeit oder soziale Absicherung als prekär einzustufen, bei den anderen Beschäftigten beträgt dieser Anteil sogar mindestens 85 Prozent!

Es ist erstaunlich, dass in der betrieblichen und damit privat finanzierten Weiterbildung bessere Arbeitsbedingungen herrschen als in der öffentlich finanzierten und damit letztlich der Kontrolle und Steuerung der Parlamente unterliegenden Weiterbildung. Hier lässt sich von „Working Poor“ im öffentlichen Auftrag sprechen.

Beispiel Integrationskurse: Während die Kriterien für die Zulassung als Lehrkraft, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern formuliert, vergleichbar sind mit einer vom selben Ministerium verantworteten Eingruppierung in die Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD), schreibt das BAMF den Trägern der Kurse lediglich vor, den Lehrkräften ein Honorar von 35 Euro/Unterrichtsstunde zu zahlen. Abgesehen davon, dass Soloselbstständige das Arbeitgeberrisiko ihrer Auftraggeber übernehmen müssen, liegt dieses Honorar deutlich unter dem Mindestlohn in der beruflichen Weiterbildung.

Die GEW schlägt vor, dass die Politik im Bürgerlichen Gesetzbuch eine klare Regelung zur Abgrenzung von echter Selbstständigkeit und ungewollter Scheinselbstständigkeit schafft.

Das durchschnittliche Honorar der Lehrkräfte für andere Kurse ist übrigens noch deutlich niedriger. Mit diesen Einkünften kann eine „selbstständige“ Lehrkraft in der öffentlich verantworteten Weiterbildung keine ihrer Aufgabe entsprechenden Ansprüche in der Altersversorgung aufbauen, weil sie zu wenig verdient, um entsprechend hohe Beiträge in die Rentenkasse einzahlen zu können. Dass so Altersarmut im öffentlichen Auftrag produziert wird, ist ein weiterer Skandal. Die GEW schlägt vor, dass die Politik im Bürgerlichen Gesetzbuch eine klare Regelung zur Abgrenzung von echter Selbstständigkeit und ungewollter Scheinselbstständigkeit schafft.

Beispiel Maßnahmen nach dem Sozialgesetzbuch II und III im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit: Die Politik hat in den vergangenen drei Jahrzehnten entschieden, dass die Einrichtungen den „Steuerungsinstrumenten des Marktes“ ausgesetzt werden. Die Folge: Der Wettbewerb wird maßgeblich zu Lasten des Personals und dessen Arbeitsbedingungen ausgetragen. Die Branche steht nun vor dem Problem, dass unter diesen Bedingungen qualifiziertes Personal weder zu halten noch zu gewinnen ist. Auch hier muss die Politik, nicht nur im Sinne der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“, handeln und klare Unterstützung auf dem Weg zu einem echten Branchentarifvertrag geben – orientiert an den Bedingungen des öffentlichen Dienstes.

Die öffentlich verantwortete Weiterbildung ist komplett unterfinanziert. Darauf hat die GEW immer wieder mit Studien hingewiesen. Mit ihren „Weimarer Thesen“ hat die Bildungsgewerkschaft konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt. Jetzt ist die Zeit, zu handeln.