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Unvereinbarkeitsbeschlüsse der GEW

Rechtsstaatlich bedenkliche Vorgänge

124 Frauen und 169 Männer wurden in den 1970er-Jahren wegen „Mitgliedschaft oder Unterstützung“ sogenannter K-Gruppen aus der GEW ausgeschlossen. In „Von den Grenzen der Toleranz“ beschreibt der Historiker Marcel Bois die Gründe und Folgen.

Protest gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der GEW in den 1970er-Jahren. Das Bild zeigt eine Protestaktion gegen den Ausschluss des Lehrers Manfred Köhler aus Frankfurt am Main 1977. (Foto: Manfred Köhler)

Wegen eines Antrags verlor eine Bremerin 1976 ihre GEW-Zugehörigkeit: „Sie unterstützen den Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW)“, hieß es in einem harschen Brief des Hauptvorstands. Begründung: Ihre Wortmeldung enthalte „eindeutig KBW-Forderungen“. Einen Beweis, dass die Frau der linken Gruppierung angehörte, gab es nicht. In Nordrhein-Westfalen hatten zwei Mitglieder 1975 ein KBW-Flugblatt mitverteilt – vor dem Unvereinbarkeitsbeschluss, der GEW-Mitgliedern verbot, die Gruppe zu unterstützen. Es sei doch, so schrieben sie an den GEW-Vorstand, „in der abendländischen Rechtsordnung nicht üblich, Vergehen rückwirkend zu ahnden“. Das Argument half nicht, 22 von 31 Vorstandsmitgliedern stimmten für Ausschluss.

„Die Zeit war geprägt von der Suche nach Alternativen und Utopien.“ (Alexandra Jaeger)

Wie es zu diesen – rechtsstaatlich bedenklichen – Vorgängen kam, arbeitet Bois in seiner knapp 150 Seiten starken Studie heraus. Er führt die Leserschaft in die Zeit des Kalten Krieges und der ´68er-Bewegung mit ihren Konflikten, die auch die GEW fast zerrissen. Gestritten wurde über Bildung, Gesellschaftsrollen und Staatsverständnis. Die Politisierung habe für eine „Verschiebung nach links“ gesorgt, schreibt Bois. Bundesweit gehörte geschätzt rund eine Million Menschen zum sogenannten linken oder alternativen Milieu. „Die Zeit war geprägt von der Suche nach Alternativen und Utopien“, so die Historikerin Alexandra Jaeger, die in einer eigenen Studie die Hamburger Unvereinbarkeitsbeschlüsse untersucht hat. Im Rahmen dieser Sinnsuche schlossen sich Hunderttausende einer der zahlreichen sozialistischen, kommunistischen oder maoistischen Gruppen an.

GEW unter Druck

Der GEW brachte die Politisierung neue Mitglieder, darunter viele Studierende, die offen für linke Ideen waren. Auch der Sozialdemokrat Erich Frister, der 1968 zum GEW-Vorsitzenden gewählt wurde und das Amt bis 1981 innehatte, bekannte sich zunächst zum Pluralismus. Doch die Gewerkschaft habe unter Druck gestanden, schreibt Bois. So beobachteten die konservativen Medien die GEW kritisch, für die „Bild“ war sie gar ein „Schwerpunkt linksextremer Wühlarbeit“. Misstrauen gab es auch von der Politik, vor allem der CDU. Dazu trug bei, dass 1972 die RAF-Mitglieder Ulrike Meinhof und Gerhard Müller in der Wohnung des GEW-Vorstandsmitglieds Fritz Rodewald verhaftet wurden. Dass Rodewald selbst die Polizei rief, half nichts: „Ein ganz schlimmer Linksradikaler“ sei er, befand das Boulevardblatt „Praline“.

Auch in der eigenen Mitgliedschaft prallten die Meinungen aufeinander. In diesem Spannungsfeld und vor dem Hintergrund des staatlichen Radikalenerlasses, der GEW-Mitglieder besonders traf, habe sich der Vorstand genötigt gesehen, „seine Verfassungstreue zu beweisen“, schreibt Bois.

