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Schul-Cloud

Wolkige Lösungen mit Luft nach oben

Auch Schulen sollen davon profitieren, Daten in der Cloud speichern und verarbeiten zu können, also auf externen Computern. Das birgt Chancen und Risiken. Beispielsweise haftet am Ende immer die Schule.

Foto: Pixabay / CC0

Zu Besuch am Ratsgymnasium im ostwestfälischen Minden. Ich erfahre, dass die Lehrkräfte am privaten PC zuhause Notenlisten führen dürfen. Wie das? Diese sind doch besonders geschützte, personenbezogene Daten? „Die Noten befinden sich nicht auf dem Gerät, sondern in der Cloud“, antwortet Manfred Kresse, Verwaltungsleiter des Ratsgymnasiums. Das private Endgerät diene lediglich als „Fernbedienung“, erklärt der 61-Jährige. 

Die Cloud ist ein externer Computer, auf dem große Mengen Daten zentral gespeichert werden. Cloudanbieter stellen Rechnerkapazitäten und Software bereit, kümmern sich um die Administration – und entlasten damit Unternehmen und Behörden. Auch Schulen könnten profitieren. Das Problem: Für personenbezogene Daten von Schülerinnen und Schülern gelten strenge Vorschriften. Lehrkräfte seien verpflichtet, diese Daten „einzig auf Computern zu verarbeiten, die hierfür explizit eingerichtet wurden“, sagt der Kölner Fachanwalt Christian Solmecke. Dazu zählten „vor allem Computer, die sich im Schulbüro, im sogenannten Verwaltungsnetz, befinden“.

Doch an vielen Schulen fehlen Dienst-PCs. Wer jedoch sensible Daten zuhause am privaten Endgerät bearbeiten will, benötigt grünes Licht von der Schulleitung. In Nordrhein-Westfalen müssen Lehrkräfte dazu eine Erklärung unterschreiben – und sich verpflichten, an ihrem Tablet oder Laptop umfangreiche Sicherheitseinstellungen vorzunehmen. Mit der Folge, dass die private Hardware quasi in ein „dienstliches Gerät“ umgewandelt werde, kritisiert Björn Rützenhoff von der AG Digitalisierung der GEW NRW.

Das bleibt den Lehrkräften am Ratsgymnasium erspart – ihre Schule hat seit Schuljahresbeginn eine eigene Cloud. „Der Server steht im Schulgebäude“, erklärt Kresse. Damit würden keine Daten außerhalb der Schule gespeichert. „Was wir hier machen, ist stabil“, versichert der Lehrer, der Mathematik und Physik unterrichtet.

Allerdings ist den Lehrkräften des Ratsgymnasiums außerhalb des Schulgebäudes lediglich erlaubt, die Noten der eigenen Schülerinnen und Schüler zu verarbeiten. Nicht über die Cloud laufen zudem Raumbuchungen und Vertretungspläne. Digitale Lehr- und Lernmaterialien werden weiterhin im schuleigenen Materialpool, dem „Lernnetz“, bereitgestellt. Das Mindener Gymnasium plant aber, diese Materialien künftig via Schulcloud anzubieten.

„Die Schulleitung haftet für alles, was schiefgehen kann.“ (Klaus Keßler)

Um die schuleigenen Rechner samt Cloud kümmern sich Verwaltungsleiter Kresse und zwei Kollegen. Zum Ausgleich unterrichten die drei zusammen fünf Stunden pro Woche weniger. Außerdem: „Wir haben eine Firma, die wir hinzuholen, wenn wir nicht weiterkommen.“ Die Stadt Minden stellt pro Jahr 13.000 Euro zur Verfügung, damit die Schule IT-Dienstleistungen, Hard- und Software einkaufen kann. Schuleigene Lösungen hätten allerdings auch Nachteile, warnt Klaus Keßler, ebenfalls in der AG Digitalisierung der GEW NRW aktiv. „Die Schulleitung haftet für alles, was schiefgehen kann.“ Nach Ansicht der GEW ist es zudem nicht Aufgabe von Lehrkräften, sich um den Betrieb schulischer Computer zu kümmern.

Viele Bundesländer sind inzwischen bestrebt, zentrale Cloud-Lösungen auf die Beine zu stellen – als Angebot für alle Schulen des Landes. Die bisherige Bilanz ist gemischt. In NRW stoppte die Landesregierung im Herbst 2017 „Logineo NRW“ wegen „technischer Probleme“. Eine überarbeitete Version soll bald starten. In Berlin stellt die Senatsverwaltung für Bildung den „Lernraum Berlin“ bereit, den nach ihren Angaben inzwischen 180.000 Menschen, darunter 4.500 Lehrkräfte, nutzen. Sebastian Schädler, AG Medienbildung der GEW Berlin, urteilt jedoch: „Vor allem sind dort Schülerinnen und Schüler angemeldet.“ Für Lehrkräfte sei die Cloud umständlich und werde kaum genutzt. Und in Sachsen-Anhalt startete die „emuCLOUD“ im Schuljahr 2017/2018. Uli Härtel von der GEW Sachsen-Anhalt kritisiert: Bislang sei nicht geregelt, ob Lehrkräfte auch am Wochenende oder nach 22 Uhr die Cloud nutzen müssten, etwa um Mitteilungen der Schulleitung zu lesen.

„Auf Algorithmen beruhende Programme, die Lernprozesse und Lernwege festlegen, um zu erzielende Leistungen zu normieren, widersprechen dem Primat der Pädagogik.“ (Thomas Dornhoff)

Eine bundesweite Schulcloud entwickelt derzeit das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam, die Informatik-Hochschule des SAP-Mitgründers und Milliardärs Hasso Plattner. Kooperationspartner ist das MINT-EC-Schulnetzwerk – 300 Schulen mit gymnasialer Oberstufe, die laut Netzwerk ein „hervorragendes mathematisch-naturwissenschaftlich-technisches Schulprofil“ besitzen. Das Bundesbildungsministerium fördert das Projekt mit nahezu acht Millionen Euro. Dem HPI geht es vor allem um die Bereitstellung digitaler Lern- und Lehrmaterialien – und um den Komplettumbau von Schule. Die Cloud trage dazu bei, dass „starre, hierarchische Bildungsstrukturen aufgebrochen werden“, verspricht das HPI auf seiner Homepage.

Die Rolle von Lehrkräften und Lernenden werde sich verändern. Schülerinnen und Schüler etwa könnten dank der Cloud „selbst Lernangebote oder Nachhilfe für ihre Mitschüler bereitstellen“ – und entwickelten sich damit zu „Bildungspartnern“. Die Schulcloud trage ferner dazu bei, „einen prosperierenden Bildungsmarkt“ zu etablieren. Lehrkräfte, Schüler, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen werden laut HPI angeregt, „neue webbasierte Bildungsangebote (…) zu entwickeln und zu vermarkten“. Das Potsdamer Institut verweist auf digitale Lernangebote, die „auf der Basis der Nutzungsdaten“ weiterentwickelt werden können.

Davor warnt Thomas Dornhoff von der GEW Niedersachsen: „Auf Algorithmen beruhende Programme, die Lernprozesse und Lernwege festlegen, um zu erzielende Leistungen zu normieren, widersprechen dem Primat der Pädagogik.“ Und der „prosperierende Bildungsmarkt“? Befeuert durch die Schulcloud? Ein Beschluss des jüngsten Gewerkschaftstages der GEW ist da eindeutig: „Eine zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung der Bildung durch die Digitalindustrie wie auch durch private Anbieter digitaler Bildungsmedien“ sei „abzuwenden.“