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Warten auf eine Regierung

Die GEW bemängelt an dem von Union und SPD ausgehandelten Sondierungspapier vor allem fehlende Finanzierungsvorschläge – und zweifelt damit an der Glaubwürdigkeit der Vorhaben. Es muss kräftig nachgelegt werden!

Seit vier Monaten wartet Deutschland auf eine Regierungsbildung. Die Überprüfung der Sondierungsvereinbarung von CDU, CSU und SPD mit der GEW-Brille zeigt: Es muss kräftig nachlegt werden! Die amtierende Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat vier Monate nach der Wahl noch keine Partnerparteien für eine Regierungsbildung gefunden. Selbst wenn CDU/CSU mit der SPD nun Koalitionsverhandlungen aufgenommen haben, hängt die Zustimmung zu deren Resultaten von einer Mitgliederbefragung der SPD-Basis ab.

Die Große Koalition hatte bei der Bundestagswahl an Zustimmung verloren (- 14 Prozent!). Als Präambel heißt es im Sondierungspapier deshalb: „Das Wahlergebnis zeigt aber auch, dass viele Menschen unzufrieden waren. Daraus werden wir entsprechende Schlüsse ziehen…. Wir werden die Probleme anpacken, die die Menschen im Alltag bewegen, und uns mutige Ziele für die nächsten vier Jahre setzen.“ Und: „Wir wollen die Familien stärken und gleiche Bildungschancen für alle!“ Diesem Ziel stimmt die GEW vorbehaltlos zu! Fragt sich nur, wie das Ganze ausbuchstabiert, im Koalitionsvertrag niedergeschrieben und finanziell mit den entsprechenden Ressourcen abgesichert werden soll.

Viele Forderungen, die die GEW in der Wahlkampfzeit veröffentlicht hat, sind in dem Sondierungspapier – zumindest verbal – aufgegriffen worden:

  • Sicherung der Kita-Qualität
  • Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter
  • Ergänzung des Schulsanierungsprogramms, um Möglichkeiten zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Ausgestaltung der Digitalisierung zu schaffen. Dafür soll das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot für die finanzielle Unterstützung der Länder und Kommunen durch den Bund weiter aufgeweicht werden.
  • Ausbau des BAföG
  • Ausstattungsoffensive für berufliche Schulen
  • Entwicklung einer nationalen Weiterbildungsstrategie
  • Einrichtung eines nationalen Bildungsrats

Mehr als bei Jamaica, oft aber wolkig formuliert. Hauptproblem ist die Finanzierung der Maßnahmen. Die Verabredungen, die bisher zur Bereitstellung zusätzlicher Gelder getroffen worden sind, lassen Zweifel an Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Vorschläge aufkommen. Genau das – die Glaubwürdigkeit! – aber muss die kommende Regierung erreichen, wenn sie wieder mehr Zustimmung für ihre Politik in der Bevölkerung gewinnen will.

Die KfW-Bankengruppe hat allein für die Sanierung von Schulen einen Investitionsstau von 32,4 Milliarden Euro ermittelt, für die Kindertagesstätten noch einmal 4,5 Milliarden Euro. Zudem hat die Kultusministerkonferenz für den gesamten Hochschulbereich einen Investitionsbedarf von knapp 50 Milliarden Euro festgestellt. Die in der Sondierungseinigung von CDU, CSU und SPD skizzierten Bildungsausgaben sind viel zu niedrig angesetzt und zu ungenau beziffert. Bildung spielt in einer (vielleicht) neuen „großen“ Koalition nur in Worten eine wichtige Rolle, die Ausfinanzierung ist unzureichend und beschämend.

„Fazit: Die (vielleicht kommende) neue Regierung hat (noch) keine Lösungen für die drängenden Probleme in unserer Gesellschaft.“

Hinzu kommt: Alle Mehrausgaben sollen aus dem erwarteten Steuerplus der nächsten Jahre finanziert werden, weil die „Schwarze Null“ auch von einer möglichen zukünftigen Regierung zementiert wird. Eine Erhöhung der Vermögens- und der Erbschaftssteuer sowie die stärkere Besteuerung der höchsten Einkommen sollen nicht kommen. Im Gegenteil: Steuerentlastungen sind fest eingeplant!

Fazit: Die (vielleicht kommende) neue Regierung hat (noch) keine Lösungen für die drängenden Probleme in unserer Gesellschaft. Die mangelnde Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur und Bildung wird eine weitere Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge nach sich ziehen. So kann die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft nicht korrigiert werden. Es muss kräftig nachgelegt werden! Die GEW steht den Koalitionsverhandlern gerne für Gespräche zur Verfügung. Wir können abschätzen, was gebraucht wird und was es kostet.

Der GEW-Organisationsbereich Jugendhilfe und Sozialarbeit unterstützt den Willen der Koalitionsparteien, ein Kita-Qualitätsgesetz umzusetzen. Bei der Finanzierung gebe es jedoch noch deutlichen Nachbesserungsbedarf. „Mit der im Sondierungspapier aufgeführten Finanzierung würde das Projekt ’Kita-Qualität’ bereits am Anfang scheitern. Dem bundesweiten Ausbau muss eine ordentlich finanzierte Qualitätsoffensive folgen!“, sagte Björn Köhler, für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständiges Mitglied des GEW-Vorstandes. Dazu sei es dringend notwendig, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufzuheben, so Köhler weiter. Für die gute Qualität in Kitas seien außerdem mehr als 100.000 zusätzliche Fachkräfte notwendig. Auch hierfür sei bislang keine Finanzierung vorgesehen. Das Vorhaben, die Kinderrechte aus der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 in das Grundgesetz aufzunehmen hingegen begrüßte Köhler. Damit sei eine langjährige Forderung der GEW aufgegriffen worden.

Der GEW-Arbeitsbereich Frauenpolitik fordert Nachbesserungen auch beim Thema Gleichstellung. In den Sondierungsergebnissen gebe es zwar Aussagen zum Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit, zur Verbesserung der Wirksamkeit des Gesetzes zu Frauen in Führungspositionen, zur Aufwertung von sozialen Berufen inklusive einer besseren Bezahlung und zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter, sagte Frauenpolitikexpertin Frauke Gützkow. Weitere wichtige gleichstellungspolitische Stichworte fehlten jedoch – etwa die notwendige Neuauflage der EU-Gleichstellungsstrategie, die Ablösung des Ehegattensplittings durch eine Individualbesteuerung und die Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V als Zwischenschritt, aber auch die Abschaffung von Minijobs durch die Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro Einkommen.

Der GEW-Organisationsbereich Hochschule und Forschung verlangt deutliche Verbesserungen unter anderem mit Blick auf die Hochschulfinanzierung. Die mögliche große Koalition habe für die Jahre 2018 bis 2021 Mehrausgaben von 45,95 Milliarden Euro angekündigt, davon gerade mal 5,95 Milliarden Euro für Bildung, Forschung, Hochschulen und Digitalisierung. „Das sind nicht einmal 1,5 Milliarden jährlich“, kritsierte Hochschulexperte Andreas Keller. Für die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages seien allein zehn Milliarden Euro vorgesehen. Keller forderte auch eine rasche BAföG-Reform: Die Fördersätze und Freibeträge müssten umgehend um mindestens zehn Prozent erhöht werden. Zudem müsse das BAföG wieder zu einem Vollzuschuss werden und auch Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden Schulen zugutekommen.