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Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen – kindeswohlgerecht!?

Das Bundesjugendkuratorium (BJK) hat eine Stellungnahme zu den Eckpunkten für ein Gesetzesvorhaben zur bundesweiten Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) veröffentlicht. Unter dem Titel ‚Gesellschaftliche Verantwortung für junge Flüchtlinge übernehmen‘ spricht sich das 15-köpfige Sachverständigengremium für eine am Kindeswohl ausgerichtete Verteilung von UMF aus, wie sie seitens der Bundesregierung geplant ist.

Mit seiner Stellungnahme stützt das BJK „aufgrund der belasteten Situation einzelner Kommunen den Vorschlag des BMFSFJ, eine Verteilung nach Königsteiner Schlüssel einzuführen“ und benennt Bedarfe und Kriterien, anhand derer diese kindeswohlgerecht erfolgen kann. Zugleich empfiehlt es „nachdrücklich“ eine Verteilung auszuschließen, „wenn wichtige, im Kindeswohl begründete Aspekte dieser entgegenstehen“.

Konkret fordern die Sachverständigen des BJK, darunter GEW-Vorstandsmitglied Norbert Hocke, bei der Verteilentscheidung auf die Länder folgende Aspekte in den Vordergrund zu stellen:

1. Die Möglichkeiten der Familienzusammenführung. [..]

2. Das Wohlergehen und die Möglichkeiten der sozialen Entwicklung des Minderjährigen

3. Sicherheitserwägungen, insbesondere dann, wenn es sich um ein Opfer des Menschenhandels handeln kann.

4. Die Berücksichtigung der Ansichten des Minderjährigen unter Einbezug seiner persönlichen Reife und seines Alters.

5. Gründe, die sich aus einem medizinischen Clearing ergeben (z. B. nicht festgestellter Impfstatus, Erkrankungen etc.).

Weiter heißt es: „Eine länderbezogene Verteilentscheidung der UMF zieht die Suche nach einer den Unterstützungs- und Förderbedarfen des einzelnen Jugendlichen entsprechenden Einrichtung auf kommunaler Ebene nach sich. Entlang den Wünschen, Zielen und eventuellen Problemlagen des jungen Menschen müssen geeignete Einrichtungen und Wohnformen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe unter anderem nach folgenden Kriterien geprüft werden:

1. Zugänge zu Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt

2. Möglichkeiten der sozio-kulturellen An- und Einbindung (eventuell vorhandene Kontakte oder bereits dort lebende Personen der eigenen Herkunftskultur)

3. Möglichkeiten der gesundheitlichen und psychologischen Versorgung (im Bedarfsfall auch für traumatisch belastete junge Menschen)

4. Sprachliche Kompetenzen der Fachkräfte oder Vorhandensein entsprechender Übersetzer/innen“

Zeitlich seien Verteilentscheidungen so zu gestalten, „dass eine Klärung der Lage angemessen“ und „ein möglichst schneller Zugang zu allen notwendigen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und anderen Unterstützungssystemen möglich ist.“

Um die Versorgung geflüchteter Kinder und Jugendlicher sicherzustellen, unterstützt das BJK den Vorschlag, Kompetenzzentren auf örtlicher Ebene zu etablieren. In diesem Zusammenhang bewertet das Gremium Vorschläge des Bundesfachverbands Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. (B-UMF) als „hilfreich und praxisnah“. Letzterer hatte das Gesetzesvorhaben zur Verteilung von UMF über eine Quotenregelung im Februar gemeinsam mit Pro Asyl scharf kritisiert und stattdessen „ein Aufnahmekonzept mit tragfähigem Finanzausgleich“ gefordert. In einer darauffolgenden Stellungnahme verdeutlichte der B-UMF, dass „der Auf- und Ausbau von qualitätsvollen Strukturen in den Kommunen der fachlichen und finanziellen Unterstützung bedürfe“. Hierzu formulierte er entsprechende Kriterien und Mindestanforderungen (siehe Stellungnahme im Downloadbereich).

Viele weitere Verbände, Träger sowie Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe hatten zuvor im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung zur Aufnahme, Betreuung und Unterbringung von UMF die Einhaltung von Kinderrechten angemahnt und für bundeseinheitliche Standards plädiert.

Der Hauptvorstand der GEW fasste am 21./22. November 2014 einen Beschluss mit der Forderung „bei der anstehenden Gesetzesänderung des SGB VIII zur Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen die gültigen Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu wahren und ihre Norm setzende Gültigkeit zu erhalten.“

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat im März ein Papier mit dem Titel ‘Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen‘ vorgelegt und „ein anderes System der Zuständigkeit und Kostenerstattung“ bezüglich der Inobhutnahmen und Anschlusshilfen für UMF gefordert. Im Kern geht es dabei um die Verlagerung der Zuständigkeit von den örtlichen Trägern der Jugendhilfe hin zu den Landesjugendämtern. Zudem enthält das Papier den Vorschlag zur Schaffung regionaler Kompetenzzentren.

Das BJK betont in seiner Stellungnahme diesbezüglich „die Notwendigkeit, dass Netzwerke bzw. Kompetenzzentren in den Bundesländern so zeitnah ausgebaut werden, dass die Einführung eines Verteilungsverfahrens […] nicht zum Nachteil der nach dem Stichtag einreisenden jungen Flüchtlinge ist“ und unterstreicht, „dass es einen breiten Qualifizierungsbedarf für Fachkräfte geben wird, der sich auf die Etablierung interkulturellen Wissens und entsprechender Kompetenz sowie der entsprechenden Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten bezieht, die der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge entsprechen.“

Abschließend stellt das BJK fest: „Es müssen nun die im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode festgestellten rechtlichen Schnittstellen zwischen Asylverfahrens- und Aufenthaltsrecht und Kinder- und Jugendhilfe harmonisiert und die Hürden im Zugang zu Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt abgebaut werden. Darüber hinaus ist in einem nächsten Schritt die Situation minderjähriger Flüchtlinge in den Blick zu nehmen, die in Begleitung von sorgeberechtigten Erwachsenen einreisen.

Junge Menschen auf der Flucht benötigen Hilfe. Das Potenzial junger Flüchtlinge, das für die Aufnahmegesellschaft dadurch entsteht, dass diese nachhaltig und fördernd integriert werden, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Sie bringen ein großes Maß an Bildungs- und Integrationsbereitschaft, an Kraft und Resilienz mit und verdienen die bestmöglichen Leistungen der Unterstützung, Versorgung und Unterbringung.“