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EGB-Kongress in Wien

No jobs on a dead planet!

Wenige Tage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament und während des Scheiterns der schwarz-blauen Regierung in Österreich fand in Wien der 14. Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes statt.

Kongress im Auge des Orkans

Kein Bild wurde in den zahlreichen Redebeiträgen der rund 1.300 Delegierten und Gäste beim Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) häufiger bemüht wie das vom toten Planeten, auf dem es keine Arbeitsplätze mehr gibt. Unmittelbar vor den Wahlen zum Europäischen Parlament  fand  vom 21. – 24. Mai 2019 der EGB-Kongress in Wien statt. Er stand unter dem Titel „A fairer Europe for Workers“. Klimaschutz und Arbeitsplätze, „Just Transitions“,  gehörten zu den zentralen Themen des Kongresses.  Weitere Schwerpunkte waren die soziale Spaltung in Europa, Digitalisierung, Migration, die zunehmenden Angriffe auf demokratische und gewerkschaftliche Rechte und natürlich das Skandalvideo mit Österreichs Ex-Innenminister Strache und dessen politische Auswirkungen im Gastland und in Europa. 

Pressefreiheit verteidigen

„Die ganz Welt hat am Wochenende nach Wien geschaut !“ Mit diesen Worten begrüßte Wolfgang Katzian, Gastgeber und Vorsitzender des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB),  die KongressteilnehmerInnen im Wiener Messezentrum. Katzian kritisierte die Politik der Nichtkommunikation der österreichischen Rechtsregierung mit den Gewerkschaften und deren Angriffe auf die Presse: „Pressefreiheit ist genauso wichtig für die Demokratie wie freie Gewerkschaften.“ Der ÖGB-Vorsitzende warnte eindringlich vor Regierungsbeteiligungen von Rechtspopulisten und forderte eine Rücknahme des Gesetzes zum 12 Stunden Tag und zur 60 Stunden Woche in Österreich.

Zeichen gegen Rechtspopulismus

Man habe Ort und Zeitpunkt des Kongresses bewusst gewählt, erklärte EGB-Generalsekretär Luca Visentini in seiner Eröffnungsrede mit Verweis auf Wien und die Wahlen zum Europäischen Parlament: „Die Europäische Union und unsere Demokratie sind bedroht. Rechtsradikale, nationalistische und neofaschistische Parteien haben Zulauf.“  Dem müssten Gewerkschaften entgegentreten. Der EGB wolle ein sichtbares Zeichen des Protestes gegen die Politik der schwarz-blauen Regierung in Österreich und gegen Rechtspopulismus in Europa setzen. Visentini forderte einen neuen Sozialvertrag für Europa, verstärkte Anstrengungen gegen die Arbeitslosigkeit und Investitionen in gute Arbeitsplätze.

Quote wirkt

Erstmalig waren bei einem EGB-Kongress gleich viele Frauen und Männer vertreten.  Der vorangegangene Kongress 2015 in Paris hatte dazu eine Geschlechterquote beschlossen. Die Frauen in Wien nutzen ihre Präsenz mit zahlreichen engagierten Redebeiträgen - nicht nur, aber auch und immer wieder zu Frauen- und Geschlechterthemen. Davon ermutigt fühlten sich junge Delegierte, die in Wien deutlich unterrepräsentiert waren. Mit Nachdruck forderten sie zum nächsten EGB-Kongress 2023 eine Quote von 23 Prozent für Delegierte unter 35 Jahren.

