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Gastkommentar

Vorbild für Respekt und Achtsamkeit sein!

Schule müsse mit gutem Beispiel vorangehen, fordert unser Gastautor. „Wenn Schulkinder durch das System und uns Erwachsene nicht gemobbt würden, dann würden sie dieses Vorbild auch auf ihre Peer-Beziehungen übertragen.“

Programmteam DSA
Wolfgang Vogelsaenger / Foto: Deutsche Schulakademie

Wieder einmal ein Thema, das uns Lehrerinnen und Lehrer dazu aufruft, etwas zu tun, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Wie schon so viele andere  – von der Hoffnung auf ein bisschen Glück im Fach „Glück“, dem singenden und tanzenden Klassenzimmer bis hin zur Drogenprävention. Wenn wir uns vor jeden Karren spannen ließen, der uns von Politik und Gesellschaft auf den Schulhof gestellt wird, wir hätten für nichts anderes mehr Zeit als zu reparieren, anstatt die Kinder und Jugendlichen auf die Welt von morgen vorzubereiten.

Klar: Mobbing gab es immer schon in Familie, Kindergarten, Schule, Uni, Firmen, Vereinen oder Studienseminaren. Und klar ist auch: Das geht gar nicht! Spätestens seit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention oder der Verankerung der Kinderrechte etwa in der Hessischen Landesverfassung ist rechtlich verbindlich klargestellt: Kein Kind darf gedemütigt, gequält, bloßgestellt, ausgegrenzt, verspottet, verletzt werden – weder körperlich noch seelisch. Nicht mit Taten und/oder Worten. Nicht von anderen Kindern, aber auch nicht von Erwachsenen.

Nur: Wie kann in einem System, das selbst auf Angst und Mobbing ausgelegt ist, eine Atmosphäre der Sicherheit und eine von Respekt und Achtsamkeit geprägte Haltung gelebt werden? Unser Blick sollte sich nicht nur auf die sich mobbenden Kinder richten, sondern in viel stärkerem Maße auf das System und auf uns Erwachsene. Wenn Schulkinder durch das System und uns Erwachsene nicht gemobbt würden, dann würden sie dieses Vorbild auch auf ihre Peer-Beziehungen übertragen.

Wenn wir aber als Schule nicht durch unsere eigene Haltung, durch unser eigenes Vorbild einen Kontrapunkt setzen, dann wird es in 50 Jahren immer noch Mobbing-Interventionsprogramme an Schulen geben.

In meiner Schule habe ich 16 Jahre lang alle neuen Fünftklässler mit den Worten empfangen: „Die wichtigste Regel an unserer Schule ist, dass niemand Angst haben muss. Keine Angst vor anderen Kindern, nicht vor den Lehrpersonen, vor Zensuren, dem Schulleiter oder den Eltern. Ich werde immer für euch da sein, wenn euch sonst niemand hilft.“ Dieses Versprechen hat Generationen von Schülerinnen und Schülern geprägt, auch Lehrkräfte und Eltern. Und dieses Versprechen haben wir auch eingelöst, wenn es nötig war. Meine Nachfolgerin hat sich in jedem Jahrgang nach der Staffelübergabe hinter diese Zusage gestellt.

Systemisch ist schon viel getan, wenn es möglichst lange keine Zensuren gibt, kein Sitzenbleiben, Aus-der-Klasse-Schicken oder kein Ausschulen. Wenn alle Kinder und alle Erwachsenen in Teams arbeiten, selbst gestalten können und nicht nur Anordnungen ausführen müssen. Wenn nicht unterrichtet, sondern aufgerichtet wird. Wenn klar ist, dass jeder Erwachsene, aber auch jedes Kind, anders ist, dass aber alle dazugehören und ihr Team bereichern. Wenn jeder Fehler machen kann und klar ist, dass diese Fehler helfen, künftige Fehler zu vermeiden. Wenn Tests und Arbeiten keine Druckmittel sind, sondern Diagnoseinstrumente. Wenn man sich nicht mehr entschuldigen muss, wenn man krank war, sondern es reicht, dies lediglich mitzuteilen. Diese systemischen Rahmenbedingungen verändern die Haltung bei Erwachsenen und Kindern. Gleich ausgebildete Gymnasiallehrkräfte entwickeln sich in verschiedenen Systemen völlig unterschiedlich.

Ja: Die Gesellschaft ist immer mehr eine mobbende Konkurrenzgesellschaft. Wenn wir aber als Schule nicht durch unsere eigene Haltung, durch unser eigenes Vorbild einen Kontrapunkt setzen, dann wird es in 50 Jahren immer noch Mobbing-Interventionsprogramme an Schulen geben.