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Fachkräftemangel in Schule, Kita, Jugendhilfe und Hochschule

Quereinstieg ohne Geldnöte

Die „Praxisintegrierte Ausbildung“ (PiA) zur Erzieherin oder zum Erzieher ist derzeit die erfolgversprechendste Variante, um gegen den akuten Fachkräftemangel vorzugehen.

Um den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung zu bekämpfen, setzen die Bundesländer verstärkt auf Quereinsteigerinnen und -einsteiger. Auch für Männer soll der Jobeinstieg dadurch attraktiver werden. (Foto: Kay Herschelmann)

Der Teufel steckt wie so häufig im Detail. Während in einem Bundesland eine fünfjährige Ausbildung erforderlich ist, genügen andernorts drei Jahre. Doch damit nicht genug. Die Zulassungsvoraussetzungen zu den jeweiligen Fachschulen sind unterschiedlich, die Gestaltung der Ausbildung unterscheidet sich und auch die mögliche Bezahlung. Ein Flickenteppich, der das Anliegen, neue Zielgruppen für den Erzieherinnen- und Erzieherberuf zu erschließen, nicht leichter macht.

Wie schwer sich manche Interessentinnen und Interessenten tun, dokumentiert die Frage einer Besucherin des Infoportals Kita.de für Eltern, Erzieherinnen und Erzieher sowie Kita-Personal: „Ich habe keinen Sekundarabschluss 1, dafür aber eine 1985 abgeschlossene dreijährige Berufsausbildung. Ergibt sich mir nun doch die Möglichkeit? Arbeite nachweisbar seit 2009 mit Kindern, seit 2015 an einer Förderschule.“ Die Antwort von Kita.de erinnert ein wenig an Radio Jerewan: „Das könnte durchaus klappen. Ob … hängt aber von der Regelung in Ihrem Bundesland ab.“ Dass die Zugangswege in die Ausbildung und das Berufsfeld tatsächlich sehr unterschiedlich sein können, bestätigt Tim Frauendorf. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Beratungsstelle „Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher – Wege in den Beruf“.

Allen Ländern gemein ist, dass sie einen extrem hohen Fachkräftemangel zu beklagen haben und sich der Schwierigkeiten für Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger bewusst sind. Entsprechend begannen sie teilweise bereits vor Jahren, ihre Ausbildungssysteme zu erweitern und umzugestalten. Zugleich wurden bundesweit Programme aufgelegt, um auch mehr Männern die Tätigkeit schmackhaft zu machen. Als besonders attraktiver Weg im Dschungel der Möglichkeiten gilt dabei die „Praxisintegrierte Ausbildung“ (PiA). Als eines der ersten Länder führte Baden-Württemberg sie 2012 ein – und konnte sich vor Bewerbungen kaum retten. Doch auch Nordrhein-Westfalen und Hessen gelten als Länder der ersten Stunde, weitere (zum Beispiel Bremen, Schleswig-Holstein) rangen sich zu PiA-Modellversuchen durch. Ein Effekt: Die Männerquote im weiblich dominierten Berufsfeld stieg – sie lag 2019 bei rund 6,6 Prozent und war damit mehr als doppelt so hoch wie noch 2006.

„Die von Beginn an regelmäßige Arbeit in einer Kita verhindert den Praxisschock.“ (Björn Köhler)

Was aber macht PiA so attraktiv? Björn Köhler, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit: „Die enge Verzahnung von Theorie und Praxis sowie die seit 2019 tariflich geregelten Gehälter.“ Im Klartext: Zu dem üblichen Weg, erst eine rein schulische und lediglich durch Praktika unterbrochene Ausbildung zu absolvieren, gibt es jetzt mit PiA eine Ergänzung. Sie sieht in der Regel eine dreitägige Schulphase sowie eine zweitägige Praxisphase in der jeweiligen Einrichtung vor.

Nochmals Köhler: „Die von Beginn an regelmäßige Arbeit in einer Kita verhindert den Praxisschock.“ Er weiß, wovon er spricht. Denn noch immer steigen nach seiner Aussage zwischen 25 und 33 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher aus dem Job wieder aus, „weil sie sich vieles, insbesondere die schwierigen Arbeitsbedingungen und die hohe Arbeitsbelastung, anders vorgestellt haben“. Eigentlich möchte das GEW-Vorstandsmitglied das Wort „Arbeit“ mit Blick auf die Tätigkeit der Quereinsteigerinnen und -einsteiger in der Einrichtung gar nicht in den Mund nehmen, weil „diejenigen, die sich in der Praxisintegrierten Ausbildung befinden, Lernende sind“. Auch deshalb setzt sich die GEW dafür ein, dass diese nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden. „Insbesondere kleine Einrichtungen tun sich natürlich schwer, Auszubildende einzustellen, wenn diese dann mehrere Tage pro Woche wegen des Besuchs der Theorieeinheiten in der Fachschule fehlen“, bedauert Köhler.

In Bremen hat man die Problematik erkannt und reagiert: Das Land finanziert PiA-Auszubildende zusätzlich. Köhler könnte sich bundesweit einen „Topf“ als PiA-Rücklage vorstellen, in den alle Träger einzahlen. Aus diesem könnten dann die Gehälter der Auszubildenden finanziert werden. Diese verdienen im ersten Ausbildungsjahr rund 1.100 Euro brutto. Die sozialversicherungspflichtige Ausbildung begrüßt Köhler: „Das macht dann schon etwas aus, wenn ich beispielsweise an die Altersarmut von Frauen denke.“

Möglichkeiten der Optimierung

Er und Frauendorf benennen weitere Optimierungsmöglichkeiten für PiA: Die qualifizierte Anleitung der Auszubildenden muss intensiv mit der Fachschule abgestimmt sein. Die in der Einrichtung dafür zuständige Person sollte im „optimalen Fall für diese Mentoren-Aufgabe von anderen Tätigkeiten freigestellt sein“. Dazu kommt, dass die Auszubildenden der Ausbildungseinrichtung wegen des vorgeschriebenen zweiten Tätigkeitsfeldes (zum Beispiel offene Jugendarbeit/Wohnheime/Streetworker) für mehrere Praktikumswochen fehlen.

Trotz dieser Anforderungen ist PiA für potenzielle Quereinsteigerinnen und -einsteiger sowie die GEW die aktuell optimalste Variante im Kampf gegen den Fachkräftemangel – auch wenn in Ländern ohne „Praxisintegrierte Ausbildung“ zahlreiche andere Konzepte existieren.