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Herbstakademie

„Wir bekommen ein gravierendes Fachkräfteproblem!“

Integrationskurse, Alphabetisierung, Fortbildung, politische Bildung: Erwachsenenbildung leistet immer mehr. Wie lässt sich gute Arbeit in der Weiterbildung sicherstellen? Darüber haben 80 Teilnehmende bei der GEW-Herbstakademie in Gießen beraten.

Arbeitgeber Volkshochschule: Er sehe „bedenkliche Tendenzen“, erklärte Bernd Käpplinger, Professor für Weiterbildung an der Universität Gießen. Dazu präsentierte er eine Stellenanzeige: Die Volkshochschule (VHS) einer Großstadt will eine leitende Stelle besetzen – und verlangt folgenden Katalog von Qualifikationen: Hochschulabschluss, Zusatzausbildung, „Erfahrungen in der Leitung von Gruppen“, „Kenntnisse des Projektmanagements“, „Grundkenntnisse in Kursdokumentation“ und vieles mehr. „Und wie wird die Stelle vergütet?“ Die VHS, so Käpplinger, biete Gehaltsgruppe E 9, also 2.400 bis 3.500 Euro brutto monatlich. Gelächter im Saal. Bei derartigen Bedingungen blieben Führungskräfte nicht lange. „Solche Stellen sind Durchlauferhitzer“, erklärte Käpplinger. „Wie kann da etwas aufgebaut werden?“

Also wenig Geld, häufig Honorarverträge, kaum soziale Absicherung? Die Weiterbildungsbranche generell als „Ort prekärer Beschäftigungsformen“ zu sehen, greife zu kurz, betonte der Gießener Hochschullehrer. Käpplinger zitierte Zahlen des „wb-personalmonitors“, die unter anderem von der Universität Duisburg-Essen zusammengetragen wurden. Demnach sind 27,3 Prozent der Beschäftigten entweder Angestellte, Beamte oder Inhaber von Weiterbildungseinrichtungen. 15,5 Prozent bestreiten als „hauptberuflich Selbstständige“ von dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt. 28,5 Prozent sind nebenberufliche Weiterbildnerinnen oder -bildner mit einem anderen Brotberuf. 28,8 Prozent müssen von der Weiterbildung nicht leben – etwa weil der Lebenspartner, die -partnerin gut verdient, oder die Rente auskömmlich ist.

Käpplinger erklärte zudem, dass längst nicht alle hauptberuflich Selbstständigen Geringverdiener sind. Immerhin 20,2 Prozent kommen auf über 3.250 Euro brutto im Monat. Allerdings: 30,7 Prozent verdienen maximal 850 Euro brutto monatlich. „Es gibt prekäre Teilsegmente“, fasste der Hochschullehrer zusammen (siehe E&W-Schwerpunkt 7–8/2018). Er betonte, dass die öffentlichen Ausgaben für Weiterbildung seit 1995 um 41 Prozent gesunken seien, ein Minus von 6,1 Milliarden Euro.

„Wir werden nicht umhinkommen, mehr Geld bereitzustellen.“ (Klaus Meisel)

Prof. Klaus Meisel, Leiter der VHS München, warnte: „Wir werden ein gravierendes Fachkräfteproblem in der Erwachsenenbildung bekommen!“ Er sprach vom „Generationenwechsel“, den die Volkshochschulen zu bewältigen hätten. Früher habe man arbeitslose Lehrkräfte als freiberufliche Dozentinnen und Dozenten gewinnen können. Heute herrsche „Vollbeschäftigung in vielen Bereichen“. Was tun? Um Selbstständigen den Einstieg schmackhaft zu machen, zahle die VHS München beispielsweise freiwillig Zuschüsse zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Doch auch Hauptberufliche zu finden, sei schwieriger geworden. „VHS? Um Gottes willen, nein“, sagten viele Uni-Absolventen. Um gegenzuhalten, biete die VHS München „Job-Rotation“ und „viele Teilzeitstellen“. Außerdem, so Meisel: „Wir fördern intensiv die Fortbildung.“ Doch ob das ausreicht? „Wir werden nicht umhinkommen, mehr Geld bereitzustellen.“

Die Weiterbildung habe „einen enormen gesamtgesellschaftlichen Bedeutungszuwachs“ erlebt, erklärte Prof. Dieter Nittel von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dennoch gebe es nur „spärliche“ Fortschritte bei der Professionalisierung. So fehlten ein „gesellschaftlich akzeptiertes Berufsbild“ und „klare Rekrutierungsstrukturen“. Zudem sei die Branche in zahlreiche Berufsverbände aufgespalten. Das erschwere die Durchsetzung von Interessen. Nittel erinnerte daran, dass es die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts war, die die „Erfolge der Arbeiterbildung“ ermöglicht hatte. Die Erwachsenenbildung hingegen habe sich bislang nicht im „Stil einer sozialen Bewegung“ formieren können.

Was tun? Nittel plädierte für eine Diskussion darüber, welche Qualifikationen in der Weiterbildung zwingend erforderlich sind. „Wer darf rein und wer nicht?“ Wie lasse sich etwa begründen, dass Menschen ohne pädagogische Ausbildung „deplatziert“ seien? Um Professionalisierung voranzutreiben, plädierte er dafür, „Schwerpunkte zu setzen“. Er schlug vor, sich auf die Volkshochschulen und die berufliche Weiterbildung zu konzentrieren. „Das sind die beiden Felder, auf denen Erfolge wahrscheinlich sind.“

„Wir brauchen auch politische und kulturelle Bildung.“ (Ansgar Klinger) 

Prof. Carola Iller vertrat die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaften. Sie kritisierte, dass die Weiterbildungs- Wissenschaft bei Bund und Ländern keinen Ansprechpartner habe, „um Forderungen zu adressieren und Missstände zu thematisieren“. Die Zuständigkeiten seien zersplittert. In Österreich etwa gebe es eine Stabsstelle beim Kanzleramt, zuständig für Weiterbildung und lebenslanges Lernen.

Katharina Seewald vom Deutschen Volkshochschul- Verband (DVV) betonte: Wo die Erwachsenenbildung staatliche Aufgaben erfülle, „da gehört hauptamtliches Personal hin, nicht nur Freiberufler“. Das gelte etwa für VHSen, die staatliche Schulabschlüsse anbieten, sowie für die Träger von Integrations- und Alphabetisierungskursen. „Wir möchten zudem ein BAföG für Weiterbildung, nach dem Vorbild des Meister- BAföG“, forderte die DVV-Vertreterin. Damit Erwachsene besseren Zugang zu Fortbildungsangeboten erhalten.

Für Weiterbildung gebe es „im Moment ein günstiges Zeitfenster“, unterstrich Ansgar Klinger vom GEW-Hauptvorstand. So habe die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine „neue Weiterbildungskultur“ versprochen. Allerdings gehe es nicht allein um berufliche Fortbildung. Mit Blick auf den wachsenden Rechtspopulismus erklärte Klinger: „Wir brauchen auch politische und kulturelle Bildung.“ Er forderte, dass die Bundesländer je 1 Prozent ihres Bildungsbudgets in die Weiterbildung investieren. Um das zu erreichen, „müsste Hessen etwa 80 Millionen Euro mehr pro Jahr für die Erwachsenenbildung aufwenden“, unterstrich Klinger. Geld, mit dem Beschäftigungsverhältnisse verbessert, das Angebot erweitert und Teilnahmegebühren gesenkt werden könnten.