Juncker fordert Europäischen Mindestlohn

EU-Kommissionspräsident Juncker punktete bei den Delegierten, indem er sich zu  gewerkschaftlichen Forderungen bekannte: " Ich plädiere für einen Europäischen Mindestlohn – sofort“. Es müsse Schluss sein mit der Austeritätspolitik in Europa. Ein unbefristeter Arbeitsvertrag müsse Normalfall sein. Mit der Reform der Entsenderichtlinie habe man in der EU das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort durchgesetzt. Juncker bekannte sich zum sozialen Dialog und forderte, dass Internetgiganten ihre Steuern dort bezahlen müssten, wo sie Gewinne erwirtschaften. Er werde die Anrufe von EGB-Generalsekretär Luca Visentini vermissen, wenn er nicht mehr EU-Kommissionspräsident sei. Juncker, der im Herbst aus dem Amt scheidet und seine Rede auf Deutsch, Englisch und Französisch hielt, verabschiedete sich mit den Worten: „Vive le syndicalisme libre!“

„Die jungen Leute haben recht!“

Viel Lob für die Gewerkschaften gab es auch vom österreichischen Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen. Wenn es Gewerkschaften nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Die Gewerkschaften würden in ganz Europa die proeuropäischen Kräfte unterstützen. “Solidarität gehört zu ihrer DNA“, bekundete der Bundespräsident, der sich die Zeit nahm, zwischen politischen Krisengesprächen und einem Zahnarzttermin zu den EGB-Delegierten zu sprechen. Van der Bellen bekannte sich zur Sozialpartnerschaft und zu den Forderungen der ‚Fridays for future‘-Proteste: „Die jungen Leute, die Freitag wieder in Wien und anderen Städten auf die Straße gehen und demonstrieren, haben recht. Es geht um ihre Zukunft.“

Progressive Capitalism

Aus New York nach Wien zum EGB-Kongress eingeflogen war Joseph Stiglitz. Der Wirtschaftsnobelpreisträger  kritisierte das vorherrschende Wachstumsmodell und forderte eine ‚green transition‘. Das Bruttoinlandsprodukt sei  kein guter Maßstab für wirtschaftliche Entwicklung: „Wir können eine grüne Ökonomie haben und viele neue Jobs schaffen.“ Stiglitz warb für einen ‚Progressive Capitalism‘  und damit gleich auch für sein neues Buch zum selben Titel. In der Pause im Foyer standen die Menschen Schlange, um sich ein Exemplar von Stiglitz signieren zu lassen.

Bildung fürs digitale Zeitalter fit machen

Zahlreiche Delegierte sprachen zu den Herausforderungen der Digitalisierung und wiesen auf die Bedeutung guter Bildung für Chancengleichheit und Arbeitsplätze hin. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller forderte, Bildungseinrichtungen zu modernisieren und fit zu machen fürs digitale Zeitalter: „Es ist überall von Industrie 4.0 die Rede, aber viele Kindergärten, Schulen und Hochschulen befinden sich noch im Modus 1.0. Putz bröckelt von den Decken, moderne Datenleitungen und digitale Medien fehlen.“ Lehrkräfte müssten besser qualifiziert und  Bildungsberufe aufgewertet werden, so Keller.

Aktionsprogramm für faires Europa beschlossen

Die Delegierten beschlossen ein umfangreiches 192seitiges Aktionsprogramm „A fairer Europe for Workers“ für die Jahre 2019 bis 2023 und dazu ein Wiener EGB-Manifest. Darin wird die Verantwortung der Gewerkschaften zur Verteidigung der Demokratie betont und ein neuer Sozialvertrag für Europa gefordert. Zum neuen EGB-Präsidenten wurde mit 95 Prozent der Stimmen Laurent Berger gewählt. Berger ist Generalsekretär des französischen Gewerkschaftsbundes CFDT. Der Italiener Luca Visentini wurde mit 77 Prozent für weitere vier Jahre in seinem Amt als EGB-Generalsekretär bestätigt.

 

Info:  Der EGB vertritt 90 nationale Gewerkschaftsbünde aus 39 Ländern mit insgesamt 45 Millionen Mitgliedern.  Alle vier Jahre führt der  EGB einen Kongress durch. Der DGB war mit 27 Delegierten unter Leitung des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann in Wien vertreten. Für die GEW nahmen der stellvertretende Vorsitzende Andreas Keller und der Referent für Internationales, Manfred Brinkmann am EGB-Kongress teil.