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Referendariat muss familienfreundlicher werden

Wer den Vorbereitungsdienst mit kleinen Kindern absolviert, macht oft schlechte Erfahrungen. Auch das in einigen Bundesländern eingeführte Teilzeitreferendariat löst die Probleme nicht. Es fehlen etwa familiengerechte Arbeitszeiten.

Foto: dpa

Referendariat mit kleinen Kindern? „Davon kann ich nur abraten!“, sagt Sonja Schulz (Name geändert). Im Februar 2014 begann die heute 40-Jährige in Bremen ihren Vorbereitungsdienst für das Lehramt. Ihre beiden Söhne waren zu diesem Zeitpunkt vier und sieben Jahre alt. Die Hälfte der Woche wohnen sie bei ihrem Vater, von dem Schulz getrennt lebt. Wenn sie heute an diese anderthalb Jahre denkt, dann erinnert sich Schulz an eine fortwährende Zerreißprobe: Zwischen den Anforderungen, die Ausbilderinnen und Ausbilder und Schule an sie stellten, und den Bedürfnissen ihrer Kinder. Anstrengend sei ein Referendariat fast immer – aber mit Kindern, sagt die Deutsch- und Kunstlehrerin, gebe es keine Möglichkeit, sich zwischendurch zu erholen.

Eine Mitreferendarin habe sich einmal darüber beschwert, dass sie an einem Sonntag die Unterrichtsvorbereitung machen musste. „Das war mein Hauptarbeitstag, weil die Kinder bei ihrem Vater waren.“ Stets sei es darum gegangen, die Kinder weg zu organisieren, damit sie an den Schreibtisch konnte – und wenn die Jungen krank waren, musste sie eben nachts arbeiten. Darunter litt das Familienleben. „Ich habe mich immer auf den Samstag gefreut, damit wir mal etwas Schönes zusammen machen können“, sagt sie. Meistens habe sie sich dann im Spielzimmer auf den Teppich gelegt – und sei eingeschlafen.

Geholfen hätte ihr mehr Verständnis der Schule und der Seminarleiterinnen für ihre Situation. Und: Weniger Termine am Wochenende und am Nachmittag, wenn Kita und Hort schon geschlossen haben. Eine Anleiterin habe keine Fehlzeiten geduldet. „Einmal sagte mir die Babysitterin kurzfristig ab und meine Schwiegermutter, die manchmal einsprang, hatte einen Autounfall.“ Das interessierte ihre Seminarleiterin nicht. Von ihr musste sie sich anhören, dass andere Referendarinnen und Referendare auch ihre Probleme hätten und es trotzdem schafften, sich zu organisieren.

Von ähnlich schlechten Erfahrungen berichten viele, die das Referendariat als Eltern kleiner Kinder absolviert haben. Auch Stefanie Frischling, Leiterin des Fachbereichs Junge GEW in Baden-Württemberg, kennt solche Geschichten. „Wir haben jede Woche eine Anfrage zu dem Thema“, sagt sie. Der Wunsch, Familie und Ausbildung zu vereinbaren, steige auch bei angehenden Lehrkräften. Frischling weiß, dass es andere, vor allem Alleinerziehende, schwerer haben. „Eine Frau flog aus dem Seminar, weil sie drei Mal nicht kommen konnte.“ Dabei sei es doch möglich, verpasste Sitzungen selbstständig nachzuholen und durch eine schriftliche Zusammenfassung zu belegen, dass man den Stoff draufhabe..

„Die Schulen und die Seminarleitungen fremdeln mit dem Teilzeitreferendariat.“ (Rüdiger Heitefaut)

Um Referendarinnen und Referendaren mit Kindern eine bessere Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie zu ermöglichen, hat die Junge GEW in Baden-Württemberg Forderungen an die Landesregierung gestellt. Dazu gehört, dass diese bei der Auswahl von Schulen und Seminarplätzen bevorzugt behandelt werden sollen. „Ich weiß von einer Alleinerziehenden mit zwei schulpflichtigen Kindern, die musste 80 Kilometer zur Schule und 60 Kilometer zum Seminar fahren.“ Bereits erfolgreich war die Junge GEW mit ihrem Kampf für ein Teilzeitreferendariat. Das von einer grün-schwarzen Koalition regierte Baden-Württemberg will ein solches zum Frühjahr 2019 einführen.

