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PIAAC-Studie 2013: „Mehr Weiterbildung führt zu mehr Ungerechtigkeit.“ Was ist denn jetzt los?

Das neue Infoblatt für Beschäftigte in der Weiterbildung thematisiert die im Oktober veröffentlichte OECD-Vergleichsstudie PIAAC, die die Schlüsselkompetenzen Erwachsener unter die Lupe genommen hat.

Am 08. Oktober 2013 veröffentlichte die OECD die Ergebnisse der durch die OECD initiierten internationalen vergleichenden Studie zu den Schlüsselkompetenzen Erwachsener (PIAAC). Und was kommt dabei raus? In Deutschland sind die Bildungschancen ungerecht verteilt, fast so ungerecht wie in den USA und ungerechter als in allen anderen untersuchten Staaten.

 Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland in besonderer Weise über die Kompetenzen. Es fehlen im Erwachsenenalter Chancen, vorher nicht erworbene Kompetenzen auszugleichen. Die Personengruppe, die in der Schule geringe Kompetenzen erworben hat und in der PIAAC-Studie am schlechtesten abschneidet, ist vergleichsweise wenig an Weiterbildung beteiligt. Das deutsche Schulsystem und die darauf folgenden Bildungsinstitutionen sind anscheinend nicht in der Lage, die gesamte deutsche Bevölkerung mit Schlüsselkompetenzen auszustatten. Es gibt substanzielle Unterschiede in den Grundkompetenzen zwischen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern. Wer die deutsche Sprache beherrscht, verfügt über höhere Schlüsselkompetenzen für die gesellschaftliche Teilhabe.

Was davon haben wir aber vorher schon gewusst? Fast alles, denn das Grundproblem ist doch seit langem bekannt. Wer die Trendberichte zum Weiterbildungsverhalten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) aufmerksam liest, wer den Aufschrei nach der leo-Level-One-Studie und der plötzlichen Entdeckung funktionaler Analphabeten in Deutschland nicht überhört hat, wer aufmerksam durch das Leben geht, dem sagt PIAAC hier nichts Neues.

Unser bisheriges Weiterbildungssystem ist kein gerechtes und kein soziales. Im Gegenteil, es trägt noch zu einer tieferen Spaltung der Gesellschaft bei. Wer hat, dem wird gegeben – das trifft leider für die Weiterbildung immer stärker zu und zwar nicht nur bei den kommerziellen Anbietern, sondern auch in der öffentlich verantworteten Weiterbildung, nicht zuletzt in den Volkshochschulen.

Die Orientierung am Markt ersetzt die Orientierung an den Bildungsbedarfen aller, auch der nicht oder wenig zahlenden Teilnehmenden. Verstärkt wird dies durch die verstetigte Unterfinanzierung öffentlich verantworteter Weiterbildung und durch die fortschreitende Kommerzialisierung und die damit verbundene Marktderegulierung ihrer Strukturen.

Teilnehmende kommen nicht in Volkshochschulkurse, weil sie sich das Entgelt nicht leisten können, von Kursen kommerzieller Anbieter ganz zu schweigen. Junge Erwachsene holen ihren Schulabschluss nicht nach, weil sie keinen Platz in Schulabschlusskursen bekommen. Und nicht zuletzt nehmen viele kein Weiterbildungsangebot in Anspruch, weil ihnen schlicht die Informationen darüber fehlen, dass und was sie noch weiter lernen können, wo und wie sie lernen können. So kann die Weiterbildung ihr wichtigstes Ziel, nämlich gesellschaftliche, berufliche, kulturelle und politische Teilhabe nicht erreichen.

Stellen wir uns aber mal eine Weiterbildungspolitik vor, die dem entspricht, was in vielen Bundesländern bereits in den Weiterbildungsgesetzen festgeschrieben, jedoch nirgends verwirklicht ist:

Weiterbildung ist ein gleichwertiger Teil des Bildungswesens.

Wenn wir das verwirklichen, dann hätten wir bundesweite Regelungen für ein kohärentes Weiterbildungssystem, in dem für jede und jeden tatsächlich die Chance auf Teilhabe besteht. Wir hätten eine starke, öffentlich geförderte und verantwortete Weiterbildungslandschaft, insbesondere an Volkshochschulen, die nicht nur ihrem Bildungsauftrag nachkommt, sondern auch durch ihre hochwertige Beratung von Personen und Institutionen zu mehr Chancengleichheit beiträgt. Vor allem kleinere Betriebe würden bei der Weiterbildung bildungsferner und benachteiligter Gruppen unterstützt und wüssten, wie sie an diese Unterstützung kommen.

Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit würde den Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen und Arbeitsmarktchancen erkennen. Sie ist dann qualitativ hochwertig und nachhaltig und auf langfristige Zusammenarbeit ausgelegt.

In den Schulen des Zweiten Bildungswegs könnten alle, die einen ersten oder höheren Schulabschluss anstreben, einen Platz finden und haben einen zweiten Bildungsweg, der alle aufnehmen kann, die auch nach Ende der Schulpflicht weiterlernen möchten.

Wir hätten eine ordentliche, nicht projektbasierte Förderung von Weiterbildung und wir arbeiteten mit Lehrkräften, die tariflich beschäftigt sind.

Auch wir sind gefragt.

Denn vor allem brauchen wir selbstbewusste Weiterbildner/-innen, die sich gegen eine Kommerzialisierung der Bildung stellen, die in ihren Kommunen dem Marktargument das Bildungsargument entgegenstellen, die sich hinstellen und sagen:

„JA, wir haben einen Bildungsauftrag. JA, Bildung kostet Geld, aber wir können es uns nicht leisten, dieses Geld nicht oder an der falschen Stelle auszugeben.
NEIN, wir wollen nicht danach schauen, wer am meisten für Bildung zahlen kann, sondern danach, wer am dringendsten Bildung braucht.“

Und wir müssen immer wieder daran erinnern, dass Bildungseinrichtungen möglichst viel Bildung anbieten und nicht möglichst hohe Einnahmen einspielen sollen.

Dafür brauchen wir ein Bekenntnis zu den Weimarer Thesen der GEW. Die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Bildung in erster Linie als Ware zu betrachten.

Helle Timmermann, GEW NRW