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Mit der Frauenerwerbstätigkeit steigt das Care-Defizit

Um Beruf und Familie vereinbaren zu können, geben Frauen die unbezahlte Sorgearbeit zunehmend an Dienstleisterinnen ab. Das ist indes oft mit prekären Arbeitsverhältnissen verbunden. Frankreich zeigt, dass es auch anders geht.

Der geschlechterpolitische Erfolg der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen hat auch Schattenseiten. Seit den 1990er Jahren seien immer mehr Frauen berufstätig, das habe zu  einem Defizit an Fürsorge, dem sogenannten Care-Defizit geführt, erklärte die frauenpolitische Referentin der GEW, Janina Glaeser, beim GEW-Workshop „Keine Zeit! Pädagogische Arbeit im Uhrzeigersinn“ Ende Januar in Fulda. Frauen verlagerten Teile der Sorge- und Haushaltsarbeit immer häufiger und für längere Zeiträume auf einen wachsenden Dienstleistungssektor – in dem überwiegend Frauen tätig seien, darunter viele Migrantinnen in oftmals prekären Arbeitsverhältnissen.

Auch Tagesmütter, Erzieherinnen und Lehrerinnen im Ganztag sorgten dafür, dass andere Frauen die fordernde Kombination aus Job, Kinder, Haushalt und möglicherweise auch noch Ehrenamt vereinbart bekämen. „Bildungsarbeiterinnen vom frühkindlichen bis zum schulischen Bereich produzieren Zeit. Zeit, die viele Frauen jetzt in Erwerbsarbeit investieren können“, sagte Glaeser. Die Überführung von unbezahlter in bezahlte Care-Arbeit, aber auch der Wechsel von unbezahlter Kindererziehung in Erwerbstätigkeit, werde unter anderem durch die von der GEW vertretenen Berufsfelder in Kitas und Schulen getragen.

Als positives Beispiel empfahl Glaeser den Blick auf die Kindertagespflege in Frankreich: Mehr als die Hälfte der unter Dreijährigen wird dort über professionelle Tagesmütter betreut. Diese unterliegen dem Mindestlohn, haben eine gewerkschaftliche Interessenvertretung, werden intensiv durch Fachpersonal betreut und begleitet. Während die Professionalisierung des Berufszweigs in Frankreich bereits in den 1970er Jahren begann, geschah dies in Deutschland in umfassender Form erst ab 2005 mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz.

„Insbesondere bei der Aufteilung der familialen Sorgearbeit muss sich einiges verändern.“

Akkreditierte Tagesmütter arbeiten hierzulande jedoch selbstständig, die Betreuung durch Fachkräfte ist begrenzt, und die Einkünfte reichen in der Regel nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts. Gleichwohl sind sie nach SGBVIII an den allgemeinen Bildungsauftrag gebunden, die Gleichrangigkeit zu Kindertageseinrichtungen ist gesetzlich verankert. Glaeser kritisierte diese Zustände: „Wollen wir so umgehen mit jenen Frauen, die für uns Zeit produzieren? Damit andere Frauen sich selbst verwirklichen können?“

Gute und geschlechtergerechte Arbeit im Bildungssektor setze gute und geschlechtergerechte Regelungen zur Arbeit- und Lebenszeit voraus, sagte auch Stephanie Rose, Referentin für Gleichstellung an der HafenCity Universität Hamburg, die als Fachfrau die zeitpolitische Auseinandersetzung der GEW-Frauenpolitikerinnen seit 2015 begleitet. „Insbesondere bei der Aufteilung der familialen Sorgearbeit muss sich einiges verändern“, forderte sie. „Heute müssen Pädagoginnen einen Spagat zwischen Arbeit, Familie und Engagement üben.“ Rose plädierte über den Bildungsbereich hinaus zudem für eine 30-Stunden-Woche, das Modell einer Familienarbeitszeit und ein Wahlarbeitszeitgesetz, bei dem Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen zusammen mit Betriebsrätinnen und Betriebsräten sowie Gewerkschaften neue und flexiblere Arbeitszeitkonzepte erstellen.

Der GEW-Arbeitsbereich Frauenpolitik beriet bereits im September 2016 bei der FrauenZukunftsKonferenz in Berlin intensiv über das Thema Zeit. „Wir brauchen eine neue Diskussion über das Normalarbeitsverhältnis. Es muss flexibler werden und sich an den Lebensphasen orientieren. Und die Wochenarbeitszeit muss kürzer werden, für Männer und Frauen“, forderte Leiterin Frauke Gützkow.