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Studentin erstreitet Dauerstelle

„Meilenstein gegen Tarifflucht und Befristungsmissbrauch“

Das Bundesarbeitsgericht gibt einer Studentin Recht, die auf Entfristung und Eingruppierung nach dem Länder-Tarifvertrag geklagt hatte. Das Urteil ist auch eine Mahnung an die Länder, der Tarifflucht an ihren Hochschulen Einhalt zu gebieten.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gibt einer Studentin der Freien Universität Berlin Recht, die auf Entfristung und Eingruppierung nach dem Länder-Tarifvertrag TV-L geklagt hatte. Die schriftliche Begründung des BAG-Urteils vom 30. Juni 2021 liegt nun vor.

„Das Urteil ist ein Meilenstein gegen Befristungsmissbrauch und Tarifflucht in der Wissenschaft.“ (Andreas Keller)

„Wir wissen seit Jahren, dass die Hochschulen Studierende in allen Bereichen der Wissenschaft und Wissenschaftsverwaltung einsetzen, ohne sich an die arbeits- und tarifrechtlichen Regelungen zu halten. Dieser Praxis haben die Richterinnen und Richter des höchsten deutschen Arbeitsgerichts nun endgültig ein Ende gesetzt. Das Urteil hat Auswirkungen auf studentische Beschäftigte an allen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Es ist ein Meilenstein gegen Befristungsmissbrauch und Tarifflucht in der Wissenschaft“, kommentierte Andreas Keller, Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung und stellvertretender Vorsitzender der GEW, das BAG-Urteil (7 AZR 245/20).

„Und wo Daueraufgaben erbracht werden, müssen auch Dauerstellen geschaffen werden.“ (Andreas Keller)

Geklagt hatte eine Informatikstudentin der Freien Universität, die mit mehreren befristeten Verträgen von Mai 2012 bis April 2018 im Center für Digitale Systeme, einem Bereich der Universitätsbibliothek, beschäftigt war. Gegenstand der Klage war der letzte Arbeitsvertrag vom Dezember 2017. Die Arbeitsaufgaben der Studentin umfassten ein breites Dienstleistungsspektrum von der redaktionellen Pflege von Webseiten über die Erstellung von Hilfsmaterialien und Dokumentationen, Qualitätssicherung, Hard- und Softwareinstallationen bis hin zu Schulungen neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Befristung des Arbeitsvertrages stützte die Uni jedoch auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das die Befristung von studentischen Beschäftigten unter der Bedingung zulässt, dass Studierende „wissenschaftliche oder künstlerische Hilfstätigkeiten“ erbringen.

Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass diese Bedingung hier nicht erfüllt ist, die klagende Studentin vielmehr Daueraufgaben im Bereich von IT- und Bibliotheksdienstleistungen erfüllt. „Und wo Daueraufgaben erbracht werden, müssen auch Dauerstellen geschaffen werden. Dieser Grundsatz gilt nicht nur in Forschung und Lehre, sondern erst recht in Technik und Verwaltung“, so Andreas Keller.

Das Urteil ist bares Geld wert

Die finanziellen Auswirkungen des BAG-Urteils sind erheblich. Das Gericht hat bestätigt, dass Studierende, wenn sie Daueraufgaben in Service und Verwaltung erbringen, nach Maßgabe des geltenden Flächentarifvertrages zu bezahlen sind, nicht nach dem in Berlin geltenden Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud).

In allen 15 Ländern – außer Berlin – sind die Auswirkungen noch beträchtlicher, weil es dort keinen TVStud gibt und Hilfskräften häufig nicht viel mehr als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird. „Das Urteil ist auch eine Mahnung an die Länder, der systematischen Tarifflucht an ihren Hochschulen Einhalt zu gebieten. Voraussetzung dafür ist auch eine bessere Grundfinanzierung,“ betonte GEW-Hochschulexperte Keller.

„Auch Hochschulen sind an Recht und Gesetz gebunden.“ (Andreas Keller)

Die schriftliche Urteilsbegründung, die inzwischen vorliegt, wirft wieder einmal ein Licht auf die Praxis vieler Hochschulen und Forschungsinstitute, die Befristung von Arbeitsverträgen aus ihrem Selbstverständnis anstatt aus den relevanten arbeitsrechtlichen Grundlagen abzuleiten.

Zuletzt war damit die Helmholtz-Gemeinschaft mit der Befristung eines Social Media-Managers auf die Nase gefallen, dessen Zeitvertrag das Arbeitsgericht Berlin beanstandet hatte. Die Freie Universität hatte vor Gericht damit argumentiert, wiederkehrende Beschäftigungsmöglichkeiten für wechselnde Studierendengenerationen vorhalten zu müssen. Andreas Keller dazu: „Auch Hochschulen sind an Recht und Gesetz gebunden. Befristete Beschäftigung von Studierenden ist im Rahmen des WissZeitVG möglich, aber eben nur für Unterstützungstätigkeiten in Forschung und Lehre. Stellen für IT-Fachkräfte und Bibliothekarinnen und Bibliothekare abzubauen und stattdessen studentische Aushilfen mit Dumpinglöhnen und Kurzzeitverträgen anzuheuern, ist der falsche Weg. Wenn entsprechend qualifizierte Studierende in Technik und Verwaltung zum Einsatz kommen, haben sie grundsätzlich Anspruch auf Dauerstellen und Tariflöhne.“