Konkret wurde es, als der DGB im Oktober 1973 einen Unvereinbarkeitsbeschluss erließ, den die Einzelgewerkschaften umzusetzen hatten. Kurz darauf, im Januar 1974, verabschiedete die GEW Hamburg nach Konflikten zwischen Mitgliedern und Vorstand eine eigene Unvereinbarkeitsliste. Weitere Landesverbände zogen nach, auch der Hauptvorstand handelte: Der Gewerkschaftstag 1974/75 erteilte dem Gesamtverband mehr Befugnisse, Ausschlussverfahren lagen nun in der Hand des Hauptvorstands.

Berufsverbote drohten

„Der linke Frister – Linke frisst er“, lautete ein Spottsatz über den gewandelten Vorsitzenden. Im Mai 1975 beschied der Vorstand erstmals über eine Liste mit 70 Namen. Zwar war Widerspruch gegen den Ausschluss möglich – allerdings beim Hauptausschuss, dem Vorstandsmitglieder angehörten. Wegen dieser Praxis und den unklaren Kriterien für Ausschlüsse gab es Kritik, sowohl im Vorstand von einer Gruppe um die Berliner GEW-Vorsitzende Lore Kujawa als auch aus den Ländern und der Mitgliedschaft. Der Landesverband Berlin, dessen Versammlung den Unvereinbarkeitsbeschluss ablehnte, musste die GEW verlassen und wurde erst 1979 wieder aufgenommen – dieses besondere Kapitel konnte die Studie nur streifen. Was in den Landesverbänden im Einzelnen geschah, könne Thema künftiger Forschungen sein, sagt Bois.

Neben den Protesten stand die Sorge, dass sich die GEW inhaltlich einengt, „durch Amputation des linken Beins zum bildungspolitischen Krüppel“ werde, so ein Mitglied. Die Abgrenzung ging so weit, dass Angehörige oder Sympathisanten der K-Gruppen bei GEW-Veranstaltungen nicht im Saal sein durften – Funktionären drohte der Ausschluss, wenn sie dies nicht durchsetzten.

„Wir können die vergangenen Entscheidungen nicht rückgängig machen, aber wir entschuldigen uns respektvoll gegenüber den Betroffenen.“ (Marlis Tepe)

Tatsächlich traten K-Gruppen-Kader oft konfrontativ auf, in einigen Gruppen galten Gewerkschafter als „Arbeiterverräter“ und „Kapitalistenknechte“. Doch viele derer, die nicht im engen Zirkel mitarbeiteten, traf der Verlust der GEW-Mitgliedschaft hart. Schließlich führte sie zum Verlust des Rechtsschutzes – besonders bitter, wenn parallel Berufsverbote auf Grundlage des Radikalenerlasses drohten. Ob es eine Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Behörden gab, lässt Bois offen. Auffallend sei aber, dass Gewerkschaftsausschluss und Berufsverbot oft zeitlich beieinander lagen und ähnlich begründet wurden. Daher sei denkbar, dass Informationen informell weitergegeben wurden. Belegt ist, dass der DGB bis 1979 Listen ausgeschlossener Mitglieder an einen großen Empfängerkreis verschickte, bis Hinweise auf Datenschutz dieses Vorgehen beendete.

Der letzte Ausschluss durch den GEW-Hauptvorstand fand 1979 statt, aber erst 1989 strich die GEW den Unvereinbarkeitsbeschluss aus der Satzung. Als erste Gewerkschaft macht die GEW den Schritt, die Praxis der Unvereinbarkeitsbeschlüsse wissenschaftlich aufzuarbeiten. Es gelte, den damals Betroffenen „ein Gesicht zu geben“, so die ehemalige Vorsitzende Marlis Tepe in ihrem Vorwort zur Studie. Die GEW bietet Menschen, die ausgeschlossen oder nicht aufgenommen wurden, eine beitragsfreie Mitgliedschaft und eine „Anerkennungspauschale“ an. „Wir können die vergangenen Entscheidungen nicht rückgängig machen, aber wir entschuldigen uns respektvoll gegenüber den Betroffenen“, schreibt Tepe.

Marcel Bois: Von den Grenzen der Toleranz – Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gegen Kommunistinnen und Kommunisten in den eigenen Reihen (1974–1980). Mit einem Vorwort von Marlis Tepe. Beltz-Verlag, Weinheim 2021, 150 Seiten.