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Bildung in der digitalen Welt

Sichere Bildungsbiografien dank der Blockchain

Der Begriff Blockchain wird meist mit Kryptowährungen wie Bitcoin in Verbindung gebracht. Die Technologie kann jedoch mehr - und ist auch für den Bildungsbereich interessant, wie der Experte Ingo Fiedler vom Blockchain Research Lab erläutert.

Blockchain-basierte Bildungszertifikate sind fälschungssicher. (Foto: Pixabay / CC0)
  • Wie lässt sich die Blockchain-Technologie in der Bildung nutzen?

Ingo Fiedler: Der naheliegendste Anwendungsfall sind fälschungssichere Bildungszertifikate. Das klingt wenig spannend, doch gefälschte Zeugnisse sind ein enormes Problem: Bei jedem Übergang zwischen Bildungsstufen und beim Eintritt in den Arbeitsmarkt vertrauen alle involvierten Stellen auf die Richtigkeit der Angaben der Bewerberinnen und Bewerber. Dokumente wie Zeugnisse sind aber noch immer meist papierbasiert und damit fälschungsanfällig. Der Aufwand, Fälschungen auszuschließen oder die beurkundeten Qualifikationen durch eigene Eignungstests zu ergänzen oder gar zu ersetzen, ist groß. Trotzdem werden immer wieder Ausbildungs- und Arbeitsplätze an die Falschen vergeben – und geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten mit echten Unterlagen bekommen eine Absage. Blockchain-basierte Bildungszertifikate sind fälschungssicherer und würden dieses Problem lösen. Zudem könnten darauf viele weitere Anwendungen aufbauen.

  • Welche zum Beispiel?     

Fiedler: Mit Hilfe der Blockchain-Technologie lassen sich Bildungsbiografien systematisch aufbauen. Sie könnten dann zum Beispiel auch als Identitätsnachweis verwendet werden. Das ist etwa für Flüchtlinge interessant, die ihre Bildungsbiografien so deutlich einfacher als bisher nachweisen könnten. Ein weiterer Vorteil von Blockchain-basierten Bildungszertifikaten ist die Möglichkeit, partielle und oder temporär begrenzte Lesezugriffe zu vergeben, um Verstößen gegen den Datenschutz bei Bewerbungsprozessen vorzubeugen.   

Letztlich könnte über digitale Bildungszertifikate – Blockchain-basiert oder nicht – auch eine Art Skillmatching durchgeführt werden. Das bedeutet, die Anforderungen an einen Job oder die Qualifikation für einen Kurs könnten mit den Kompetenzen der Bewerberin und des Bewerbers oder den Inhalten eines früheren Kurses abgeglichen werden. So könnten Stellenprofile optimiert oder Bildungswege stärker individualisiert werden.

  • Welche Einsatzszenarien sind an Schulen oder Hochschulen denkbar?

Fiedler: Zunächst einmal muss man festhalten: Ein realistischer Einsatz der Blockchain-Technologie kann dort nur erfolgen, wenn dies nicht zu einer Mehrbelastung im Bildungsalltag führt. Lehrkräfte sind bereits in normalen Zeiten – ohne Coronapandemie – überlastet und haben schlicht nicht die Möglichkeit, sich in neue technische Lösungen einzuarbeiten.

Das konkreteste Einsatzszenario für Schulen und Hochschulen ist daher, dass eine externe, vertrauenswürdige Institution wie eine Bildungsbehörde Zeugnisse und ähnliche Zertifikate als digitaler Zwilling in Token-Form – also als digitales Abbild – ausgibt. Dazu bedarf es lediglich einer Software, welche die Bildungsnachweise verwaltet, auf die Blockchain bringt und für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende abrufbar macht. Dort könnten auch weiterführende Informationen zum Beispiel zu den gelehrten Inhalten eines Kurses ergänzt werden. 

