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Gastkommentar

Strukturen ändern

Der Dritte Gleichstellungsbericht soll dazu beitragen, die Geschlechteraspekte in der Debatte um Digitalisierung deutlicher herauszustellen – und Handlungsempfehlungen entwickeln. Das Gutachten wird Ende 2020 an die Bundesregierung übergeben.

Aysel Yollu-Tok / Foto: Baris Guerkan

Gleichstellung bedeutet aus Sicht der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht eine Gesellschaft mit gleichen Verwirklichungschancen für alle Menschen unabhängig vom Geschlecht; eine Gesellschaft, in der die Chancen und Risiken im Lebensverlauf gleich verteilt sind. Bekanntermaßen ist dieses Ziel noch nicht erreicht: Dies machen die geläufigen Indikatoren deutlich, also beispielsweise neben dem Gender Pay Gap der im Zweiten Gleichstellungsbericht entwickelte Gender Care Gap (Bundesregierung 2017).

Die Digitalisierung eröffnet nun eine Chance, die Erwerbs- und Sorgearbeit neu zu gestalten – und dabei herrschende Ungleichheiten der analogen Welt abzubauen, denn jede neue Technologie gibt einen Anstoß, herrschende Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln, nicht nur die Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, sondern auch herrschende Machtverhältnisse und Rollenzuschreibungen zu hinterfragen. Eine aktive Gestaltung des Transformationsprozesses, bei der neben technischen auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden, kann aber nicht nur zum Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten beitragen, sondern stärkt auch die demokratische Gesellschaft. Wenn jedoch die Gestaltung der Digitalisierung eine rein technikzentrierte Ausrichtung verfolgt, werden die bekannten Geschlechterungleichheiten aus der analogen Welt fortgesetzt, verfestigt oder sogar verstärkt – der digitale Wandel wird so zu einem Risiko für die Gleichstellung.

Die Handlungsempfehlungen sollen darauf abzielen, in einer digitalisierten Wirtschaft Diskriminierung, Gewalt, strukturelle Benachteiligung und Stereotype einzuschränken und Gleichstellungslücken zu schließen.

Der Dritte Gleichstellungsbericht soll dazu beitragen, die Geschlechteraspekte in der Debatte um Digitalisierung deutlicher herauszustellen – und entsprechende Handlungsempfehlungen entwickeln. Denn bisher spielen Geschlechterstrukturen und soziale Ungleichheiten in dieser Debatte kaum eine Rolle. Wenn sie erwähnt werden, dann mit Fokussierung auf „Frauen“, statt auf Strukturen. Eine häufig herangezogene Figur ist die „fehlende Frau“ (zum Beispiel in den Technikberufen, in der MINT-Bildung), wobei ungleiche Strukturen in erster Linie als bildungspolitische Herausforderung gesehen werden. Exkludierende Arbeits- oder Ausbildungswelten werden weniger berücksichtigt.

Die Handlungsempfehlungen sollen darauf abzielen, in einer digitalisierten Wirtschaft Diskriminierung, Gewalt, strukturelle Benachteiligung und Stereotype einzuschränken und Gleichstellungslücken zu schließen. Themen, die dabei berührt werden, sind unter anderem die Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit und deren Folgen für die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen; die Plattformökonomie eine potenzielle Verstärkung von Geschlechterungleichheiten durch einen wachsenden Bereich von Soloselbstständigkeit mit ungesicherten Arbeitsverhältnissen; „Gender Gaps“ bei Gründungen und Start-ups, beispielsweise beim Zugang zu Finanzierung sowie eine mögliche Verfestigung von Geschlechterstereotypen durch soziale Medien.

Die interdisziplinär besetzte Sachverständigenkommission wird ihr Gutachten Ende des Jahres an die Bundesregierung übergeben.