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Warschau: Kongress der polnischen Bildungsgewerkschaft ZNP

Vom 19. bis 22. November 2014 fand in Warschau der Kongress der polnischen Bildungsgewerkschaft ZNP statt. Die ZNP blickt auf eine 110-jährige Geschichte zurück und hat das polnische Schulwesen maßgeblich beeinflusst. Für die GEW war Franz Dwertmann in die polnische Hauptstadt gereist.

Fotos: ZNP, Fotolia

Neben dem ungeliebten bombastischen Kulturpalast, der der geschundenen Stadt Warschau in den fünfziger Jahren von Stalin geschenkt wurde, erhebt sich jetzt mit ebenfalls 200 Metern Höhe der Büro-Wohn-Turm „Zlota 44“ von Daniel Libeskind, funktional ein Symbol des neuen Finanzzentrums und architektonisch eine Reminiszenz an die bittere polnische Geschichte.

Das Bild kann auch für den zweiten Teil der Geschichte der polnischen Lehrergewerkschaft 'Związek Nauczycielstwa Polskiego' (ZNP) stehen. Sie war staatstragende Gewerkschaft in der kommunistischen Zeit und ist heute eine moderne Vertreterin der Interessen der polnischen Lehrerkolleginnen und –kollegen.

Gewerkschaft mit langer Tradition

Ihre Geschichte reicht aber viel weiter zurück: ZNP wurde vor 110 Jahren gegründet und hat das polnische Schulwesen maßgeblich beeinflusst, kämpfte z.B. ab 1939 im Untergrund gegen die Nazi-Okkupation unter dem Namen TON.

Neben der ZNP mit rund 260.000 Mitgliedern gibt es in Polen die kleinere Lehrergewerkschaft NSZZ Solidarnosc, zu der die GEW ebenfalls gute Beziehungen unterhält und mit der sie gemeinsam seit zwei Jahrzehnten das Sprachreisen- und Studienangebot ‚Masurenakademie‘ veranstaltet.

Ende November fand nun der 41. Kongress der ZNP statt. Im vierjährigen Rhythmus wird hier die Richtung der gewerkschaftspolitischen Arbeit festgelegt. Und es wird die internationale Verbundenheit zum Ausdruck gebracht, u.a. durch die Einladung ausländischer Lehrergewerkschaften oder durch die Eröffnungsrede des Generalsekretärs der Bildungsinternationalen (BI), Fred van Leeuwen, die fast 400 Bildungsgewerkschaften weltweit - darunter auch die GEW - mit rund dreißig Millionen Mitgliedern repräsentiert.


Lehrkräfteberuf erfordert höchste Qualifikation

Fred van Leeuwen betonte die Notwendigkeit der geschichtlichen Erinnerung als Voraussetzung für eine zukunftsweisende erzieherische Arbeit und wies in diesem Zusammenhang auf die internationale Holocaust-Gedenkveranstaltung der BI Ende Januar 2015 in Krakau und Auschwitz zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hin.

Der BI-Generalsekretär dankte der ZNP für ihre große Solidarität mit der ukrainischen Lehrergewerkschaft, die die russische Aggression unmittelbar zu spüren bekommen habe. Was die gegenwärtige Arbeit der Bildungsinternationalen angeht, so formulierte er zwei Ziele: Lehrerarbeit erfordere höchste Qualifikation. Und die Standards guter Bildung und Erziehung können nicht durch Liberalisierung und Marktorientierung erreicht werden, sondern nur durch erhebliche staatliche Investitionen.

Deswegen müsse Druck auf Regierungen ausgeübt werden, z.B. anlässlich des 25. Jahrestags der UN-Kinderrechtskonvention und durch die Forderung nach einem eigenen Entwicklungsziel in der neuen Post-2015-Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, wonach weltweit allen Kindern eine Grundschulausbildung ermöglicht werden müsse.

ZNP will junge Mitglieder fördern

Der Gewerkschaftskongress lag durchaus auf dieser Linie. Er beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den Privatisierungstendenzen im polnischen Bildungswesen, die auch von den lokalen Schulträgern direkt oder indirekt vorangetrieben würden und Konsequenzen hätten hinsichtlich des Schulzugangs, des Einflusses auf die Curricula und die Arbeitsbedingungen der LehrerInnen. ZNP plant Gesetzesinitiativen und eine Lehrer-Charta.

Innergewerkschaftlich will ZNP besonders die jungen KollegInnen fördern durch eine Akademie der jungen Mitglieder. Als Präsident der ZNP wurde Slawomir Broniarz, der auch auch Mitglied im Vorstand der Bildungsinternationale ist, wiedergewählt.

Aufstieg im PISA-Ranking

Für die internationale Delegation hatte die zuständige Referentin Dorota Obidniak ein informatives Programm zusammengestellt, in dessen Mittelpunkt ein Workshop über die Reformen des polnischen Schulwesens stand: Nach der 6-jährigen Grundschule gehen alle Schüler auf das dreijährige „gimnazjum“, auf das dann entweder das dreijährige Liceum oder das Technikum oder eine andere berufliche Ausbildung folgen. Letztere befindet sich aber momentan in einem großen Umstrukturierungsprozess.

Weitere Diskussionspunkte sind die Probleme der Schulautonomie und die Fortentwicklung der Lehrerausbildung. Man ist aber stolz darauf, dass man sich bei den PISA-Untersuchungen kontinuierlich verbessert hat.

Nordische Verhältnisse

Als Gast bei Kongressen von ausländischen Partnergewerkschaften der GEW hat man immer auch Gelegenheit, sich mit anderen internationalen Teilnehmern auszutauschen, etwa mit dem Vizepräsidenten der norwegischen Gewerkschaft Utdanningsforbundet, die 95 Prozent der LehrerkollegInnen an norwegischen Schulen organisiert und im letzten Jahr einen Streik gegen Arbeitszeiterhöhung und Anwesenheitspflicht geführt hat. Sie pflegen dort zwar eine Kultur des Dialogs und der Kooperation mit den staatlichen Stellen, aber: „Wenn Streik, dann richtig!“.

Zusammenarbeit mit Polen und Ukraine

Beeindruckend auch die Gespräche mit den ukrainischen Gastdelegierten, die sich bei der GEW bedankten für die Unterstützung nach dem Brand des Gewerkschaftshauses bei den Auseinandersetzungen in Kiew Anfang des Jahres und ihren bitteren Erfahrungen mit den Repressionen in der Ost-Ukraine, die dazu führten, dass die GewerkschaftskollegInnen von dort nicht am nationalen Kongress ihrer Lehrergewerkschaft teilnehmen konnten. Dorota Obidniak betonte abschließend, wie wichtig ihnen die internationale Zusammenarbeit sei – und die mit der GEW sei derzeit die intensivste.