  • Könnte die Blockchain-Technologie in irgendeiner Form auch das Lernen verbessern?

Fiedler: Den wesentlichen Vorteil sehe ich in der Tat in fälschungssicheren Zertifikaten und allen Lösungen, die sich darauf aufbauen lassen. Eine direkte Anwendung für das Lernen kann ich mir nicht vorstellen. Aber vielleicht fehlt mir dazu lediglich die Fantasie.

Das gemeinnützige Blockchain Research Lab (BRL) mit Sitz in Hamburg fördert unabhängige Wissenschaft und Forschung im Bereich der Blockchain-Technologie. Es versteht sich als Plattform, auf der Fragen, Sichtweisen, Ideen und Lösungen zur Weiterentwicklung und Adaption der Blockchain-Technologie sowie ihrer gesellschaftlichen Folgewirkungen entwickelt und ausgetauscht werden.

Beantwortet werden sollen Fragen wie: Wie kann sich die Blockchain-Technologie positiv auf unser Leben und unsere Umwelt auswirken? Welche Probleme kann sie lösen? Dazu braucht es nach Ansicht des BRL noch interdisziplinäre Forschungsansätze, welche die neuen technologischen Möglichkeiten mit den praktischen Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen. Für viele Entscheidungsträger ist das Thema Blockchain zudem nach wie vor nicht greifbar.

Das BRL will dazu beitragen, diese Lücken zu schließen. Für die Einrichtung arbeiten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Informatikerinnen und Informatiker sowie Expertinnen und Experten der New Economy. Außerdem werden Forschungsstipendien vergeben.

  • Ist die Blockchain in der Bildung dann bisher eher ein theoretisches Konzept?

Fiedler: Es gibt bereits Pilotprojekte von Unternehmen, bei denen es insbesondere um die beschriebene Ausgabe von Bildungszertifikaten und damit verbundene Möglichkeiten geht. Ein größer angelegter Einsatz der Blockchain-Technologie im Bildungssektor steht jedoch noch aus. Das Thema ist dort mit Ausnahme von einigen wenigen Universitäten noch nicht angekommen. Dies ist auch nicht zwingend notwendig, denn Pilotstudien und -anwendungen werden nicht dazu führen, die Vorteile sichtbar zu machen. Die Initiative dazu müsste von den Bildungsministerien möglichst vieler Bundesländer ausgehen und dazu führen, dass direkt komplette Bildungsbiografien über die Blockchain abgebildet werden können. Erst mit solch einem ganzheitlichen Ansatz ließe sich das volle Potential heben.

  • Wann könnte dies Ihrer Einschätzung nach erfolgen?

Fiedler: Es wird noch länger dauern, bis der Bildungsbereich „blockchainisiert“ wird. Zwar können Blockchain-basierte Zeugnisse bereits problemlos ausgegeben werden. Doch für einen relevanten Effekt bedarf es eines größeren politischen Engagements. Ich schätze daher, dass noch mindestens zehn Jahre vergehen werden, bevor es eine flächendeckende Anwendung in Deutschland geben kann. Eventuell entscheidet man sich dann auch für eine zentralisierte digitale und gegen eine dezentrale Blockchain-Lösung. Dies hätte aus meiner Sicht jedoch klare Nachteile mit Blick auf Datenschutz und Privatsphäre - und würde zu einem geschlossenen statt einem offenen System mit weiteren Anwendungsmöglichkeiten führen. 

Der Betriebs- und Volkswirtschaftler Ingo Fiedler ist einer der Gründer des BRL. Der Autor von neun Büchern und diversen Fachpublikationen ist zudem Affiliate Professor an der Concordia University im kanadischen Montreal sowie wissenschaftlicher Leiter der Arbeitsgruppe Glücksspiele an der Universität Hamburg.

Der Betriebs- und Volkswirtschaftler Ingo Fiedler ist einer der Gründer des Blockchain Research Lab. (Foto: BRL)