Persönliches
Von Januar 2009 bis Juli 2014 war ich als Schulleiter an der Deutschen Schule Oslo tätig. Die knapp sechs Jahre in der norwegischen Hauptstadt waren für mich nicht nur eine Lernwerkstatt in allen Bereichen von Schule und Kindergarten, sondern genauso ein Lehrpfad für interkulturelle Beziehungen, auch wenn man Letzteres von einem europäischen Nachbarland wie Norwegen vielleicht nicht erwartet. Vorher hatte ich mich nie besonders für die deutschen Auslandsschulen interessiert, wohl aber für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Schulen im deutsch-dänischen Grenzland. In diesem Zusammenhang wurde ich auch auf die Deutsche Schule Oslo aufmeksam. Während meiner Zeit im Auslandsschuldienst habe ich mich mit zwei zentralen Begriffen, die immer wieder in Zusammenhang mit der Arbeit an den deutschen Schulen im Ausland benutzt werden, nicht identifizieren können. Es sind dies die Begriffe "rausgehen" und "zurückkehren" ("Wann bist du raus gegangen?", "Berichte der RückkehrerInnen").
Aus meiner Sicht gehe ich nicht raus, sondern in eine Schule hinein, die in einen anderen kulturellen Kontext eingebettet ist. Hierbei nehme ich immer einen großen Teil meines Selbstverständnisses als Lehrer und Schulleiter mit. Entscheidend dabei ist für mich, wie mir die Symbiose, die Synthese oder auch die Analyse vor Ort gelingt. Ähnlich ist es mit der Rückkehr. Während meiner Zeit im Ausland habe ich mich verändert, aber auch die Schule in Deutschland bzw. in meinem Bundesland hat sich verändert. Ich kehre also nicht zurück an den Ort, den ich verlassen habe, da sowohl der Ort wie auch ich selbst sich verändert haben. Genau dieser Prozess ist es, der den Aufenthalt an deutschen Schulen im Ausland so wertvoll und gewinnbringend für beide Seiten macht, für die Schulen im Ausland, aber genauso für die Schulen im Inland.
Zum Thema „Leiden an Leitung“
Schaut man im Duden nach, so findet man Erklärungen wie zum Beispiel: (durch etwas, jemanden) körperlich oder seelisch stark beeinträchtigt werden; (etwas, jemanden) als schwer erträglich empfinden, oder sich abfinden, akzeptieren, aushalten, dulden, ertragen, hinnehmen, verkraften. Die erste Erklärung habe ich während meiner Tätigkeit als Lehrer glücklicherweise nur einmal erfahren. Es war im Rahmen des Referendariats, in dem es mir nicht gelang, das zu tun, was ich gut konnte, sondern stattdessen versuchte, die Vorstellungen der Ausbilder zu erfüllen. Als Lehrer habe ich nie unter SchulleiterInnen gelitten. Für eine/n SchulleiterIn allerdings gehört aus meiner Sicht die zweite Erklärung zum Alltag. Als SchulleiterIn muss man aushalten, akzeptieren und verkraften können.
Die Deutsche Schule Oslo – Max Tau
Die Deutsche Schule in Oslo (DSO) gehört zu den Begegnungsschulen der deutschen Auslandsschulen, in denen die Schülerinnen und Schüler nach einem zwölfjährigen Ausbildungsgang die Schule mit einem binationalen Abschluss verlassen. Die Rahmenbedingungen für die DSO sind in dem zwischen Norwegen und Deutschland vereinbarten Schulabkommen festgelegt. Hierzu gehört zum Beispiel das Fach Norwegisch als Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler, die Teilnahme an dem Fach Gesellschaftskunde, das auf Norwegisch unterrichtet wird, sowie die Teilnahme an den zentralen Prüfungen im Fach Norwegisch. Die Schule ist nach dem 1976 in Oslo verstorbenen jüdischen Philosophen, Schriftsteller und Verleger Max Tau benannt. Von den Nationalsozialisten verfolgt, floh er 1938 zunächst nach Oslo und später nach Schweden. Max Tau wurde bekannt für seinen Einsatz zur Förderung deutscher Literatur in Norwegen und norwegischer Literatur in Deutschland. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen gründete er eine Friedensbücherei sowie die Deutsch-Norwegische Vereinigung (die spätere Deutsch-Norwegische Gesellschaft).