Mehrere Bundesländer haben dies schon getan, die Regelungen sind unterschiedlich. In Niedersachsen etwa können Referendarinnen und Referendare zwischen zwei Modellen wählen. In einem Fall ist nur die Unterrichtszeit reduziert, im anderen gilt dies auch für die Seminarverpflichtungen. Dann verlängert sich die Ausbildungsdauer auf bis zu 36 Monate. Weil nach diesem Modell die in der Lehrverordnung festgelegten Ausbildungsstrukturen verlassen werden, soll „die Seminarleitung zu Beginn der Ausbildung im Einvernehmen mit der Ausbildungsschule und der Lehrkraft einen individuellen Ausbildungsplan entwickeln“, schreibt ein Sprecher des Kultusministeriums.

Doch das wird nach den Erfahrungen des Geschäftsführers der GEW Niedersachsen, Rüdiger Heitefaut, nur selten umgesetzt. „Die Schulen und die Seminarleitungen fremdeln mit dem Teilzeitreferendariat“, sagt er. In der Konsequenz müssten die Teilzeit-Referendarinnen und -Referendare an demselben Programm teilnehmen wie alle anderen. „Das ist derselbe Stress, nur schlechter bezahlt und auf längere Zeit.“ Deshalb sollte die Teilzeitvariante aus seiner Sicht in einem eigenen Zug an ausgewählten Standorten angeboten werden.

„Neben Teilzeitbeschäftigung sind auch familiengerechte Arbeitszeitregelungen und Arbeitsorte anzubieten.“ (Frauke Gützkow)

Ähnlich sieht es Matthias Jähne, Referent im Vorstandsbereich Hochschulen und Lehrer*innenbildung bei der GEW Berlin. Die Fachseminare seien nicht modularisiert, deshalb können die Teilzeitteilnehmenden ihre Verpflichtungen nicht über einen längeren Zeitraum strecken: „Viele sind dann in 18 Monaten mit ihrem Programm durch und müssen noch ein halbes Jahr weitermachen.“ Und das für wesentlich weniger Geld. In Baden-Württemberg, sagt Frischling, laufe das bei einer Reduzierung auf 60 Prozent auf monatlich 600 Euro netto hinaus – zweieinhalb Jahre lang. „Das ist zu wenig, wir fordern, dass das Gehalt für Familien aufgestockt wird.“

Für Frauke Gützkow, Leiterin des Bereichs Frauenpolitik bei der GEW, ist das Teilzeitreferendariat ein erster Schritt. Zudem müssten sich das Klima und die Rahmenbedingungen des Referendariats grundsätzlich verändern. „Was gut für Eltern mit Kleinkindern ist, verbessert auch die Ausbildungsbedingungen für andere“, sagt Gützkow. Sie weist darauf hin, dass auch die Landesgleichstellungsgesetze regelten, dass Elternschaft nicht zu Nachteilen in der beruflichen Entwicklung führen dürfe: „Neben Teilzeitbeschäftigung sind auch familiengerechte Arbeitszeitregelungen und Arbeitsorte anzubieten. Hier unterstützen die Gleichstellungsbeauftragten in Schulämtern oder die Ansprechpartnerinnen für Gleichstellung an den Schulen.“ Letztendlich dürfe die bessere Vereinbarkeit von Referendariat und Familie keine individuelle Herausforderung sein, sondern sei eine Aufgabe für Studienseminare, Schule und Ausbilderinnen. „Es kann nicht dabei bleiben, dass man Eltern viel Glück wünschen muss, wenn sie ihr Referendariat beginnen.“