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Lehrkräfte und die AfD

Rassismus darf nicht ignoriert werden

Die AfD übt immer unverhohlener Druck auf kritische Lehrkräfte aus. Im Interview erklärt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte, wie diese darauf reagieren können.

  • E&W: Herr Cremer, die AfD hat 2018 damit begonnen, Portale einzurichten, bei denen Eltern sowie Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte melden können, die sich ihrer Meinung nach parteipolitisch nicht neutral verhalten. Wie ordnen Sie diese ein?

Hendrik Cremer: Die Portale sind ein Instrument, mit dem die AfD Druck auf Akteure der schulischen Bildung ausübt. Daneben nutzt die Partei weitere Mittel wie Dienstaufsichtsbeschwerden. Viele Lehrkräfte sind gegenwärtig verunsichert, was die Behandlung von Parteien und politischen Standpunkten betrifft.

  • E&W: Dürfen sich Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht kritisch gegenüber der AfD und deren Positionen äußern?

Cremer: Für die Lehrpersonen ist zunächst wesentlich, dass sie Positionen sachlich darstellen und wiedergeben. Das gilt im Hinblick auf alle Parteien. Grundlage politischer Bildung ist die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes. Sie ist rechtlicher Maßstab und Wertegrundlage. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, Positionen kritisch einzuordnen, wenn diese die Grundprinzipien der Menschenrechte angreifen. Das gilt unabhängig davon, wer die Positionen vertritt, also auch wenn diese von demokratisch gewählten Parteien kommen.

  • E&W: Der Beutelsbacher Konsens sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler durch kontroverse Diskurse dazu befähigt werden, sich ein eigenes politisches Urteil zu bilden. Die AfD bezieht sich auf dieses Gebot und beklagt, dass sie unverhältnismäßig stark kritisiert werde. Wie viel Kritik ist erlaubt?

Cremer: Aus dem Beutelsbacher Konsens kann nicht abgeleitet werden, dass rassistische und/oder andere menschenverachtende Aussagen gleichberechtigte und legitime Positionen darstellen. Sie sind vielmehr kritisch zu thematisieren. Das ergibt sich aus dem von der Kultusministerkonferenz anerkannten Bildungsauftrag, der sich auch in den Schulgesetzen findet. In diesen wird Bezug genommen auf die Garantie der Menschenwürde für alle Menschen als zentrale Bestimmung des Grundgesetzes.

  • E&W: Die AfD ist mitunter schwierig zu fassen. Funktionäre treffen diskriminierende Äußerungen und erklären anschließend, das wäre falsch verstanden worden. Wie können Lehrkräfte damit umgehen?

Cremer: Hier wäre im Unterricht herauszuarbeiten, wie sich die AfD als Opfer inszeniert, was sich sehr konkret darlegen lässt. In unserer Publikation zum Neutralitätsgebot in der Bildung zeigen wir auf, dass rassistische Positionierungen in der AfD Bestandteil ihres Programms und ihrer Strategie sind, bis hin zu offen ausgesprochenen Drohungen durch Führungspersonen und Mandatsträger, die einer gewaltsamen Machtergreifung das Wort reden.

  • E&W: Inwieweit ist das Kontroversitätsgebot vereinbar mit dem Anspruch an Lehrkräfte, sich parteipolitisch neutral zu verhalten?

Cremer: Das parteipolitische Neutralitätsgebot des Staates ist fundamentaler Bestandteil einer pluralen Demokratie. Und das ist auch im Bereich der Bildung zu achten. Bildung ist allerdings nicht in dem Sinne neutral, dass sie wertneutral wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich in Klassenzimmern regelmäßig Menschen befinden, die potenziell von Rassismus betroffen und gegebenenfalls zu schützen sind. Wenn Positionen den Schutz der Menschenwürde und den damit einhergehenden Grundsatz der Rechtsgleichheit der Menschen in Frage stellen, geht es um nicht verhandelbare Grundsätze des Grundgesetzes. Daher ist es nicht nur zulässig, sondern geboten, wenn Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln, solche Positionen zu erkennen und ihnen nicht zu folgen.

  • E&W: Wie können Lehrkräfte auf Vorwürfe der AfD reagieren?

Cremer: Sie könnten etwa im Politik- oder Rechtskundeunterricht das Neutralitätsgebot erläuternd aufgreifen und dabei thematisieren, warum die Kritik der AfD unzutreffend ist.

  • E&W: Das könnte wiederum ein Einstieg sein, um sich mit Inhalten der Partei auseinanderzusetzen.

Cremer: Ja, Lehrkräfte können in unterschiedlichen Kontexten und Schulfächern die Inhalte der Partei zum Gegenstand ihres Unterrichts machen. So ließe sich etwa unter Bezugnahme auf die AfD thematisieren, wie heutzutage rassistische Positionen begründet werden. Dass zum Beispiel häufig nicht mehr von „Rassen“ gesprochen und biologistisch argumentiert wird, sondern mit Blick auf Kultur und Religion. Außerdem ist denkbar, dass man vor Wahlen alle Parteien thematisiert und dann eben auch herausarbeitet, inwieweit sich die AfD von anderen Parteien unterscheidet.

  • E&W: Es gibt Lehrkräfte, die sich beim Thema AfD zurückhalten, weil sie etwa durch die Meldeportale Konsequenzen befürchten. Was raten Sie denen?

Cremer: Wesentlich ist hier sicherlich, welche Haltungen im Kollegium und von der Schulleitung vertreten werden. Die betroffenen Lehrkräfte könnten überlegen, wo sie sich innerhalb und außerhalb der Schule beraten lassen und Unterstützung holen können. Aber nochmal: Grundsätzlich dürfen weder rassistische Positionen von Parteien noch entsprechende Äußerungen von Schülerinnen und Schülern ignoriert werden. Der Bildungsauftrag, der sich an den Menschenrechten orientiert, gilt in allen Schulkontexten, nicht nur im Politikunterricht, und ist Aufgabe aller Lehrkräfte. Gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt: Die freiheitliche demokratische Grundordnung eines Staates kann zerstört werden, wenn rassistische Grundhaltungen nicht rechtzeitig auf energischen Widerstand stoßen.

Hendrik Cremer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte und Autor der Analyse „Das Neutralitätsgebot in der Bildung“. (Foto: DIMR/Anke Illing)