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Ungleiches muss auch ungleich behandelt werden

In Lübeck ist der Startschuss zur bundesweiten Tour „GEW in Bildung unterwegs“ gefallen. GEW-Vorsitzende Marlis Tepe war in zwei Schulen und einer Kita und stellte fest: Ressourcen fehlen überall, aber die Bedürfnisse sind unterschiedlich.

Mit Blick auf die am 24. September anstehenden Bundestagswahlen will sich die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe ein Bild vom Status Quo der Arbeitsbedingungen, der Ausstattung und den Bedürfnissen in der Bildungsrepublik Deutschland machen. Dazu startete sie am 27. März in Lübeck die bundesweite Tour "GEW in Bildung unterwegs". Sie wurde dabei von der schleswig-holsteinischen GEW-Landesvorsitzenden Astrid Henke begleitet. Ab jetzt bereist Tepe alle Bundesländer, um sich vor Ort an Bildungseinrichtungen Eindrücke zu verschaffen.

"Die besten Lehrkräfte müssen dort zum Einsatz kommen, wo die schwierigsten Bedingungen herrschen." (Marlis Tepe)

 

Los ging es in Lübeck an der Mühlenweg-Schule, einer Grundschule im Lübecker Stadtteil Moisling. Es folgte die Gotthard-Kühl-Schule, eine in zwei Standorte gesplittete Grund- und Gemeinschaftsschule im Stadtteil St. Lorenz Nord - beide angesiedelt in sogenannten sozialen Brennpunkten. Die Herausforderungen dort sind erheblich, das wurde in Gesprächen mit den Schulleitungen und Personalräten schnell klar. Die GEW wurde dabei in ihrer Erkenntnis bestärkt, dass die Mittelverteilung zum einen von hinten bis vorne nicht reicht, aber auch dass das Gießkannenprinzip vielleicht gut gemeint sein mag, aber zu kurz gedacht ist und nur scheinbar Gerechtigkeit widerspiegelt. Dort, wo die Bedingungen sozial prekärer sind, bedarf es nämlich wesentlich größerer Anstrengungen und Ressourcen, um Bildungserfolge zu erzielen. Mit anderen Worten: Wo ungleiche Verhältnisse anzutreffen sind, muss auch ungleich gehandelt und reagiert werden. Bei der Lehrkräfte-Zuweisung im nördlichsten Bundesland bleibt diese Maxime allerdings bis dato Wunschdenken. Tepe bekräftigte in diesem Zusammenhang die eigentlich anzuwendende Philosophie: "Die besten Lehrkräfte müssen dort zum Einsatz kommen, wo die schwierigsten Bedingungen herrschen."

Fehlende Wertschätzung, ungleiche Bezahlung gegenüber anderen Schularten, ständige personelle Engpässe, Arbeitsverdichtung: Jeanette Burat lächelt nach langjähriger Berufserfahrung und ihrem schier unerschöpflichen Engagement wie Improvisationstalent viele Probleme an der Mühlenweg-Schule einfach weg. Die dortige Schulleiterin fasst auch im Namen des Kollegiums den stetigen Gewissenskonflikt mit dem eigenen Berufsethos zusammen: "Wenn wir ehrlich sind, können wir unter den gegebenen Voraussetzungen gar nicht mehr allen Kindern gerecht werden, und unseren eigenen Ansprüchen auch nur mit Abstrichen." Trotzdem möchte sie an keiner anderen Schule arbeiten.

Mangelverwaltung, darin besitzt auch der Schulleiter der Gotthard-Kühl-Schule, Matthias Isecke-Vogelsang, Erfahrung, wenn es zum Beispiel um baulichen Sanierungsstau oder den Einsatz digitaler Medien geht. All seine Lehrkräfte könnten sich Woche für Woche für einen Wettbewerb "Deutschland sucht die Superlehrerin oder den Superlehrer" bewerben. Denn die Herausforderungen sind groß: Die Hälfte der Schülerschaft hat einen Migrationshintergrund. Ebenfalls rund fünfzig Prozent lebt in Elternhäusern, die Sozialleistungen beziehen. Ein Lehrer erzählt, dass er im Zuge von Inklusion und Integration seinen Unterricht zumindest theoretisch manchmal zehnfach differenzieren müsste.

Isecke-Vogelsang begrüßt bei solchen immer noch breit anzutreffenden Widrigkeiten die GEW-Initiative eines breiten gesellschaftlichen Aufschreis. Die Forderung nach gleichen Bildungschancen ist auch für ihn berechtigt und überfällig. Allein die Bedingungen, die an seiner Schule, generell in Lübeck und darüber hinaus herrschen, vermitteln momentan jedoch eine andere Wirklichkeit.

Und auch Barbara Fallenbacher-Maack muss ständig erfinderisch sein, wenn sie personelle Lücken und Arbeitsverdichtung zu bewältigen hat. Die Wartelisten für ihre Kindertagesstätte der DRK-Schwesternschaft sind lang, denn diese ist im mittelständisch geprägten Stadtteil Marli äußerst beliebt. Die Arbeitsbelastungen sind hoch. Bei Personalausfällen wird es eng. Fallenbacher-Maack sieht sich da gezwungen, auch unter Einsatz von Springerkräften zu improvisieren. Für sie gilt: Jede personelle Entlastung schafft zusätzliche Kapazität, sich der eigentlichen Aufgabe, nämlich der fokussierenden Arbeit mit den Kindern zu widmen, denn ansonsten "fressen" Verwaltungstätigkeiten, Dokumentationspflicht und hauswirtschaftliche Arbeiten Zeit.

Fallenbacher-Maack unterstützt die GEW-Forderung nach bundesweiten Mindeststandards für Kitas bedingungslos – nicht nur mit Blick auf den Personalmangel, sondern auch mit Blick auf die Pädagogik. Beim Besuch der DRK-Kita in Lübeck wurde Tepe und Henke noch einmal vor Augen geführt: Erzieherinnen und Erzieher bedürfen größerer Wertschätzung. Sie verdienen es, dass deutlich mehr Geld ins System der frühkindlichen Bildung fließt. Bildung hat eben viele Baustellen.

Die Tour "GEW in Bildung unterwegs" ist Teil einer bundesweiten Initiative zur Bildungspolitik. Vorgesehen ist ein Weckruf durch ein Bündnis zahlreicher gesellschaftlicher Organisationen. Dem Bündnisappell soll sich eine Initiative mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur anschließen, die sich für ein stärkeres Engagement im Bildungsbereich aussprechen und sich vor allem für mehr Geld in der Bildung stark machen. Das Motto der GEW-Initiative lautet "Bildung. Weiter denken!"

 

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