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Mehrsprachigkeit als Ressource fördern

Anfang Juni besuchte eine GEW-Delegation mit Erzieherinnen aus Wittlich verschiedene italienische Kindergärten in den deutschsprachigen Städten Bozen und Brixen, um sich über Mehrsprachigkeit in der frühkindlichen Bildung in Südtirol zu informieren.

Südtirol ist für seine Sprachenvielfalt bekannt: Gesprochen wird Deutsch in verschiedenen Mundarten, Hochdeutsch und Italienisch. Dazu kommen alle Sprachen, die auch in anderen Einwanderungsländern vorkommen, sei es Portugiesisch, Serbisch oder Kroatisch, Spanisch, Arabisch oder auch Chinesisch. Alle Sprachen sollen in den südtiroler Kindertagesstätten ihren Platz finden, meint die Landesregierung. Mehrsprachigkeit soll als Ressource gefördert werden. Ein Konzept, das bei der Entwicklung eigener Sprachkonzepte weiterhelfen könnte, meinen die Erzieherinnen der Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg. Die Kita Wittlich-Neuerburg nimmt im Rahmen des Projekts Frühe Chancen an der Qualifizierungsoffensive Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei des Deutschen Jugendinstituts teil. Begleitet wird die Kita von der Diplompsychologin Anne Heck, die Anfang Juni - unterstützt von Norbert Hocke vom GEW-Hauptvorstand - sechzehn Erzieherinnen aus Wittlich den Besuch von acht deutschsprachigen Kindergärten in Bozen und Brixen ermöglichte.

In Bozen und Brixen dürfen Familien selbst entscheiden, welche Sprache ihr Kind im Kindergarten sprechen bzw. lernen soll. Viele wollen, dass ihre Kinder zweisprachig aufwachsen. „Die einen Familien sagen, wir sprechen mehr südtiroler Dialekt und Deutsch, also nutzen wir den italienischen Kindergarten, und die anderen sagen, wir sprechen eher Italienisch, also nutzen wir den deutschen Kindergarten. So wird die Mehrsprachigkeit erreicht“, erklärt Kita-Leiterin Erni Schaaf-Peitz aus Wittlich. In den deutschen Kindergärten fördern die Erzieherinnen den Spracherwerb, indem sie mit den Kindern ausschließlich Deutsch sprechen. Das Italienische nutzen sie nur als Hilfssprache, wenn ein Kind überhaupt kein Deutsch versteht. Für die meisten Erzieherinnen ist das kein Problem: Wer sich in Südtirol für ein Studium der frühkindlichen Bildung entscheidet, muss mindestens zweisprachig sein.
Ankündigungen, Hinweise und Bücher sind in den Kindergärten auf Deutsch; nur vereinzelt tauchen Aushänge in den vielen Sprachen der Kinder auf, deren Erstsprache weder Italienisch noch Deutsch ist. Immer mehr Kinder mit Migrationsgeschichte besuchen deutschsprachige Kindergärten: „Viele Familien haben erkannt, dass sich die Bildungschancen ihrer Kinder erhöhen, wenn sie Deutsch sprechen können.“, sagt Erni Schaaf-Peitz.
Für die Integration von Kindern mit Migrationsgeschichte haben die Südtiroler Sprach- und Kompetenzzentren eingerichtet. Die Sprachzentren beraten Eltern, erheben den Sprachstand der Kinder und unterstützen Kindertagesstätten mit interkulturellen Mediatoren und Mediatorinnen. Die Mediatoren bringen in der Regel selbst eine Migrationsgeschichte mit, haben neben den erforderlichen Sprachkenntnissen also auch kulturelles und religiöses Wissen, um auf Abruf Kinder begleiten zu können, deren Muttersprache weder Deutsch noch Italienisch ist. Die Kompetenzzentren koordinieren und beraten die Sprachzentren, stellen didaktisches Material für die Kindergärten zur Verfügung, entwickeln und evaluieren Sprachförderprojekte.

Noch sind die von den Kompetenzzentren entwickelten und in den Kindergärten umgesetzten Sprachförderprojekte wenig innovativ: In der Regel werden Kinder, bei denen ein Sprachentwicklungsbedarf erkannt wird, von ihrer Gruppe getrennt und mit speziell ausgearbeiteten Angeboten gefördert. Die aktive Sprachvermittlung findet dabei hauptsächlich über das Lesen von Büchern, Entdecken von Buchstaben und Erzählen von Geschichten statt. „Alle sagen, dass die Kinder in der Alltagskommunikation mit ihren Freunden besonders viel lernen. Fragt man aber nach Konzepten für das Lernen in alltäglichen Zusammenhängen, fällt den meisten dazu kaum etwas ein“, meint die Erzieherin Jenny Thörner, die in Wittlich als Sprachexpertin arbeitet.
Laut Bildungsplan soll bis 2018 in allen deutschsprachigen Kindergärten Südtirols die offene Arbeit eingeführt werden. „Da sind wir in Wittlich schon etwas weiter“, sagt Erni Schaaf-Peitz. Und weil dem so ist, hat Erni Schaaf-Peitz alle Kindergärten, die sie mit ihrem Team in Südtirol besucht hat, in die Eifel eingeladen. „Eine erste Rückmeldung haben wir schon: Laut Südtiroler Kindergarteninspektorat soll im nächsten Jahr eine Reise nach Wittlich vorbereitet werden.“