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Klimaneutrale Klassenfahrten

Mit dem Zug nach Aix-en-Provence

Seit den Demos der Fridays-for-Future-Bewegung diskutieren immer mehr Schulen in Deutschland über klimaneutrales Reisen – auch das Berliner Goethe-Gymnasium Lichterfelde. Die Schule will Klassenfahrten nicht mehr mit dem Flugzeug machen.

Foto: picture alliance/JOKER
  • E&W: Herr Noth, was hat an Ihrer Schule zur „Flugscham“ geführt?

Stephan Noth: Die Idee ist in der Klima-AG entstanden. Die Schülerinnen und Schüler befassen sich dort schon seit einigen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Sie lernen zum Beispiel, wie sie richtig heizen und lüften. Sie versuchen, die Einweg-Kaffeebecher aus der Cafeteria zu verbannen. Und kürzlich kam dann die Idee, vor allem von Oberstufenschülern, sich die Klimabilanz der Kursfahrten kritisch vorzunehmen.

  • E&W: Woher kam der Anstoß konkret?

Noth: Das lief parallel zur Fridays-for-Future-Bewegung, mit der sehr viele Schülerinnen und Schüler sympathisieren. Die Klima-AG brachte das Thema Kursfahrten in die Schülervertretung ein. Von dort ging es dann in die Schulkonferenz. Hier wurde der Antrag, möglichst auf Flugreisen zu verzichten, einstimmig angenommen – also von Lehrkräften, der Schulleitung, Schülervertretern und Eltern.

  • E&W: Ging es deshalb so glatt, weil es kein Verbot, sondern nur eine Empfehlung ist?

Noth: Das hat die Abstimmung vielleicht erleichtert, aber es hat nicht den Ausschlag gegeben. Zum einen haben die Schülerinnen und Schüler ihr Anliegen in der Sitzung sehr selbstbewusst vertreten. Zum anderen befasst sich das Gymnasium seit Jahren mit Umweltschutz.

  • E&W: Haben Flugreisen überhaupt eine große Rolle an Ihrer Schule gespielt?

Noth: Ja. Wir haben einen Austausch mit Arkansas in den USA, außerdem verschiedene Sprachreisen, etwa nach Südfrankreich und Schottland. Dazu kommen noch Kursfahrten nach Italien und Spanien. Dafür haben die Klassen bzw. Kurse häufig das Flugzeug benutzt.

  • E&W: Was ändert sich jetzt?

Noth: Für den Austausch mit den USA werden wir nicht – wie Greta Thunberg – auf ein Segelboot umsteigen, sondern weiter das Flugzeug benutzen. Anders lässt sich das nicht organisieren. Aber der Biologie-Kurs ist zum Beispiel im vergangenen Jahr nicht wie üblich nach Süditalien geflogen, sondern mit dem Zug nach Sylt gefahren. Die Schülerinnen und Schüler des Informatik-Kurses sind mit der Bahn nach Kroatien gereist, das gleiche gilt für den Französisch-Austausch mit einer Schule in Aix-en-Provence. Das dauert von Berlin aus mit Umsteigen in Frankfurt am Main knapp zwölf Stunden. Aber das nehmen die Schülerinnen und Schüler in Kauf. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Kunst-Gruppe will nächstes Jahr wieder mit dem Flugzeug nach Italien.

  • E&W: Könnte man da nicht den Nachtzug nehmen?

Noth: Ja. Der Kurs will aber gern fliegen – und musste das bei der Schulleitung begründen. Die hat zugestimmt. Danach gab es durchaus Kritik an der Entscheidung. Aber man muss bedenken, dass das Verfahren für unsere Schule ja noch ganz neu ist. Über die Kriterien für Flugreisen wird sicher noch weiter diskutiert werden. Aber einen positiven und nachhaltigen Effekt gibt es schon jetzt: Viele Lehrerinnen und Lehrer schauen mit einem ganz anderen Blick auf Klassen- und Kursfahrten.

  • E&W: Obwohl es jetzt vermutlich komplizierter wird bei der Planung.

Noth: Ja. Auch deshalb, weil immer noch viele Schülerinnen und Schüler spektakuläre Fahrten erwarten. Die wollen eher nicht ins benachbarte Brandenburg, sondern finden das Ausland attraktiver. Hinzu kommt, dass Bahn-Gruppenfahrten nicht sehr benutzerfreundlich sind. Wenn man als Lehrer da anruft, bekommt man an einem Tag einen guten Preis pro Schüler genannt, der liegt aber in der Woche darauf schon wieder um 40 Euro höher. Das ist zumindest meine Erfahrung. Aber auch Lehrkräfte haben Vorurteile, was das Zugfahren betrifft. Meine Hoffnung ist, dass Reiseveranstalter für Schülerfahrten mehr und mehr auf klimagerechtes Reisen setzen und entsprechende Angebote machen.

  • E&W: Sollten Schulen künftig generell mehr Reisen innerhalb Deutschlands organisieren?

Noth: Darüber sollten wir nachdenken. Kunstinteressierte könnten zum Beispiel auch nach München oder in andere deutsche Städte fahren. Der Latein-Kurs einer Nachbarschule hat sich kürzlich mit Regionalexpress und Fahrrad auf die Spuren der Römer begeben. Unsere Latein-Fachkonferenz hat entschieden, künftig nach Köln zu fahren. Wichtig ist, dass die Lehrkräfte das möglichst gut verkaufen, dann ziehen die Klassen auch mit. Ich kann aber auch nachvollziehen, wenn ein Kollege oder eine Kollegin sagt: „Wir reden jetzt im Latein-Unterricht seit Jahren über Rom. Jetzt sollen die Schülerinnen und Schüler die Stadt auch mal sehen.“

  • E&W: Bleibt die Anti-Flug-Kampagne an Ihrer Schule Symbolpolitik oder hat sie langfristige Auswirkungen – zum Beispiel auf das private Konsum- und Reiseverhalten von Lehrkräften und Kindern?

Noth: Die Debatte wird auch in die Familien getragen. Viele Lehrkräfte denken um. Nachhaltig wirkt auch, dass Umweltthemen mehr und mehr Eingang in die Lehrpläne finden: Abholzung des Regenwaldes, Artensterben, umweltgerechtes ethisches Handeln (Klimaethik) – all das ist Teil des Unterrichts. Aber natürlich ist es noch ein weiter Weg hin zu einem tatsächlichen Wandel. Solange zum Beispiel Flugreisen so extrem günstig angeboten werden wie heute, wird sich das konkrete Handeln nur sehr, sehr langsam verändern.

Stephan Noth (50 Jahre) ist Lehrer am Goethe-Gymnasium Lichterfelde in Berlin. Er unterrichtet Biologie und Geographie und leitet seit vielen Jahren die Klima-AG. Die Schule hat ökologisches Handeln im Leitbild verankert und trägt die Siegel „Umweltschule in Europa“ und „Berliner Klima Schule“, die jedes Jahr durch neue Projekte bestätigt werden müssen. Die Klima-AG hat im vergangenen Jahr durchgesetzt, dass bei Klassen- und Kursfahrten möglichst auf Flugreisen verzichtet wird.

 

Stephan Noth (50 Jahre) ist Lehrer am Goethe-Gymnasium Lichterfelde in Berlin.