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Türkische Bildungsgewerkschaft in der Krise

Ende November fand auf Einladung der Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen ein Symposium zum Ausnahmezustand und zur Verteidigung der Demokratie in der Türkei statt. Der Berliner Landesvorsitzende Tom Erdmann hat für die GEW daran teilgenommen.

Zehntausende Lehrkräfte wurden seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 aus dem Dienst entlassen. Tausende weitere wurden zumindest zeitweise suspendiert. Eine soziale Absicherung gibt es nicht und viele Türk*innen haben Wohnungs- und Hauskredite zu finanzieren. Hunderte Eğitim Sen-Mitglieder wurden allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft verhaftet und viele kündigen inzwischen ihre Mitgliedschaft aus Angst vor staatlichen Repressionen.

Wie viele sind wir noch?

In dieser Gemengelage trafen sich am 26. November 2016 etwa hundert Eğitim Sen-Mitglieder zu einem Symposium in Ankara. Dieses diente vornehmlich dem Zweck der Selbstvergewisserung: „Wie viele sind wir eigentlich noch?“ Mit dabei waren als internationale Gäste Martin Powell-Davis vom Londoner Bezirksverband der National Union of Teachers (NUT), Walter Dresscher von De Algemene Onderwijsbond (AOb) aus den Niederlanden, sowie Kollegen der Lehrer*nnengewerkschaften OLME aus Griechenland und KTOS aus Zypern. Dieses Zeichen der internationalen Anteilnahme und Solidarität ist für die Kolleg*innen vor Ort von besonderer Bedeutung.

Bildungsgewerkschaft befürchtet baldiges Verbotsverfahren

Der Eğitim Sen-Präsident Kamuran Karaca berichtete, dass seine Gewerkschaft seit dem gescheiterten Putsch Ziel schikanöser Untersuchungen seitens der AKP-Regierung ist. Ihr wird vorgeworfen, den Umsturzversuch systematisch unterstützt zu haben. Viele der Anwesenden befürchteten deshalb, dass auch Eğitim Sen sich bald mit einem Verbotsverfahren konfrontiert sieht. Murat Emir von der oppositionellen sozialdemokratischen CHP erklärte, dass der AKP selbst langsam die Kontrolle über die Hexenjagd entgleite. So würden neben Nachrichtenkanälen selbst Kinderkanäle geschlossen und Verstöße gegen die Notstandsgesetze nicht mehr geahndet.

Kein Recht auf Bildung für inhaftierte Jugendliche

Ahmet Yıldırım von der linken kurdennahen Partei HDP und selbst Eğitim Sen-Mitglied berichtete, dass Gefängnisinsass*innen kein Recht auf Bildung hätten. Auch jugendliche Gefangene könnten keine Abschlussprüfungen mehr ablegen. Selma Gürkan, Vorsitzende der marxistisch-leninistischen EMEP, kritisierte das Erstarren der öffentlichen Debatte. Über Staatshaushalt und Mindestlohn würde nicht mehr öffentlich diskutiert, sondern nur noch pro forma im Parlament abgestimmt. Auf der GEW-Landesdelegiertenversammlung im Dezember erzählte die nach Deutschland geflohene ehemalige Generalsekretärin von Eğitim Sen, Sakine Esen Yılmaz, von den Gräueltaten der türkischen Armee.

GEW-Solidarität mit Eğitim Sen

In diesem gesellschaftlichen Kontext ist politische Arbeit einer Gewerkschaft praktisch unmöglich. Umso wichtiger sind für die Kolleg*innen vor Ort internationale Solidarität und Aufmerksamkeit. In seiner Solidaritätsadresse drückte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann den Kolleg*innen seinen Respekt für ihre Standhaftigkeit aus. Die Geschichte zeige, dass jedes Regime irgendwann zu einem Ende kommt. Die Menschenrechtsverletzungen des Erdogan-Regimes seien widerlich und es sei notwendig, diese offenen zu benennen und anzuprangern, so Erdmann. Die GEW und der Weltverband der Bildungsgewerkschaften, die Bildungsinternationale, haben nach dem Putschversuch Protestbriefe an Recep Erdoğan verschickt und ihn aufgefordert, die massenhaften Verhaftungen und menschenrechtswidrigen Behandlungen sofort einzustellen. Die GEW werde auch weiterhin solidarisch mit ihrer Schwestergewerkschaft Eğitim Sen sein und keine Ruhe geben – "We will never be silenced", betonte Erdmann zum Abschluss seiner Rede.