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Hochschulrektorenkonferenz

Studienorientierung verbessern

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, schließt eine Verlängerung der Studienzeit nicht grundsätzlich aus. Ein Studium mit Bachelor und Master könne unter bestimmten Umständen auch sechs statt fünf Jahre dauern.

Prof. Peter-André Alt. Foto: HRK
  • E&W: Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben die Länder im Dezember ein neues Zulassungsverfahren für das Medizinstudium beschlossen. Die Wartezeitregelung fällt weg, stattdessen werden die Universitäten stärker an der Auswahl beteiligt. Wie zufrieden sind Sie damit?

Peter-André Alt: Die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils ist natürlich sehr kleinteilig, das war auch kaum anders möglich. Ich finde aber sehr wichtig, dass wir vom reinen Abiturdurchschnitt wegkommen und beispielsweise berufliche Vorerfahrungen in der Pflege oder im Rettungsdienst stärker einbeziehen. Das kann ein sehr guter Beleg dafür sein, ob jemand wirklich Arzt oder Ärztin werden will. Dass den Hochschulen eine große Verantwortung bei der Bewerberauswahl überlassen wird, ist unverzichtbar. Deshalb muss die Übergangsphase verbindlich begrenzt werden.

  • E&W: Obwohl für gute und aussagekräftige Auswahlverfahren ja auch ein erheblicher Aufwand nötig ist …

Alt: Das stimmt, das ist auch eine Frage der verfügbaren Personalkapazitäten. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Balance zwischen der Freiheit der Bewerber einerseits und einer fairen Auswahl durch die Hochschulen andererseits gut hinbekommen werden.

  • E&W: Die Frage der Auswahlverfahren ist eine relativ kleine im Vergleich zu einer anderen Reform, die Sie in einem Interview angeregt haben: Dort haben Sie für eine Verlängerung des Bachelorstudiums auf acht Semester plädiert. Warum?

Alt: Zunächst zur Klarstellung: Das war eine Meinungsäußerung, keine abgestimmte Position der HRK. Und: Mir ist klar, dass der vierjährige Bachelor kein Modell für alle Fächer sein kann. Aber wir müssen doch unbestritten auf zwei Feldern Antworten entwickeln: bei der Studienorientierung und beim Umgang mit einem sehr unterschiedlichen Vorwissen der Studierenden. Wenn, wie von mir vorgeschlagen, ein Bachelorstudium mit einer einjährigen, fächerübergreifenden Phase beginnt, wäre das notwendige Basiswissen sichergestellt und die Fächerwahl besser fundiert.

  • E&W: Um bei der insgesamt fünfjährigen Studiendauer bis zum Master zu bleiben, müsste dann aber der Masterstudiengang um ein Jahr verkürzt werden …

Alt: Das ist ein wichtiger Punkt, der auch die meisten Diskussionen ausgelöst hat. Eine solche Kürzung ist in der Tat etwa in den Ingenieur- oder Naturwissenschaften undenkbar. Aber ich meine, wir sollten überlegen, ob ein Studium mit Bachelor und Master nicht auch sechs statt fünf Jahre dauern darf, wenn wir dafür den Studierenden bei ihrem Start eine bessere Basis für den weiteren Weg bieten.

  • E&W: Protestiert dann die Wirtschaft, dass die Absolventen zu alt seien?

Alt: Das halte ich für ein eher schwaches Argument. Gleichzeitig fachliche Tiefe zu fordern und andererseits nach 22-jährigen Absolventen zu rufen, das passt einfach nicht zusammen.

  • E&W: Wie stark würde eine solche Verlängerung des Studiums den Bologna-Prozess noch ein weiteres Mal reformieren?

Alt: Aus meiner Sicht gar nicht so sehr. Denn die europaweite Vergleichbarkeit der Abschlüsse bleibt ja ebenso erhalten wie die Struktur mit dem ersten, berufsqualifizierenden Bachelor-Studiengang und dem stärker forschungsorientierten Master. Bologna bliebe damit in der Essenz erhalten, aber die Studienorientierung würde verbessert – und im besten Fall senken wir zugleich die Zahl der Abbrecher.

  • E&W: Wie groß ist denn das Abbrecher-Problem noch?

Alt: Auch wenn ich den Begriff gerade selbst genutzt habe: Wir sollten mit diesem Wort sehr vorsichtig umgehen. Ein Studienabbruch ist ja in den seltensten Fällen ein radikaler Bruch, sondern meistens ein Wechsel oder eine Umorientierung. Und diesen Wechsel sollten wir ausdrücklich nicht als Problem, sondern in jedem Studium auch als grundsätzliche Option verstehen.

  • E&W: Heißt das, überspitzt formuliert: Ein paar Abbrecher gehören zu jedem Studiengang dazu?

Alt: Natürlich dürfen die Zahlen nicht zu hoch werden und der Zeitpunkt des Wechsels sollte auch nicht zu spät liegen. Aber dass man sich während des Studiums umorientiert, ist grundsätzlich kein Problem. Ein Problem wird es erst dann, wenn Menschen irgendwann ohne Perspektive aus dem Hochschulsystem herausfallen. Und natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns bei der Studienorientierung und der Beratung, bei der fachlichen Vorbereitung und beim Mentoring nicht noch verbessern könnten.

  • E&W: Sie sind ja noch relativ neu an der Spitze der HRK. Wie zufrieden sind Sie mit dem, was Ihnen aus der Hochschulpolitik entgegenkommt?

Alt: Die Finanzierung der Hochschulen ist natürlich ein Dauerthema, das in fast jedem Gespräch eine Rolle spielt. Wir sind einfach darauf angewiesen, dass das, was wir in der Lehre aufgebaut und was wir dort künftig zu leisten haben, stabil finanziert wird. 3 Prozent jährlicher Aufwuchs bei der Hochschulfinanzierung, das halten wir unbedingt für notwendig – und zwar dauerhaft. Gute Lehre kostet Geld! Übrigens auch digitale Lehre. Es reicht eben nicht, eine Vorlesung abzufilmen. Das erfordert Infrastruktur, da müssen eigene Formate entwickelt und permanent zusätzlich angeboten werden.

  • E&W: Klarer im Hinblick auf eine Verstetigung der Mittel sind die Signale in der Exzellenzstrategie, wo es allerdings nicht um innovative Lehre, sondern um Spitzenforschung geht.

Alt: Die neue langfristige Förderung der Cluster und der Zukunftskonzepte ist sinnvoll und richtig, auch wenn sich durch diese Perspektiven zugleich der Erfolgsdruck für die antragstellenden Hochschulen erhöht. Ich sehe ein einziges strukturelles Problem im aktuellen Verfahren.

  • E&W: Welches?

Alt: Dass die Graduiertenschulen herausgenommen wurden, die ja beim Vorläufer Exzellenzinitiative noch eine wichtige Rolle gespielt haben, halte ich persönlich für einen schwerwiegenden Fehler. Junge Wissenschaftler sind für uns extrem wichtig, die Förderung dieses Formats hätte nicht wegfallen dürfen.

Peter-André Alt war Präsident der Freien Universität (FU) Berlin, bevor er am 1. August 2018 sein Amt als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) antrat. Der Literaturwissenschaftler hatte bereits an der FU studiert und war 2005 nach Stationen in Bochum und Würzburg als Professor nach Berlin zurückgekehrt.