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Ungesühnte Tragödie

Seit 20 Jahren tobt im Ostkongo ein Bürgerkrieg mit bisher sechs Millionen Toten. Milo Rau hat für ein multimediales Kunstprojekt Opfer, Täter, Zeugen und Analytiker zusammengebracht. Dazu gehört auch der Dokumentarfilm „Das Kongo Tribunal“.

Die ersten Bilder des Films sind nahezu unerträglich: Während eines Recherche-Drehs im Jahr 2014 wurde der Schweizer Regisseur und Theatermacher Milo Rau Zeuge des Massakers von Mutarule, bei dem etwa 30 Frauen und Kinder ermordet wurden. Rund 1.000 solcher Bluttaten sollen sich in der Demokratischen Republik Kongo, einem der rohstoffreichsten Länder der Erde, schon ereignet haben. Bereits der Einstieg in den Film „Das Kongo Tribunal“ – der ab 11. Mai auf DVD vorliegt – lässt keinen Zweifel: Was sich in dem zentralafrikanischen Land seit Ende des Mobutu-Regimes 1997 und trotz der größten UN-Mission der Welt abspielt, ist die Hölle.

Und alle machen mit – denn der Konflikt ist auch ein internationaler Wirtschaftskrieg. Es geht um Gold, Diamanten, Kupfer und das seltene Erz Coltan, aus dem das Metall Tantal gewonnen wird. Ohne Tantal kann kein Smartphone oder Tablet hergestellt werden. Die kongolesischen Bodenschätze wollen sich sowohl multinationale Minenkonzerne als auch die lokalen Bürgerkriegsparteien sichern. Letztere morden und vergewaltigen, um Abbaugebiete zu kontrollieren. Juristisch verfolgt werden ihre Verbrechen in der Regel nicht. Dass der Rohstoffreichtum für den Kongo mehr Fluch als Segen ist, reicht lange zurück: Seit Portugiesen und Belgier in der Kolonialzeit begannen, die Bodenschätze gezielt zu fördern, wird das Land ausgebeutet.

„Das Kongo Tribunal“ schafft es, durch die Aussagen der unterschiedlichen Parteien ein Porträt des globalen Rohstoffhandels und der gesamten Weltwirtschaft zu zeichnen.

„Es kümmert niemanden, was hier passiert“, klagt eine Frau aus Mutarule zu Beginn des Films. „Warum gibt es hier kein internationales Gericht?“ Regisseur Rau setzte 2015 auf der Bühne um, was die internationale Gemeinschaft bis heute versäumte und was eigentlich unglaublich ist: Er ließ sowohl im Bürgerkriegsgebiet als auch in Berlin ein Tribunal tagen – ein fiktives, aber eines mit allen real Beteiligten. Unter dem Vorsitz eines halb kongolesischen, halb internationalen Expertengremiums und mit Anwältinnen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wurden in Bukavu Opfer, Zeugen, Milizionäre, Politiker, UN- und NGO-Angehörige zu Enteignungen, Zwangsumsiedlungen und Massakern angehört. Was Minenarbeiter, Bauern, Rebellen und zynische Minister schildern, ist eindringlich, unverschleiert, authentisch. In Berlin stand derweil die Rolle der Europäischen Union, Weltbank, UN und multinationaler Konzerne im Fokus, analysiert von Ökonomen, Juristen, Politologen und Soziologen. Die Vernehmungen vor rund 1.000 Zuschauern wurden mit sieben Kameras aufgezeichnet.

Rau wollte mit seinem Film, der im August 2017 beim Locarno Festival Premiere feierte, nach eigenen Worten „ein Gesamtbild schaffen“. Klarmachen, dass der Krieg im Ostkongo keine lokale Gewaltspirale zwischen verschiedenen Ethnien ist. Ihm gelingt ein großer Wurf: „Das Kongo Tribunal“ schafft es, durch die Aussagen der unterschiedlichen Parteien ein Porträt des globalen Rohstoffhandels und der gesamten Weltwirtschaft zu zeichnen. Die finalen Urteile des symbolischen Gerichts sind dabei nicht überraschend: Die Liste der Schuldigen und ihrer Komplizen ist lang. Das blieb auch in der Realität nicht folgenlos – zwei kongolesische Minister wurden entlassen.

Mit seinem ambitionierten Projekt, zu dem neben der Doku unter anderem ein Buch, ein Videospiel und Symposien gehören, schafft Rau eine eindringliche Verbindung aus Engagement und Kunst. Mit gutem Gewissen wird nach der Kinovorstellung niemand mehr sein Handy zücken können. Derweil sind die Perspektiven für das Land zunehmend unsicher. Im März 2017 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution: Die Mission im Kongo wird zwar verlängert, die Zahl der Blauhelme aber deutlich reduziert.