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Proteste in Polen

Mehr als 100.000 Menschen haben am Samstag in Warschau gegen die Politik der liberal-konservativen Regierung unter Premierminister Donald Tusk demonstriert. Aufgerufen zu den Protesten hatten die drei polnischen Gewerkschaftsbünde NSZZ „Solidarność“, OPZZ und FZZ.

Fotos: ZNP, Solidarnosc

Es war die größte Protestdemonstration in Polen seit der politischen Wende im Jahre 1989. Einige Demonstranten hatten bereits seit Mittwoch vor dem Parlamentsgebäude gezeltet. Die Gewerkschaften werfen der Regierung vor, den Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Familien zu schaden. Zu ihren Forderungen gehören u.a. eine Erhöhung des Mindestlohns, die Rücknahme der Rente mit 67 und des Gesetzes über die Flexibilisierung der Arbeitszeit, eine Beschränkung befristeter Arbeitsverträge und mehr Geld für Arbeitslose. Die Lehrergewerkschaften ZNP und Solidarność kritisieren insbesondere die Kürzungen im Bildungswesen, die zu Schulschließungen, zur Entlassung von 10.000 Lehrerinnen und Lehrern und einer Reduzierung von Unterrichtsstunden führen.

Neue gewerkschaftliche Aktionseinheit

Der OPZZ-Vorsitzende Jan Guz sagte bei der Gewerkschaftskundgebung auf dem Schlossplatz in Warschau, dies sei die letzte Warnung an die Regierung. Wenn sie nicht auf das Volk hören wolle, werde man das ganze Land stilllegen: "Wir werden die Straßen und Autobahnen blockieren. Wir akzeptieren keine Politik, die zu Armut führt." Piotr Duda, Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność, forderte die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen: „Wir haben die Nase voll von der Verachtung der Mächtigen gegenüber uns Arbeitern“, rief er unter Applaus der Menschenmenge zu. Viele Demonstranten hatten Transparente und Schilder mitgebracht, auf denen sie den Generalstreik und den Rücktritt der Regierung forderten. Die neue Aktionseinheit der Gewerkschaften in Polen ist bemerkenswert, denn sie stehen in scharfer Konkurrenz zueinander und sind historisch verfeindet.

Arbeitslosigkeit steigt

Die Proteste der Gewerkschaften finden zu einem Zeitpunkt statt, wo die polnische Wirtschaft erstmals seit Jahren ins Stottern kommt. Das Wirtschaftswachstum ist im letzten Jahr von 4,5 Prozent auf 1,9 Prozent zurückgegangen und dürfte 2013 mit nur einem Prozent so niedrig ausfallen wie seit 2000 nicht mehr. Die Arbeitslosenquote liegt bei 13 Prozent und könnte im Winter sogar auf 15 Prozent steigen. Die Regierungskoalition aus Tusks liberal-konservativer Bürgerplattform und der Bauernpartei hat zuletzt deutlich an Popularität eingebüßt und besitzt im Sejm, dem polnischen Parlament, nur noch eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. In gleichlautenden Schreiben an die Vorsitzenden der ZNP und Solidarnosc, Slawomir Broniarz und Ryszard Proksa, hatte die GEW Vorsitzende Marlis Tepe den beiden polnischen Lehrergewerkschaften ihre Solidarität bekundet: „Die Kürzungen bei der Bildung in eurem Land sind Folge einer verfehlten Sparpolitik, wie wir sie auch in Deutschland erleben müssen. Einigkeit macht stark. Wir begrüßen das gemeinsame Handeln der polnischen Gewerkschaften und solidarisieren uns mit euren Protestaktionen, denen wir massenhafte Teilnahme und viel Erfolg wünschen.“