Was ist anders an dieser Schule?
Zunächst einmal ist sie eine Privatschule so wie wohl die meisten deutschen Auslandsschulen. Allerdings wird die Höhe des Schulgeldes vom norwegischen Staat festgelegt, und die Unterstützung Norwegens beträgt 54 % dessen, was für eine norwegische Schule ausgegeben wird. Die Schülerschaft besteht zu ca. 50 % aus Kindern aus norwegischen Familien, und zu 50 % aus Familien aus Deutschland und anderen Ländern. Das heißt, dass die Kinder, die zuhause deutsch sprechen, in der Minderzahl sind. Entsprechend muss der sprachliche Aspekt des Unterrichts in allen Fächern Teil des Unterrichts sein. Der Unterricht in den Sachfächern ist damit immer auch deutscher bzw. norwegischer Sprachunterricht. Hinzu kommt, dass zur Schule ein Kindergarten, die Grundschule, die Mittelstufe und die Oberstufe gehören, was für einige Schülerinnen und Schüler eine Lernbiographie vom Kindergarten bis zum Abitur bedeutet.
Neben der Schülerschaft ist auch die Lehrerschaft international besetzt, das heißt, dass die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer nach Bedingungen des norwegischen Tarifrechts arbeitet und somit völlig andere Arbeitszeitbedingungen als die ADLKs haben. Dies trifft sicherlich für viele Auslandsschulen zu, allerdings muss man für Oslo feststellen, dass die Bedingungen für die Ortslehrkräfte in vielen Bereichen besser sind als die der ADLKs. Das skandinavische Du ist aus der Sicht eines Schulleiters nicht immer einfach, suggeriert es doch das Fehlen einer Hierarchie, die es aber sehr wohl an norwegischen Schulen gibt. Das "Du" verlangt daher von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein größeres Maß an eigenverantwortlichem Handeln, sollen die Hierarchien wirklich flach gehalten werden.
Der Balanceakt des Schulleiters
Die schulischen Rahmenbedingungen für die DSO ergeben sich aus der Zusammenarbeit mit dem Schulamt Oslo, dem nationalen Direktorat für Bildung, dem norwegischen Bildungsministerium, der Botschaft, dem Vorstand und natürlich nicht zuletzt mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen. Für Oslo kann ich feststellen, dass sich die Zusammenarbeit mit allen Partnern als sehr konstruktiv erwiesen hat, wenn man einmal akzeptiert hat, dass Entscheidungsprozessen in Norwegen meist ein langer Kommunikationsprozess vorausgeht, in dem es immer darum geht, einen möglichst großen Konsens zu erzielen. Dies macht Entscheidungsprozesse auf den ersten Blick langwierig und umständlich, allerdings liegt der Vorteil darin, dass Beschlüsse, wenn sie einmal gefasst sind, schnell umgesetzt werden können. Hinsichtlich der Erwartungen der Eltern an die Schule lassen sich, vereinfacht formuliert, zwei Haltungen feststellen: den norwegischen Eltern ist daran gelegen, dass ihr Kind sich wohl fühlt in der Schule, dass es Freunde hat und dass das Kind in seiner ganzen Persönlichkeit Wertschätzung erfährt. Den anderen Eltern sind in erster Linie gute Leistungsergebnisse ihrer Kinder wichtig. Für mich war es immer wichtig, in Oslo eine Synthese zwischen beiden Haltungen zu finden. Wertschätzung der Persönlichkeit bei gleichzeitiger Forderung von Leistung, angepasst an die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler.